Die erschöpfte Institution: Unbehagen und Partizipation in psychoanalytischen Ausbildungskontexten

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1. Die erschöpfte Institution als Problemstellung

Psychoanalytische Ausbildungsinstitute erscheinen in der aktuellen Literatur zunehmend als organisationspsychologische Problemfälle. Beschrieben werden ein Rückgang an Nachwuchs, alternde Mitgliedschaften, Schwierigkeiten bei der Besetzung von Vorständen und Kommissionen, Engpässe bei Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen, eine Überlastung von Dozent*innen sowie eine eigentümliche Mischung aus hoher Identifikation und innerer Kündigung. Das Bild, das sich aus diesen Beobachtungen ergibt, ist nicht das einer punktuellen Krise, sondern das einer chronischen Erschöpfung. Die in den Instituten geleistete Arbeit – klinisch, didaktisch, organisatorisch – findet vor dem Hintergrund verschärfter gesetzlicher, ökonomischer und sozialer Rahmenbedingungen statt, die Ausbildungswege verlängern, finanzielle Risiken erhöhen und eine stärkere Verdichtung des Arbeitsalltags mit sich bringen.

Eine rein strukturelle oder sozialpolitische Betrachtung greift jedoch zu kurz. Psychoanalytische Institute sind nicht nur Träger von Curricula und Rechtsformen, sondern auch Träger institutioneller Phantasien, unbewusster Allianzen und historischer Übertragungen. In ihnen materialisieren sich die Selbstbilder einer Profession: Vorstellungen von Berufung, von Opferbereitschaft, von „richtiger“ Psychoanalyse. Die These des Essays lautet daher, dass das „Unbehagen in der Ausbildungskultur“ nur dann angemessen verstanden werden kann, wenn man die Institution selbst als psychodynamisches Gebilde in den Blick nimmt. Die Erschöpfung ist dann kein zufälliges Nebenprodukt, sondern Ausdruck einer bestimmten Konstellation des institutionellen Unbewussten.

2. Institutionelle Psychodynamik: Berufung, Abwehr und Déliaison

René Kaës hat mit dem Konzept des „gruppenpsychischen Apparats“ darauf aufmerksam gemacht, dass Gruppen und Institutionen über eine eigene psychische Realität verfügen, die sich nicht auf die Summe individueller Seelenzustände reduzieren lässt. In diesem Apparat verschränken sich intrasubjektive, intersubjektive und transsubjektive Räume: persönliche Konflikte, Beziehungsmuster und institutionelle Mythen bilden ein Geflecht, in dem einzelne Subjekte zugleich Subjekt und Objekt kollektiver Phantasien werden. In psychoanalytischen Ausbildungsinstituten sind diese Phantasien eng mit dem Berufsethos verknüpft. Ältere Generationen erzählen von einem impliziten Vertrag: Wer als Analytiker*in in das „Haus Psychoanalyse“ aufgenommen wurde, war nicht nur für Patientinnen, sondern auch für das Institut zuständig. Lehre, Supervision, Vorstandsarbeit wurden nicht in erster Linie als zu vergütende Dienstleistungen verstanden, sondern als Ausdruck einer Haltung – als Dienst an einer Theorie- und Praxisform, die man für gefährdet, aber unverzichtbar hielt.

Diese kulturelle Konstellation kann man als produktive unbewusste Allianz begreifen, solange sie von genügend Ressourcen getragen wird. Sie wird problematisch, wenn äußere Bedingungen – Verdichtung von Arbeit, ökonomischer Druck, Reformen der Weiterbildung – die implizit erwartete Mehrleistung ins Unmögliche verschieben. An diesem Punkt beginnen, in der Sprache von Kaës, Prozesse der Déliaison: die libidinösen Bindungen an die Institution lösen sich, ohne dass dies offen symbolisiert wird. Jüngere Kolleg*innen erleben das Institut weniger als „Ort der Zugehörigkeit“ denn als konsumierende Struktur; mittlere Generationen schwanken zwischen Loyalität und Rückzug; langjährig Engagierte berichten von innerer Kündigung.

Die Tavistock-Tradition um Isabel Menzies Lyth hat gezeigt, dass Organisationen dazu tendieren, sich als soziale Abwehrsysteme gegen Angst zu organisieren. In psychoanalytischen Instituten lässt sich eine analoge Logik beobachten. Die Furcht vor Bedeutungsverlust der Psychoanalyse, vor politischer Marginalisierung, vor dem „Sterben“ der Institution wird abgewehrt durch Heldenfantasien im Vorstand („wir halten das Haus“), durch die Idealisierung der Lehranalytiker*innen („sie sind immer da“) und durch das Tabu, über Erschöpfung, Geld und Grenzen zu sprechen. Bions Unterscheidung zwischen Arbeitsgruppe und Grundannahmegruppe hilft hier zu differenzieren: Im Arbeitsgruppenmodus könnten Institute nüchtern Bilanz ziehen, Aufgaben und Ressourcen ins Verhältnis setzen und realistische Prioritäten formulieren. Im Modus der Grundannahmen herrschen unbewusste Szenen: Abhängigkeit („der Vorstand wird es richten“), Kampf/Flucht („die Jungen wollen nicht, die Alten blockieren“) und Paarbildung („die nächste Leitungsgeneration wird alles retten“). Viele institutionelle Debatten um unbesetzte Ämter, versandete Arbeitsgruppen und „immer die gleichen Gesichter“ tragen diese Signatur.

Hinzu kommt die generative Dimension. Ausgehend von Eriksons Konzept der Generativität lässt sich verstehen, warum die mittlere und späte Lebensphase häufig mit dem Wunsch verbunden ist, etwas an nachfolgende Generationen weiterzugeben. In psychoanalytischen Kontexten manifestiert sich dies in der Bereitschaft, als Lehranalytiker*in, Supervisor*in oder Dozent*in tätig zu werden oder Verantwortung in Gremien zu übernehmen. Unter Bedingungen knapper Ressourcen besteht jedoch die Gefahr, dass generative Impulse in eine Form von „Passionsausbeutung“ kippen: Diejenigen, die „für die Sache brennen“, werden institutionell am stärksten in Anspruch genommen, und ihr Engagement wird zu einer stillen Selbstverständlichkeit, auf die sich das System stützt. Wenn diese Personen irgendwann aus Überlastung, Verletzung oder Altersgründen aus ihren Funktionen ausscheiden, hinterlassen sie ein Vakuum, das nicht einfach durch Appelle an den Nachwuchs zu füllen ist.

Die Fiktion eines Plenums – wie im vorliegenden Text skizziert – kann als klinische Vignette dieser Konstellation gelesen werden. In den Stimmen von Kandidat*innen, Ambulanzleitungen, Lehranalytiker*innen, Dozent*innen, Vorstand, Rückzugsfiguren, Verbandsvertreter*innen und externer Beratung spiegeln sich die beschriebenen Dynamiken: Stolz und Überdruss, Anspruch und Misstrauen, Abhängigkeit und Abwehr. Die Erschöpfung erscheint dabei nicht als individuelle Schwäche, sondern als gemeinsamer Affektzustand, der das Feld durchzieht.

3. Partizipation und die Idee einer „good enough“-Institution

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Partizipation – verstanden als Subjektivierung im institutionellen Raum – überhaupt möglich ist. Partizipation im starken Sinne bedeutet mehr als formale Mitbestimmung. Sie impliziert das Erleben, in zentralen Räumen der Institution – Seminaren, Fallkonferenzen, Gremien, Versammlungen – als Subjekt adressiert zu sein, dessen Perspektiven, Affekte und Vorschläge nicht nur toleriert, sondern als relevantes Material institutioneller Selbstwahrnehmung gelten. Jessica Benjamins Konzept der Thirdness bietet einen hilfreichen Rahmen: Beziehungen geraten dann aus der Fallenstruktur von Täter/Opfer, Herrschaft/Unterwerfung heraus, wenn ein „Dritter“ etabliert wird, eine gemeinsam geteilte symbolische Ordnung, in der beide Seiten als Subjekte anerkannt sind. Übertragen auf Institute bedeutet das: Ein „institutioneller Dritter“ wäre eine gemeinsam verantwortete Vorstellung davon, was die Institution sein soll – jenseits der unreflektierten Fortführung von Traditionen oder der reaktiven Abwehr gegen alles Institutionelle.

In der Praxis psychoanalytischer Ausbildungsinstitute ist dieser Dritte häufig schwach ausgebildet. Kandidatinnen erleben sich eher als Objekte von Auswahlentscheidungen, Bewertungsverfahren und Curricula; Lehranalytikerinnen und Dozent*innen erleben ihre Rollen als durch implizite Erwartungen kolonisiert; Vorstände pendeln zwischen äußeren Sachzwängen und inneren Loyalitäten. In einem solchen Kontext erscheinen Einladungen zur „Mitarbeit“ leicht als Aufforderungen zur Selbstausbeutung, während Rückzug schnell als Illoyalität gedeutet wird. Eine Kultur, in der über diese Wahrnehmungen nicht gesprochen werden kann, reproduziert genau jene Strukturen, die die Erschöpfung hervorbringen.

Die Idee einer „good enough“-Institution, in Anlehnung an Winnicotts Begriff der „good enough mother“, zielt nicht auf Perfektion, sondern auf eine hinreichende Balance von Halt und Begrenzung. Eine solche Institution würde die Realität von Belastung, ökonomischer Notwendigkeit und zeitlichen Grenzen anerkennen, ohne den beruflichen Ethos preiszugeben. Konkret könnte dies bedeuten, Mandate in Vorständen und Funktionsbereichen bewusst zeitlich zu begrenzen und in Co-Formaten zu organisieren, Lehranalytiker*innen- und Supervisor*innenrollen als Phasen mit legitimen Pausen zu konzipieren, Lehre als Projektarbeit mit klar definiertem Umfang zu verstehen und regelmäßige Reflexionsräume zu institutionalisieren, in denen über institutionelle Erfahrungen gesprochen werden kann. Solche Veränderungen wären keine technischen Maßnahmen, sondern symbolische Handlungen: Sie würden anzeigen, dass die Institution bereit ist, ihre Abwehrformen zu reflektieren und ihre Selbstbilder der Realität anzupassen.

Die „erschöpfte Institution“ ist in diesem Sinne weniger ein Endpunkt als ein diagnostischer Begriff. Er bezeichnet eine Konstellation, in der ein historisch gewachsenes Modell psychoanalytischer Ausbildung – getragen von starker Berufung, hohem Ehrenamtsanteil und unbefragten Loyalitäten – an seine Grenze gestoßen ist. Ob aus dieser Diagnose ein Übergang zu anderen Formen institutionellen Lebens wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die psychoanalytische Gemeinschaft bereit ist, den Blick, den sie seit jeher auf intrapsychische und interpersonale Räume richtet, auch auf ihre eigenen institutionellen Räume zu wenden. Nur wenn die Institute selbst als Orte der Übertragung, der Abwehr und der Generativität begriffen und bearbeitet werden, besteht die Chance, dass sie von erschöpften zu „hinreichend guten“ Räumen werden, in denen auch zukünftige Generationen psychoanalytisch leben und arbeiten können.

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1. Worum geht es?

In vielen psychoanalytischen Ausbildungsinstituten gibt es im Moment ein Problem, das viele spüren, aber schwer in Worte fassen können: Die Institute wirken müde.

  • Es gibt weniger Nachwuchs.
  • Viele Lehrende und Funktionsträger*innen sind sehr alt oder sehr belastet.
  • Vorstände und Kommissionen finden kaum noch neue Menschen, die mitarbeiten wollen.
  • Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen haben kaum freie Plätze.
  • Seminare werden manchmal nur knapp organisiert.

Gleichzeitig bleibt viel Arbeit an wenigen Personen hängen, die „schon immer“ viel gemacht haben. Manche ziehen sich leise zurück. Andere bleiben, fühlen sich aber innerlich erschöpft oder verbittert.

Der Text sagt: Das ist nicht nur ein persönliches Problem einzelner. Es hat mit der Art zu tun, wie die Institute aufgebaut sind, wie sie sich verstehen und wie sie mit Belastung umgehen.

2. Warum ist das so?

Früher war das Bild oft so: Wer in einem psychoanalytischen Institut aufgenommen wurde, war stolz. Man fühlte sich als Teil einer besonderen Gemeinschaft. Es galt als selbstverständlich:

  • Man macht nicht nur Therapien,
  • man übernimmt auch Aufgaben im Institut.

Zum Beispiel:

  • Lehranalysen,
  • Supervisionen,
  • Seminare,
  • Vorstand, Kommissionen.

Viele sagten: „Man macht das nicht fürs Geld, man macht es für die Psychoanalyse.“

Dieses Bild hat viel getragen. Viele Institute sind so überhaupt erst entstanden. Aber heute hat sich vieles verändert:

  • Die Ausbildung ist lang und teuer.
  • Viele Ausbildungsteilnehmer*innen arbeiten in Kliniken mit hoher Belastung.
  • Die meisten müssen genau rechnen, wie sie ihre Miete zahlen.
  • Es gibt neue Gesetze, viele Formulare, viel Dokumentation.

Trotzdem ist oft noch das alte Bild im Kopf: „Wer dazu gehört, macht alles mit.“

Das führt zu Spannungen:

  • Jüngere spüren: „Ich bin schon an der Grenze. Ich kann nicht noch zusätzlich in Gremien sitzen.“
  • Ältere denken manchmal: „Wir haben früher auch viel getragen. Warum wollen die Jüngeren nicht mehr?“
  • Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen fühlen sich hin- und hergerissen. Sie wollen helfen, sagen aber seltener „nein“, als gut wäre.
  • Dozent*innen wollen gute Seminare anbieten, bereiten viel vor, bekommen aber wenig strukturelle Unterstützung.
  • Vorstände haben das Gefühl, sie müssen alles am Laufen halten und gleichzeitig nach außen Stärke zeigen.

So entsteht eine Art Kreis:

  • Wenige engagieren sich sehr stark.
  • Sie werden müde oder verletzt.
  • Sie ziehen sich zurück.
  • Noch weniger bleiben übrig.
  • Die Arbeit für diese wenigen wird noch mehr.

Wenn niemand über diesen Kreis spricht, werden die Probleme „weggedrückt“. Nach außen zeigen die Institute gern: „Wir sind leistungsfähig.“ Nach innen fühlen sich viele überfordert.

3. Was hat das mit „Partizipation“ zu tun?

In solchen Situationen wird oft gesagt: „Die Jüngeren müssen sich mehr beteiligen. Sonst hat das Institut keine Zukunft.“

Aber aus Sicht der Ausbildungsteilnehmer*innen sieht es so aus:

  • Sie investieren sehr viel Zeit, Geld und Kraft in die Ausbildung.
  • Sie wünschen sich gute Seminare, erreichbare Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen, faire Ambulanzbedingungen.
  • Sie wollen, dass der Vorstand bei wichtigen Fragen – neue Weiterbildung, Digitalität, Kooperationen – ihre Realität mitdenkt.

Sie sehen aber auch:

  • Lehranalytiker*innen und Dozent*innen sind voll.
  • Ambulanzleitungen sind am Limit.
  • Vorstände wirken überlastet und schwer zugänglich.
  • Wer „Ja“ sagt, landet scheinbar in einer Rolle, aus der man nur mit Burnout wieder herauskommt.

Dann wirkt die Einladung zur Mitarbeit nicht wie „Anerkennung“, sondern wie „Risikofaktor“. Kein Wunder, dass viele zögern.

Partizipation im tieferen Sinn heißt:

Menschen erleben, dass sie in den zentralen Räumen des Instituts

– Seminaren, Fallkonferenzen, Vorständen, Versammlungen – als Subjekte angesprochen werden.

Das heißt:

  • Ihre Sichtweise ist wichtig.
  • Ihre Gefühle und Grenzen sind ernst gemeint.
  • Ihre Kritik ist willkommen und hat Folgen.

Wenn das fehlt, bleibt Partizipation nur auf dem Papier. Es gibt dann vielleicht ein Rederecht, aber viele haben das Gefühl: „Wo ich wirklich etwas sage, passiert nichts. Oder ich werde als Störung erlebt.“

4. Was könnte anders werden?

Der Text schlägt keine „große Reform“ vor, sondern kleine, realistische Schritte. Wichtig ist: Verantwortung muss neu gedacht werden – nicht nur als private Opferbereitschaft, sondern als gemeinsame Aufgabe mit klaren Formen.

Mögliche Ideen sind:

  • Vorstandsarbeit anders organisieren
    • Mandate zeitlich begrenzen (z.B. zwei oder vier Jahre).
    • Co-Vorstandsrollen einführen: ein erfahrener Mensch und eine Person aus der mittleren oder jüngeren Generation, mit gemeinsamem Auftrag.
    • Aufgabenprofile klar beschreiben und Zeitumfang benennen.
  • Lehranalyse, Supervision und Lehre schützen
    • Offen darüber sprechen, wie viele Lehranalysen und Supervisionen eine Person sinnvoll tragen kann.
    • Phasen einführen, in denen Lehranalytiker*innen bewusst keine neuen Fälle annehmen, ohne Statusverlust.
    • Jüngere Kolleg*innen als Co-Supervisor*innen und Co-Dozent*innen einbinden, statt sie sofort allein zu lassen.
  • Ambulanzleitungen entlasten
    • Mandate für Leitungen befristen und Co-Leitungen ermöglichen.
    • Die Frage „Wie viele Fälle sind für unser Institut tragbar?“ gemeinsam im Vorstand, nicht nur im Ambulanzbüro, verhandeln.
  • Regelmäßige Reflexionsräume schaffen
    • Einmal im Jahr einen Tag einplanen, an dem es nur darum geht:„Wie erleben wir unser Institut? Was tut gut, was erschöpft? Welche kleinen Änderungen wären sinnvoll?“
    • Diese Reflexion nicht als „Meckerrunde“ abtun, sondern als wichtigen Teil der Qualitätssicherung.

Solche Schritte würden zeigen: Die Institution nimmt ihre eigene Belastung ernst. Sie verlässt sich nicht mehr nur auf stille Opferbereitschaft. Sie erlaubt neue Formen von Verantwortungsübernahme, die auch für jüngere und mittlere Kolleg*innen realistisch sind.

5. Fazit in einfacher Form

Psychoanalytische Ausbildungsinstitute sind wichtige Orte. Ohne sie gäbe es keine Lehranalysen, keine strukturierte Weiterbildung, keine Ambulanzen für viele Patient*innen. Aber viele dieser Orte sind müde geworden. Zu lange haben sie sich darauf verlassen, dass „irgendjemand es schon macht“.

Der Text sagt: Es reicht nicht, mehr Appelle zu schicken. Es braucht neue Formen von Zusammenarbeit, die sowohl die Sache als auch die Menschen im Blick haben. Institute können lernen, „gut genug“ zu sein: stark genug, um zu halten, aber klug genug, um nicht alles über wenige Schultern laufen zu lassen.

Wenn es gelingt, die Räume so zu verändern, dass man dort als Person mit Grenzen und mit Stimme vorkommt, könnte die Erschöpfung vielleicht eines Tages weichen – und die Institution wieder etwas von dem zurückgewinnen, was sie einmal war: ein lebendiger Ort für Psychoanalyse, nicht nur ein Rahmen, der geführt und gefürchtet wird.

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Einleitung

Szenen des Unbehagens: Erschöpfte Lehrende, überforderte Ausbildungsteilnehmer*innen, leere Ämter

Man könnte diesen Essay an vielen Orten beginnen. Ich beginne mit drei Szenen, wie sie viele von uns kennen – und wie sie mir in den letzten Jahren in verschiedenen psychoanalytischen Kontexten immer wieder begegnet sind.

Eine Vorstandssitzung an einem psychoanalytischen Institut, Mittwochabend. Seit zwei Stunden versucht eine kleine Gruppe, die Ämter für das kommende Jahr zu besetzen. Die Liste der Funktionen – Ambulanzleitung, Fortbildungskommission, Ethikkommission, Aufnahmegremium, Curriculumskommission, Prüfungsbeauftragte – wirkt wie ein Wunschzettel, der zunehmend ins Leere läuft. Immer wieder formuliert jemand: „Wir brauchen dringend jemanden, der …“, und danach folgen Schweigen, ausweichende Blicke, ein Lachen, das mehr Verlegenheit als Heiterkeit ausdrückt. Eine Kollegin, seit Jahrzehnten engagiert, sagt mit hörbarer Anstrengung, sie könne „das jetzt wirklich nicht mehr“, ihre Kräfte reichten nicht. Ein jüngerer Kollege, frisch approbiert, blickt auf seine Hände und meint, er fühle sich „eigentlich noch nicht so weit“ für eine Leitungsrolle. Am Ende stehen Übergangslösungen, kommissarische Verlängerungen, die Hoffnung auf „spontane Kandidaturen“ – und ein schwer beschreibbares Gemisch aus Schuld, Enttäuschung und stiller Wut im Raum.

Eine zweite Szene spielt in einem Seminar zur Gegenübertragung und zu institutionellen Aspekten. Die Diskussion ist lebendig, die Studierenden und Ausbildungsteilnehmer*innen wirken engagiert. In der Pause erzählt eine Kandidatin im kleinen Kreis, sie denke darüber nach, ihre Ausbildung zu verlängern oder abzubrechen – nicht, weil sie die analytische Arbeit nicht schätze, im Gegenteil, sie erlebe die Stunden als zentralen Ort ihres beruflichen Sinns –, sondern weil sie das Gesamtpaket aus Klinikdienst, Ambulanztätigkeit, Ausbildungspflichten, Nebentätigkeiten und Familienarbeit kaum noch bewältige. „Ich würde mich ja gerne mehr im Institut engagieren“, sagt sie, „aber ich schaffe im Moment gerade so, die Woche zusammenzuhalten.“ Andere nicken, berichten von Krediten, von 50–60-Stunden-Wochen, davon, dass sie institutsinterne Veranstaltungen häufig verpassen, weil sie „keinen Abend mehr frei haben“. Mehrere sprechen davon, sich zugleich „zu viel“ (weil sie ständig an Grenzen geraten) und „zu wenig“ zu fühlen (weil sie „nicht richtig dazugehören“, wie eine es formuliert).

Die dritte Szene führt in eine Mitgliederversammlung eines psychoanalytischen Dachverbandes. Tagesordnungspunkte: Satzungsänderungen, Reform des Ausbildungssystems, Stellungnahmen zur neuen Weiterbildungsordnung, berufspolitische Positionspapiere. Die Redebeiträge kommen überwiegend von wenigen, meist älteren Mitgliedern, die in ihrer Argumentationsweise vertraut wirken, weil sie seit Jahren auf diesen Bühnen sprechen. Viele jüngere Kolleg*innen bleiben still; etliche sind gar nicht erschienen. Als sich die Versammlung dem Ende zuneigt, sagt ein Kollege halb ernst, halb ironisch: „Wir reden hier seit Stunden über die Zukunft der Psychoanalyse, aber die, die diese Zukunft sind, sitzen großenteils nicht im Raum.“ Es gibt Gelächter, ein Moment von Betroffenheit, ein angedeutetes Innehalten – dann drängt die Geschäftsordnung weiter, denn die nächsten Anträge müssen noch abgehandelt werden.

Solche Szenen lassen sich – mit Variationen – aus vielen Instituten und Verbänden berichten, im deutschsprachigen Raum ebenso wie international (Kirsner, 2000; Kernberg, 2000; Wiegand-Grefe, 2004). Sie bilden das Alltagsgesicht dessen, was ich im Folgenden die „erschöpfte Institution“ nennen möchte: eine Konstellation, in der psychoanalytische Ausbildungs- und Berufsorganisationen von hohem Engagement, großer Loyalität und differenzierter Reflexion leben, gleichzeitig aber unter Symptomen von Müdigkeit, Überlastung, Rückzug und einer eigentümlichen Lähmung der Partizipation leiden. Dieses Unbehagen ist kein Epiphänomen individueller Befindlichkeiten, sondern tritt seit den 1990er-Jahren in der Fachliteratur in unterschiedlichen Gewändern auf: als „Krise der psychoanalytischen Ausbildung“, als Nachwuchsproblem, als „innere Kündigung“ gegenüber Institutionen, als Überforderung von Ehrenamtlichen, als „Spaltungen“ und „Lager“ in Verbänden (Fonagy & Lemma, 2001; Kirsner, 2000; Kernberg, 2000; Wallerstein, 2000; Wiegand-Grefe, 2004). Parallel dazu sind die strukturellen Belastungen für Ausbildungsteilnehmer*innen und jüngere Kolleg*innen deutlich dokumentiert: hohe Ausbildungskosten, lange und prekäre Übergangsphasen (PiA/PiW), Verdichtung der klinischen Arbeit, veränderte Familien- und Erwerbsbiografien (Arbeit & Wiegand-Grefe, 2012; Schauenburg & Clarkin, 2015).

Die Erschöpfung, von der hier die Rede ist, erscheint vor diesem Hintergrund nicht als individuelles Versagen an der Anforderung, „sich einzubringen“, sondern als Ausdruck einer komplexen institutionellen Konstellation, in der psychoanalytische Ausbildung heute stattfindet. Diese Konstellation ist – so die Grundannahme dieses Essays – nicht allein durch äußere Faktoren (Gesetzgebung, Markt, Gesundheitspolitik) zu erklären, sondern weist eine eigene psychische und räumliche Logik auf.

Psychoanalyse als Praxis des Raums: Vom Behandlungszimmer zur Institution

Psychoanalyse ist von Beginn an eine Praxis des Raums gewesen. Das ikonographische Bild des Arbeitszimmers von Sigmund Freud in der Berggasse 19 – die Couch, der dahinter sitzende Analytiker, die mit Objekten und Büchern gefüllte Umgebung – ist nicht nur historisches Kuriosum, sondern Ausdruck einer Grundintuition: Psychische Prozesse benötigen einen bestimmten Raum, um sich entfalten zu können; analytische Arbeit konstituiert sich durch das Verhältnis von Innen- und Außenraum, durch Setting und Rahmen (Freud, 1913/1958). Die psychoanalytische Technik lässt sich kaum vom „Wie“ des Raums trennen: von der Konstanz von Zeit, Ort und Rolle, von der Art der Trennung und Verbundenheit zwischen Analytikerin und Patientin.

Spätere Autor*innen haben diese Raumdimension weiter ausgearbeitet. Winnicott (1960, 1971) beschreibt das Behandlungszimmer als „haltende Umgebung“ und „Übergangsraum“, in dem sich ein Zwischenbereich des Erlebens bildet, der weder rein intrapsychisch noch rein external ist. Dieser Raum des Spiels ermöglicht es, dass das Subjekt neue Bedeutungen und Selbst-Objekt-Konstellationen erproben kann. Ogden (1994) spricht vom „analytischen Dritten“, einem gemeinsam geschaffenen intersubjektiven Raum, der weder dem Analytiker noch dem Analysanden gehört, sondern aus deren Beziehung emergiert und in dem unbewusste Bedeutungen zirkulieren. Die Feldtheorie von Madeleine und Willy Baranger (1961/2009) versteht das analytische Setting als dynamisches Feld, in dem gemeinsame unbewusste Phantasien und Affekte nicht nur in den Einzelnen, sondern in der Atmosphäre des Raums verankert sind. All diese Ansätze betonen, dass Gelingen und Scheitern analytischer Prozesse nicht nur von intrapsychischen und dyadischen Faktoren abhängen, sondern von der Qualität der Räume, in denen diese Prozesse stattfinden: Räume können verengend, kontrollierend, vernichtend erlebt werden – oder öffnend, haltend, neugierig machend.

Erstaunlich wenig Aufmerksamkeit hat diese raumbezogene Perspektive lange Zeit auf die institutionellen Räume der Psychoanalyse gefunden: auf Seminarräume, Ambulanzen, Vorstandszimmer, Gremien und Mitgliederversammlungen. Während das Behandlungszimmer in zahllosen theoretischen und klinischen Texten beschrieben und reflektiert wurde, bleiben die Räume, in denen Ausbildung organisiert, Lehre durchgeführt, Prüfungen abgenommen, Ehrenämter verteilt und berufspolitische Auseinandersetzungen geführt werden, zumeist in der Peripherie des Diskurses. Dabei handelt es sich gerade hier um dicht besetzte, mehrschichtige Räume. Psychoanalytische Ausbildungsinstitute und ihre Verbände sind nicht nur abstrakte Organisationseinheiten, sondern komplexe Gebilde aus physischen Räumen (Gebäude, Flure, Praxen, Ambulanzen), symbolischen Räumen (Satzungen, Curricula, Rituale), intersubjektiven Räumen (Atmosphären, Beziehungen, Koalitionen, Konflikte) und transsubjektiven Räumen (Institutionengeschichte, unbewusste Aufträge, kollektive Phantasmen). In ihnen wird nicht nur gelehrt, geprüft und verwaltet, sondern über Jahre hinweg Identität gebildet, Zugehörigkeit erprobt, Loyalität investiert und enttäuscht, Schuld verteilt und Verantwortung übernommen.

Wenn im Folgenden von der „erschöpften Institution“ die Rede ist, geht es daher nicht um eine entleerte, abstrakte Organisationseinheit, sondern um ein psycho-räumliches Gebilde, in dem Menschen arbeiten, lernen, lehren und ihr „Psychoanalytiker*in-Sein“ inkorporieren. Dieses Gebilde ist aus psychoanalytischer Sicht selbst ein Objekt, das geliebt, gehasst, idealisiert, entwertet, benutzt und verlassen werden kann (Kaës, 1993, 2007). In konsequenter Anwendung des Raumgedankens ist es naheliegend, auch diese institutionellen Räume als Orte analytischer Betrachtung zu verstehen: Welche Atmosphären herrschen in ihnen? Welche unbewussten Allianzen und Abwehrformationen strukturieren sie? Wo entstehen Übergangsräume, in denen Neues erprobt werden kann – und wo werden Räume starr, verdichtend, ausschließend?

Problemstellung: Lethargie der Partizipation in Ausbildungskontexten

Vor diesem Hintergrund lässt sich die eingangs skizzierte Kombination aus erschöpften Vorständen, schwer zu besetzenden Lehrfunktionen und der stillen Abwesenheit vieler Mitglieder als Ausdruck einer „Lethargie der Partizipation“ verstehen. Mit diesem Begriff meine ich nicht, dass Menschen „zu bequem“ oder „zu unmotiviert“ wären, sich zu engagieren. Vielmehr geht es um ein Zusammenspiel aus strukturellen Bedingungen, libidinöser Ökonomie und unbewussten Prozessen, in dem die Bereitschaft, sich in institutionelle Räume einzubringen, allmählich erlahmt.

In der Fachliteratur werden verschiedene Dimensionen dieses Phänomens beschrieben. Strukturell sind die Belastungen in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen: Ausbildung ist teurer, länger und rechtlich komplexer geworden; Übergangsphasen zwischen Studium, Weiterbildung und Niederlassung sind von prekären Beschäftigungsformen geprägt; klinische Arbeitsbedingungen haben sich durch Verdichtung und ökonomischen Druck verändert (Arbeit & Wiegand-Grefe, 2012; Schauenburg & Clarkin, 2015). Organisatorisch werden in vielen Analysen autoritäre, intransparente oder konfliktscheue Strukturen benannt: starre Hierarchien, geschlossene „Altmitglieder“-Kerne, unklare Entscheidungswege, Gremienkulturen, in denen Kritik als illoyal gilt (Kirsner, 2000; Casement, 2005; Kernberg, 2000). Psychodynamisch ist mehrfach beschrieben worden, wie schnell sich in Ausbildungskontexten familiäre Rollenlogiken reinszenieren: Kandidat*innen geraten in Kindespositionen, Institute und Lehranalytiker*innen erscheinen als Elternfiguren, gegenüber denen man loyal sein will oder gegen die man „rebelliert“ (Benjamin, 1990; Kaës, 1993). Historisch schließlich wirken nicht aufgearbeitete Verstrickungen – etwa in der NS-Zeit – und wiederholte institutionelle Spaltungen als unbewusster „Bodensatz“, der Misstrauen gegenüber Kritik und Angst vor „Nestbeschmutzung“ verstärkt (Bohleber, 2007; Gödde & Tölle, 2017).

Diese Ebenen greifen ineinander: Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und junge Kolleg*innen sind unter hohem Zeit- und Finanzdruck; sie treffen auf Organisationen, in denen Macht und Zugehörigkeit oft intransparent sind; sie erleben die eigene Ambivalenz zwischen Identifikation mit der Psychoanalyse und Skepsis gegenüber konkreten Institutionen; und sie bewegen sich in Räumen, die von historischen Konflikten und unbewussten Aufträgen geprägt sind. Partizipation – im Sinne von offenem Mitdenken, Mitentscheiden und Mitverantworten – wird unter solchen Bedingungen zwar rhetorisch eingefordert, faktisch aber häufig zu einer riskanten, schwer einlösbaren Option. Statt lebendig geteilter Verantwortung entsteht vielerorts eine Dreiteilung zwischen einem überlasteten, meist älteren Kern von Funktionsträger*innen, einem kleinen Kreis stark identifizierter „Mitstreiterinnen“ und einer breiten, eher peripheren Mitgliedschaft, die zusieht, gelegentlich teilnimmt, aber institutionell nicht tief investiert ist.

In den Ausbildungsräumen selbst zeigt sich diese Lethargie paradoxerweise oft in einer Übererfüllung der zugewiesenen Rollen: Kandidat*innen absolvieren die geforderten Stunden in Klinik, Ambulanz, Lehranalyse und Supervision, liefern Falldokumentationen, bestehen Prüfungen – aber sie finden nur wenige Orte, an denen sie als zukünftige Trägerinnen der Institution, als Subjekte des Feldes angesprochen werden. Der Schritt von der Ausbildungsbiografie zur institutionellen Biografie – vom „Durchlaufen“ einer Weiterbildung zur aktiven Mitgestaltung ihrer Bedingungen – wirkt vielerorts brüchig.

Aus psychoanalytischer Sicht lässt sich diese Problematik nicht zufriedenstellend fassen, solange man sie primär als Summe individueller Kosten-Nutzen-Kalkulationen betrachtet. Wer ein Amt übernimmt, wer in eine Kommission geht, wer in einem Verband eine Rolle annimmt, reagiert nicht nur auf äußere Anforderungen, sondern immer auch auf das, was im institutionellen Raum an Affekten, Phantasien und Bedeutungen zirkuliert. Kaës (1993) spricht in diesem Zusammenhang vom „transsubjektiven Raum“: einem Raum, in dem individuelle, intersubjektive und institutionelle Prozesse ineinandergreifen und in dem Entscheidungen nie nur „privat“ sind. Die Diagnose der „erschöpften Institution“ und der „Lethargie der Partizipation“ zielt deshalb auf ein transsubjektives Geschehen: auf eine Konstellation, in der die libidinöse Bindung an Institutionen fragil geworden ist und strukturelle Bedingungen die Möglichkeit realer Teilhabe zusätzlich erschweren.

Leitfragen und Perspektive des Essays

Aus diesen Überlegungen ergeben sich die Leitfragen des Essays. Erstens: Wie lassen sich psychoanalytische Ausbildungsinstitute und ihre Verbände als institutionelle Räume beschreiben – nicht nur als organisatorische Einheiten, sondern als psycho-räumliche Gefüge mit physischen, symbolischen, intersubjektiven und transsubjektiven Dimensionen? Zweitens: Wie manifestiert sich das Unbehagen in diesen Räumen konkret – in welchen Formen von Nachwuchsproblemen, Überlastung, Abbrüchen, Konflikten und „innerer Kündigung“, wie sie in Literatur und Alltag beschrieben werden? Drittens: Welche psychodynamischen Konzepte helfen, diese Lethargie der Partizipation zu verstehen – insbesondere der Begriff des gruppenpsychischen Apparats (Kaës, 1993, 2007), die Vorstellung von Institutionen als Abwehrsystemen gegen Angst (Menzies Lyth, 1960/1988), Bions Theorie der Arbeits- und Grundannahmegruppen (Bion, 1961), Benjamins Thirdness (Benjamin, 2004) und die Idee einer libidinösen Ökonomie der Institution, in der Bindungen geknüpft (Liaison) und gelöst (Déliaison) werden? Viertens: Unter welchen Bedingungen können psychoanalytische Ausbildungskontexte partizipative Räume bleiben oder wieder werden; welche strukturellen und kulturellen Elemente wären kennzeichnend für eine „good enough Institution“, in der Partizipation nicht heroischer Selbstausbeutung gleichkommt, sondern als realistische, libidinell lohnende Möglichkeit erlebt wird?

Ich schreibe diesen Text nicht aus einer neutralen, externen Beobachterposition, sondern als Beteiligter: als Psychoanalytiker, der in Ausbildungskontexten lehrt, in Instituts- und Verbandsräumen anwesend ist und das hier beschriebene Unbehagen in eigener Erfahrung kennt. Diese Einbindung wird nicht kaschiert, sondern als Teil des Erkenntnisprozesses reflektiert. Psychoanalyse selbst hat uns gelehrt, dass Beobachtung nie völlig distanziert ist; der Blick auf Institutionen ist immer auch ein Blick auf die eigene Position in ihnen. In diesem Sinne ist der Essay zugleich Versuch einer theoretischen Klärung und Ausdruck eines persönlichen Ringens um einen Ort in erschöpften, aber noch nicht unbewohnbaren Räumen.

Aufbau des Beitrags

Der weitere Aufbau folgt einer Bewegung vom Allgemeinen zum Konkreten, vom Institut zur Verbandsstruktur und wieder zurück. Kapitel 2 skizziert zunächst das Feld psychoanalytischer Ausbildung in seinem historischen und berufsstrukturellen Wandel: die Entstehung der Institute, die Rolle der Fachgesellschaften, die Entwicklung der psychotherapeutischen Gesetzgebung seit den 1990er-Jahren und die daraus resultierenden Spannungen. Kapitel 3 entfaltet auf dieser Basis einen Raumbegriff psychoanalytischer Ausbildung: Es unterscheidet verschiedene institutionelle Räume – Seminarräume, Ambulanzen, Praxisräume, Gremienräume, intermediäre Arbeitsgruppen, digitale Formate – und fragt, wie in ihnen Positionen und Zugehörigkeit verteilt werden. Kapitel 4 sammelt die in der Literatur beschriebenen Problemlagen psychoanalytischer Ausbildungsinstitute: Nachwuchs- und Mittelbaukrise, Überlastung von Lehrenden und Funktionsträger*innen, ökonomische Prekarität, Konflikte um Standards und Identität. Kapitel 5 liest diese Phänomene mit Hilfe psychodynamischer Institutionentheorie: Kaës’ gruppenpsychischer Apparat, Menzies Lyths soziale Abwehrsysteme, Bions Grundannahmegruppen, Benjamins Thirdness und Konzepte der Déliaison bilden hier den theoretischen Rahmen. Kapitel 6 richtet den Blick auf Partizipation: Es klärt, was Beteiligung in Ausbildungskontexten heißen kann, beschreibt typische Hindernisse und diskutiert die Rolle von Generativität, Anerkennung und Angst in Engagement- und Rückzugsentscheidungen. Kapitel 7 skizziert die Konturen einer „good enough Institution“: Es versucht, aus der Literatur und eigenen Überlegungen Strukturmerkmale und Kulturpraktiken herauszuarbeiten, die partizipative Räume fördern können, ohne Überforderung zu verschleiern.

Kapitel 8 wendet diese Überlegungen auf exemplarische, vignettierte Szenen aus Instituten an. Die dort dargestellten Situationen – eine erschöpfte Vorstandssitzung, eine versandende Arbeitsgruppe, eine Mitgliederversammlung, in der Ausbildungsteilnehmer*innen unsichtbar bleiben, eine digitale Gremiensitzung und ein gelungener „Zukunftsraum“ – dienen als klinisch-literarisches Material, an dem das theoretische Raster erprobt wird.

Anfang Dezember 2025 ist nun neu hinzugekommen und für das Gesamtverständnis wichtig, das Kapitel 9, in dem die DGPT als Berufsverband und Fachgesellschaft in den Blick gerät. Dort werden die zuvor entwickelten Konzepte explizit auf Verbandsebene angewandt: Die Zukunftswerkstatt DGPT 2035, die Arbeitskonferenz „Aufbrüche in Krisenzeiten“, das berufspolitische Seminar „Institute im Übergang“ sowie Satzung, Beitragsordnung und Geschäftsordnung der Mitgliederversammlung werden als Szenen eines gruppenpsychischen Apparats gelesen, der die Erschöpfung und die Partizipationskonflikte des Feldes bündelt. Die DGPT erscheint hier als Labor, in dem sich die Krise psychoanalytischer Institutionen im großen Maßstab zeigt – und in dem zugleich erste Versuche einer „hinreichend guten“ Neuordnung sichtbar werden. Indem der Essay diesen Weg vom Behandlungszimmer über die Institutsräume bis in den Verband und zurück geht, hofft er, das Unbehagen, das viele Psychoanalytiker*innen in ihren institutionellen Kontexten erleben, nicht nur beschreibend zu begleiten, sondern theoretisch zu fassen und Ansatzpunkte für eine andere, weniger erschöpfende Form institutioneller Zugehörigkeit sichtbar zu machen.

Psychoanalytische Ausbildungskontexte im Wandel

Das Feld psychoanalytischer Ausbildung: ein Geflecht von Räumen

Psychoanalytische Ausbildung vollzieht sich selten an einem einzigen Ort. Sie findet in einem Geflecht unterschiedlicher Räume statt, die jeweils eigene Logiken, Atmosphären und Machtordnungen haben: Ausbildungsinstitute und ihre Seminarräume; Lehrpraxen und Ambulanzen; regionale und nationale Fachgesellschaften; universitäre und klinische Kontexte. In Deutschland etwa gibt es nach aktuellen Übersichten über hundert staatlich anerkannte Ausbildungsstätten für Psychotherapie, darunter mehrere Dutzend Institute, die psychoanalytische oder „verklammerte“ (tiefenpsychologisch-analytische) Ausbildungen anbieten. Klassisch ist das Bild des Instituts als Kernorganisationsform: In enger Anbindung an nationale und internationale Fachgesellschaften – etwa die International Psychoanalytical Association (IPA), nationale Gesellschaften wie DPV und DPG oder die American Psychoanalytic Association (APsaA) und die British Psychoanalytical Society (BPS) – stellen Institute den Rahmen für Lehranalyse, Supervision, Theorie- und Technikseminare, Fallvorstellungen und Prüfungen bereit (vgl. DGPT-Ausbildungsrichtlinien). Die Mitgliedschaft im Institut ist dabei mehr als eine organisatorische Zugehörigkeit: Sie wird häufig zur zentralen Referenz für die berufliche Identität als Analytiker*in, eingebettet in das „heilige tripartite Modell“ aus persönlicher Analyse, Kursen und Supervision, das Wallerstein als Struktur psychoanalytischer Ausbildung beschrieben hat (Wallerstein, 2000, zit. nach Glick, 2007). Douglas Kirsner (2000/2009) hat diesen Raum in seiner Studie Unfree Associations: Inside Psychoanalytic Institutes eindrücklich beschrieben: Er untersucht vier große Institute der American Psychoanalytic Association (New York, Boston, Chicago und Los Angeles) und zeichnet nach, wie in ihnen nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Zugehörigkeit, Loyalität, Exklusion und Macht verhandelt werden. Aus seiner Sicht sind psychoanalytische Institute „überdeterminierte“ Räume – zugleich Ausbildungsstätte, Berufsverband, soziale Heimat und Ort unbewusster Machtkämpfe.

Neben den Instituten spielen Lehrpraxen und Ambulanzen eine zentrale Rolle. In vielen Ländern – und besonders im deutschsprachigen Raum – erbringen Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen einen wesentlichen Teil der vorgeschriebenen Behandlungsstunden entweder in eigenen Praxen unter Supervision oder in von Instituten getragenen Ambulanzen. In den Richtlinien der DGPT etwa wird explizit festgehalten, dass Ausbildung die praktischen Behandlungen unter Supervision in einem geeigneten Rahmen – häufig in Institutsambulanzen – umfasst. Letztere erfüllen dabei eine doppelte Funktion: Sie sind Lernort für Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und zugleich Versorgungsstruktur für Patient*innen, oft mit sozial verträglichen Honoraren. In diesen klinischen Räumen verdichtet sich die Spannung zwischen Ausbildung, Versorgung und Ökonomie in besonderer Weise.

Dazu kommen die Verbandsräume: Nationale Berufs- und Fachverbände (z.B. DGPT als Spitzenverband der psychoanalytischen Fachgesellschaften, BPtK als Kammer, internationale psychoanalytische Vereinigungen) definieren Standards, vertreten die Interessen der Profession gegenüber Politik und Kostenträgern und wirken wiederum zurück auf die Institute, etwa über Anerkennungskriterien, Gutachterwesen oder Ausbildungsordnungen. Die DGPT formuliert beispielsweise bundesweit geltende Grundanforderungen an Selbsterfahrung, Supervision und Theorievermittlung und anerkennt derzeit mehr als 60 Aus- und Weiterbildungsinstitute. Die Ausbildungswege verlaufen heute meist „verklammert“ zwischen Institut, Praxis, Klinik und Verband: Typische Biographien umfassen universitäres Studium, eine mehrjährige institutsgebundene Weiterbildung, klinische Tätigkeit in psychiatrischen und psychosomatischen Kontexten, Supervision sowie institutionelle oder verbandliche Aktivitäten (vgl. AG Ausbildung der DGPT, 2008; Nübling et al., 2019).

Dieses Geflecht lässt sich räumlich fassen: Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und junge Kolleg*innen durchlaufen nacheinander und parallel Seminarräume, Ambulanzen, Stationszimmer, die eigenen Praxisräume, Vorstandszimmer und Kongresssäle. In all diesen Räumen wird „Ausbildung“ nicht nur im engen Sinne von Wissensvermittlung, sondern als Einführung in eine institutionelle Kultur vollzogen – in ein Feld von Räumen, in dem sich professionelle Identität, Zugehörigkeit und die Bereitschaft zur Teilhabe ausbilden oder eben auch erodieren.

Externe Rahmenbedingungen: Gesetzgebung, Gesundheitspolitik, Markt

Dieses Geflecht von Räumen ist in den letzten drei Jahrzehnten tiefgreifend durch gesetzliche und gesundheitspolitische Veränderungen geprägt worden. In Deutschland markiert das Psychotherapeutengesetz von 1998 einen Einschnitt: Erstmals wurde der Beruf „Psychologischer Psychotherapeut*in“ und „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in“ gesetzlich definiert und an eine staatlich geregelte Ausbildung mit Approbationsprüfung gebunden. Institute, die zuvor in erster Linie Fachgesellschaftseinrichtungen mit innereigenen Standards waren, wurden zu staatlich anerkannten Ausbildungsstätten mit klaren Stundenvorgaben, Prüfungen, Gutachterwesen und Qualitätssicherungsauflagen. Für viele Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen bedeutete dies eine doppelte Bewegung: Einerseits brachte die gesetzliche Verankerung eine Professionalisierung und Sichtbarkeit, andererseits entstanden neue Formen von Prekarität. Die bekannte Figur der „Psychotherapeutin in Ausbildung“ (PiA) beschreibt eine Person, die nach abgeschlossenem Studium mehrere Jahre in einem Spannungsfeld aus unbezahlten oder schlecht bezahlten klinischen Tätigkeiten, hohen Ausbildungsgebühren und intensiver Theorie- und Selbsterfahrungsarbeit lebt. Untersuchungen zeigen, dass ein beträchtlicher Teil dieser Gruppe während der Ausbildung mehrere Jobs kombiniert, Verschuldung in Kauf nimmt, Arbeitszeiten deutlich über 40 Stunden pro Woche berichtet und mit hoher Belastung und Zukunftssorgen konfrontiert ist (z.B. Engel et al., 2015; Nübling et al., 2019). Mit der Reform des Psychotherapeutengesetzes 2019 wird diese Landschaft erneut (mehr schlecht als recht, s. andere Artikel der Website) umgebaut. Die Approbation wird nun bereits im Rahmen eines polyvalenten, universitären Studiums erworben; die anschließende Phase wird als Weiterbildung konzipiert, die stärker an Kliniken, Praxen und Weiterbildungsverbünde angebunden ist. Für die bestehenden psychoanalytischen Institute stellt sich die Frage, welche Rolle sie in dieser neuen Struktur künftig einnehmen: Werden sie primär Weiterbildungsanbieter sein? Fortbildungszentren für bereits Approbierte? Oder gelingt es ihnen, als eigenständige psychoanalytische Institutionen sichtbar zu bleiben, die mehr sind als bloße Dienstleister für gesetzlich definierte Kompetenzen?

Auch in anderen Ländern werden psychoanalytische Ausbildungswege durch gesundheitspolitische Regelungen gerahmt. In den USA und Großbritannien konkurrieren psychoanalytische Institute mit universitären Programmen in „clinical psychology“, „counseling“ oder „psychotherapy“, die mit staatlich anerkannten Abschlüssen, fest strukturierten Curricula und oft attraktiveren Arbeitsbedingungen verbunden sind (Aron & Starr, 2013). In vielen europäischen Ländern sind psychotherapeutische Leistungen in unterschiedliche Kassen- und Privatlogiken eingebunden, meist mit eingeschränkter Vergütung für Langzeittherapien und eingeschränkten Ressourcen im öffentlichen Sektor. In Lateinamerika und Südeuropa spielt die Psychoanalyse oft eine stärkere kulturelle Rolle, steht aber gleichzeitig in ökonomisch fragileren Kontexten.

Überall lässt sich beobachten, dass die Außenwelt – Gesundheitspolitik, Markt, Universitäten – tiefer als früher in die inneren Angelegenheiten der Institute hineinwirkt. Akkreditierungen, Qualitätsstandards, Weiterbildungscurricula und Finanzierungsmodelle werden nicht mehr ausschließlich innerhalb der Institutsräume verhandelt, sondern in vielschichtigen Interaktionen mit staatlichen Stellen und externen Partnern. Das erzeugt Druck, Anpassungszwänge und neue Formen von Abhängigkeit, die sich im inneren Erleben der Ausbildungsräume niederschlagen. Die Institute stehen nicht mehr nur für eine bestimmte psychoanalytische Tradition, sondern auch für das Ringen um Sichtbarkeit und Überleben in einem eng getakteten, ökonomisierten Gesundheitssystem.

Problemlagen seit den 1990er-Jahren: Nachwuchs, Überlastung, Prekarität

Vor dem Hintergrund dieser veränderten Rahmenbedingungen ist in der psychoanalytischen Literatur seit den 1990er-Jahren ein deutlicher Zuwachs an Texten zu beobachten, die explizit Probleme psychoanalytischer Ausbildungsinstitute thematisieren. Dabei geht es nicht nur um abstrakte „Krisendiagnosen“, sondern oft um sehr konkrete Mängel: fehlende Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, Schwierigkeiten bei der Besetzung von Lehr- und Leitungsfunktionen, Überalterung der Mitgliedschaften, Überlastung von Engagierten und Abbruch von Ausbildungen. Viele Autor*innen beschreiben dabei Nachwuchsprobleme als ein zentrales Thema. In Berichten aus unterschiedlichen Ländern ist davon die Rede, dass Institute Mühe haben, genügend Bewerber*innen zu gewinnen, um ihre Ausbildungsprogramme zu füllen; gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Mitglieder, insbesondere der Lehranalytiker*innen (Kirsner, 2009; Wallerstein, 2000). In einigen Fällen wird von Lehranalytiker*innen berichtet, die weit über das Rentenalter hinaus in vielfältigen Funktionen aktiv bleiben, weil keine nachrückende Generation sichtbar ist, die Verantwortung übernehmen möchte. Dieses Bild eines „überalterten Kerns“ und einer relativ kleinen Zahl von Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen verbindet sich mit dem Gefühl, dass die institutionellen Strukturen an einem historischen Übergangspunkt stehen, ohne dass klar ist, wohin sich das System bewegt.

Parallel dazu werden Generations- und Machtkonflikte sichtbar. Ältere Analytiker*innen, die ihre berufliche Sozialisation in anderen rechtlichen und gesellschaftlichen Kontexten erfahren haben, tendieren dazu, bestimmte Ausbildungsmodelle, Theorieschulen oder Funktionslogiken zu verteidigen. Jüngere Kolleg*innen, die mit anderen biographischen Erfahrungen und oft mit anderen politischen und sozialen Sensibilitäten eintreten, erleben diese Strukturen nicht selten als starr, intransparent oder exklusiv. Die Spannungen reichen von unterschiedlichen Vorstellungen über Curricula bis hin zu divergierenden Haltungen zu Öffentlichkeit, digitalen Medien oder neuen Anwendungsfeldern der Psychoanalyse (Casement, 2005; Aron & Starr, 2013).

Hinzu kommt eine deutlich dokumentierte Belastungssituation von Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und jüngeren Kolleg*innen. Studien im deutschsprachigen Raum zeigen, dass die finanzielle Gesamtbelastung einer psychotherapeutischen Ausbildung erheblich ist; die Kosten für Lehranalyse, Supervision, Seminare und Prüfungsgebühren summieren sich schnell auf 50.000 bis teils über 100.000 Euro, zusätzlich zu Einkommenseinbußen durch reduzierte Erwerbstätigkeit während Ausbildung und Weiterbildung. Zugleich sind die Arbeitszeiten hoch, weil Ausbildung, klinische Tätigkeit und weitere Jobs parallel laufen (Engel et al., 2015; Nübling et al., 2019). Unter diesen Bedingungen wird es für viele zu einer Frage des nackten Überlebens, in welche institutionellen Aktivitäten sie sich darüber hinaus einbringen können – und welche sie sich schlicht nicht leisten können.

Die Konsequenz zeigt sich in Phänomenen von Drop-out und „hängenden“ Ausbildungen. Immer wieder wird berichtet, dass Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen Ausbildungen abbrechen, sie stark in die Länge ziehen oder nach Abschluss keinen institutionellen Anschluss mehr finden (Goretti, 2006; Wiegand-Grefe & Schattner, 2003). Gründe sind neben den genannten äußeren Belastungen auch Konflikte mit Lehranalytiker*innen, Enttäuschungen über die Kultur der Institute, das Erleben von Stagnation oder die Erfahrung, nicht als Subjekt ernst genommen zu werden. Wenn Ausbildung vor allem als überlange Bewährungsprobe erlebt wird, bleibt wenig innerer Raum, um das Institut als zukünftigen Ort von Mitgestaltung und gemeinsamer Arbeit zu fantasierten.

Auf Seiten der Institute, Fachgesellschaften und Ambulanzen wiederum wird ein Bild der Überlastung deutlich: Ein relativ kleiner Kreis von Personen trägt einen Großteil der Lehrtätigkeit, der Vorstandsarbeit, der Organisation von Veranstaltungen, der ambulanten Versorgung und der berufs­politischen Vertretung. Viele berichten von dem Gefühl, dass sie „nicht mehr können“ und dass es zugleich schwer ist, Aufgaben abzugeben – sei es aus Sorge um Qualität, aus Angst vor inneren Konflikten oder schlicht, weil sich niemand meldet. In dieser Konstellation kann sich leicht eine Spirale bilden: Je erschöpfter der Kern wird, desto weniger attraktiv erscheint das Engagement für andere, je weniger neue Menschen sich beteiligen, desto stärker erleben diejenigen, die tragen, sich allein gelassen.

Diese Problemlagen sind – und das ist für den vorliegenden Essay entscheidend – nicht einfach additive Symptome, sondern Ausdruck eines sich verändernden Feldes, in dem psychoanalytische Ausbildung heute stattfindet. Sie bilden die empirische Folie für die Frage, wie es zu einer „Erschöpfung der Institution“ kommt, und an welchen Punkten Wege in Richtung erneuter Belebung denkbar wären.

„Krise der Institute“ als wiederkehrendes Motiv

Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass in vielen Texten der letzten Jahrzehnte von einer „Krise der Institute“ oder „Krise der psychoanalytischen Ausbildung“ die Rede ist. Diese Formulierung taucht in unterschiedlichen Varianten auf, von nüchternen organisationssoziologischen Analysen bis zu kulturkritisch aufgeladenen Essays, die das Verschwinden der Psychoanalyse aus dem öffentlichen Raum beklagen. Otto Kernberg (1986, 2012) hat bereits früh und mit großer Schärfe institutionelle Probleme psychoanalytischer Ausbildungssysteme benannt. Er beschreibt Institute, deren Strukturen autoritäre Tendenzen verstärken, in denen Rollen vermischt sind – Lehranalytiker*innen sind zugleich Prüfer*innen, Supervisor*innen und Entscheidungsträger*innen – und in denen Abweichungen von der vorherrschenden Theorielinie inoffiziell sanktioniert werden. In solchen Konstellationen, so seine Diagnose, werden nicht nur Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen in Loyalitätskonflikte gebracht; die Institute selbst laufen Gefahr, sich zu verschließen und damit langfristig ihre eigene Basis zu zerstören.

In Douglas Kirsners (2009) bereits anklingender Studie untersuchte er amerikanische Institute und beschrieb sie als Räume, in denen sich Züge von Zunft, Familie und quasi-religiöser Gruppe überlagern. Er zeigt, wie stark unbewusste Prozesse von Idealisierung und Entwertung, von Zugehörigkeit und Ausschluss in diesen Räumen wirksam sind – und wie schwierig es ist, unter diesen Bedingungen eine Kultur der offenen Kritik und Mitgestaltung zu etablieren. Das Narrativ der „Krise“ erscheint in seinen Interviews deshalb nicht nur als Beschreibung äußerer Umstände, sondern als Ausdruck eines inneren Gefühls, dass etwas mit der Weise, wie Ausbildung organisiert ist, nicht stimmt.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass dieses Krisenmotiv ambivalent ist. Es kann – und das ist die produktive Seite – dazu beitragen, bislang unausgesprochene Schwierigkeiten zu benennen, Reformprozesse anzustoßen und die eigene Praxis kritisch zu befragen. Es kann aber auch zu einem Abwehrmechanismus werden, etwa wenn Krisendiagnosen vor allem auf äußere Faktoren zielen („Die Politik“, „die Ökonomisierung“, „die jungen Leute von heute“) und die Frage nach den eigenen institutionellen Mustern ausgespart bleibt. An dieser Stelle setzt das Anliegen des vorliegenden Essays an: Die „Krise der Institute“ soll nicht geleugnet oder klein geredet werden, aber sie soll so betrachtet werden, dass innere und äußere Dimensionen unterscheidbar und zugleich in ihrer Verschränkung sichtbar werden.

Zwischen Profession, Ehrenamt und Verein: strukturelle Spannungen

Ein Schlüssel zum Verständnis der beschriebenen Verschränkung liegt in der besonderen Struktur psychoanalytischer Ausbildungsinstitute. Sie sind – formal betrachtet – häufig als gemeinnützige Vereine oder Non-Profit-Organisationen organisiert: demokratische, rechtlich relativ schlanke Gebilde, die auf der freiwilligen Mitarbeit ihrer Mitglieder beruhen. Inhaltlich sind sie jedoch Träger einer hochkomplexen Professionalisierung, die eine jahrelange, intensive Ausbildung, die Übernahme von Verantwortung für Patient*innen und die Entwicklung eines hohen Reflexionsniveaus verlangt (AG Ausbildung in der DGPT, 2008; Walz-Pawlita et al., 2008; Wallerstein, 2007).

Diese Doppelgestalt – hier Verein, dort Professionseinrichtung – erzeugt strukturelle Spannungen. Auf der einen Seite stehen fachliche Anforderungen, die eher an eine Hochschule oder eine Fachklinik erinnern: Curriculumsentwicklung, Prüfungswesen, Qualitätssicherung, Kooperation mit Universitäten und Kliniken, Forschung, Fort- und Weiterbildung. Auf der anderen Seite werden viele dieser Aufgaben im Rahmen unbezahlter oder nur symbolisch vergüteter Gremienarbeit geleistet. Lehrende, Supervisor*innen und Funktionsträgerinnen arbeiten in vielen Kontexten überwiegend auf ehrenamtlicher Basis; auch die angloamerikanische Literatur weist explizit darauf hin, dass psychoanalytische Ausbildung traditionell auf „part-time, voluntary faculty“ beruht (Wallerstein, 2007; Lafont et al., 2024). Martindale (2022) zeigt für verschiedene europäische Länder, wie stark psychoanalytische Ausbildungs- und Versorgungsleistungen – besonders in Krisenregionen – auf un- oder unterbezahlter Arbeit, Zusatzengagement und freiwilligen Strukturen beruhen.

Vergleichsstudien zu freiwilligen Organisationen wie die von Enjolras (2009) machen deutlich, dass Governance-Strukturen von Vereinen typischerweise auf ehrenamtlichen Vorständen, schwachen Eigentumsrechten und stark normativ aufgeladenen Zielen beruhen – eine Konstellation, die sehr gut auf psychoanalytische Institute passt. Manche Institute, wie etwa des San Francisco Center for Psychoanalysis beschreiben sich selbst gar explizit als „volunteer-driven organizations“, aber auch ohne Selbstbeschreibung arbeiten Boards und Committees überwiegend ehrenamtlich oder gegen geringe Entgelte. Je nach historischer Tradition und Größe des Instituts fallen diese Spannungen unterschiedlich aus. Mancherorts ist das Institut relativ klar als Professionseinrichtung mit stabiler Verwaltungslogik etabliert, mit Geschäftsführung, angestellten Mitarbeiter*innen und klaren Zuständigkeiten; andernorts dominieren weiterhin persönliches Engagement, informelle Netzwerke und eine Kultur, die der ursprünglichen „Schule um den Meister“ näher steht als einer modernen Organisation (Kirsner, 2009). In beiden Fällen bleibt die zentrale Frage dieselbe: Wer trägt die Last der Struktur? Wenn eine überschaubare Anzahl von Personen über Jahre hinweg die Hauptverantwortung für Lehre, Organisation, Ambulanz, Gremienarbeit und berufspolitische Vertretung übernimmt, sind Phänomene der Erschöpfung fast zwangsläufig. Dass internationale Berichte immer wieder dieselbe Figur zeichnen – „eine kleine, hochengagierte Kernmannschaft“ gegenüber einer großen, eher peripheren Mitgliedschaft – ist vor diesem Hintergrund kaum überraschend (Kirsner, 2000; Kernberg, 1986; Martindale, 2022).

Zugleich entsteht eine paradoxe Situation für jüngere Kolleg*innen. Sie sollen – im Sinne generativer Kontinuität – in diese Strukturen hineinwachsen, werden aber mit Institutionen konfrontiert, die in ihrer Organisation nicht selten aus einer anderen Zeit stammen: wöchentliche Abendgremien in Präsenz, oft nach einem vollen Praxis- oder Kliniktagespensum; mehrstündige Sitzungen mit dichten Papierordnern, in denen lange Protokolle verlesen werden; eine Kommunikation, die stark auf Schriftlichkeit und implizite Gepflogenheiten setzt; geringe Nutzung digitaler Möglichkeiten, die Teilnahme erleichtern könnten. Hinzu kommt – um dies nur nebenbei zu sagen – in manchen Kontexten eine gewisse Rigidität in der Frage, was als „eigentlich psychoanalytisch“ gilt und welche neueren Formen psychodynamischer Psychotherapie, Kurzzeitverfahren, Gruppen- oder Onlineformate eher als randständig oder verwässernd wahrgenommen werden – Debatten, die in verschiedenen Ländern dokumentiert sind (Aron & Starr, 2013; Gödde & Tölle, 2017; Martindale, 2022). 

Für viele, die unter Bedingungen verdichteter Arbeitstage, fragmentierter Erwerbsbiografien und vielfältiger Care-Verantwortung sozialisiert sind, wirken diese Strukturen nicht nur altmodisch, sondern schlicht nicht kompatibel mit ihrem Alltag. Engagement erscheint dann weniger als Möglichkeit, die Zukunft der Institution mitzugestalten, sondern als Risiko, in einem bereits erschöpften System zusätzlich gebunden zu werden – ohne Garantie, dass sich die eigene Anstrengung in spürbarer Veränderung niederschlägt.

Das Bild der „erschöpften Institution“ lässt sich vor diesem Hintergrund als Chiffre für ein Feld lesen, in dem Professionalisierungsanspruch, rechtliche Anforderungen, ökonomische Realität und Vereinslogik in einem fragilen Gleichgewicht stehen. Ausbildungskontexte sind heute überlagert von Erwartungen, die teilweise miteinander kollidieren: Sie sollen qualitativ hochwertige, zeitgemäße Ausbildung sichern; sie sollen attraktiv für Nachwuchs sein; sie sollen im Gesundheitssystem bestehen und berufspolitische Arbeit leisten; sie sollen zugleich die Traditionen und Werte der Psychoanalyse bewahren. In einem solchen Feld ist es nicht erstaunlich, dass Partizipation zur heiklen Frage wird. Sie verlangt nicht nur Bereitschaft, sondern auch reale Ressourcen – Zeit, Geld, symbolische Anerkennung – und eine institutionelle Kultur, die Beteiligung ermöglicht, ohne die Beteiligten zu verschleißen. Dass diese Bedingungen vielerorts nur unzureichend erfüllt sind, spiegelt sich in den Szenarien von Überlastung, Rückzug und „Leerlauf“ in Gremien, die im weiteren Verlauf des Essays genauer analysiert werden.

Im nächsten Kapitel wird der Blick deshalb enger auf die konkreten institutionellen Räume gelenkt, in denen Ausbildung sich vollzieht. Dort soll deutlich werden, wie sich diese strukturellen Spannungen räumlich niederschlagen: in Seminar- und Ambulanzen, in Praxen und Vorstandszimmern, in Arbeitsgruppen und digitalen Meetingräumen – und wie sich in ihnen das Unbehagen und die Möglichkeiten der Partizipation verdichten.

Institutionelle Räume der psychoanalytischen Ausbildung

In den bisherigen Überlegungen ist deutlich geworden, dass psychoanalytische Ausbildung nicht nur eine Abfolge von Seminaren, Prüfungen und Behandlungen ist, sondern sich in einem Geflecht von Räumen vollzieht. Dieses Kapitel nähert sich diesen Räumen jetzt genauer: nicht im Sinne eines vollständigen organisationssoziologischen Katalogs, sondern als Versuch, eine psychoanalytische Topographie der Ausbildungskultur zu zeichnen. Es geht darum, wie diese Räume gestaltet sind, welche Subjektpositionen sie anbieten – und wo sich bereits in ihrer Struktur Hinweise auf Unbehagen und Erschöpfung finden.

Seminarräume: Orte der Lehre und der stillen Anpassung

Der Seminarraum ist vielleicht der sichtbarste institutionelle Raum der Ausbildung. Hier kommen Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen zusammen, um Texte zu lesen, Konzepte zu diskutieren, Fallvignetten zu besprechen. Von außen betrachtet könnte man meinen, dies sei der „harmloseste“ Raum – ein Ort der Wissensvermittlung, intellektuellen Auseinandersetzung und kollegialen Begegnung. Aus psychoanalytischer Perspektive ist er allerdings ein hoch aufgeladener Raum, in dem sich mehrere Ebenen überlagern (vgl. Wallerstein, 2007; Widmer, 2002).

Zunächst trägt der Seminarraum eine physische und atmosphärische Signatur: die Größe und Lage des Raums, der Zustand der Stühle und Tische, die Präsenz oder Abwesenheit von Fenstern, der Blick auf die Stadt oder in einen Hinterhof, die Temperatur am Abend nach einem langen Arbeitstag – alles bereits Faktoren, die auch die Lernbedingungen gestalten(Pressly & Heesacker, 2001; Lindahl et al., 2024). In vielen Berichten über Ausbildungssituationen wird oft das Gefühl beschrieben, „in einen zu vollen, schlecht gelüfteten Raum“ zu kommen, nachdem man bereits einen vollen Tag in Klinik oder Praxis hinter sich hat; die irritierende Präsenz eines porösen Teppichs oder eines improvisierten Beamers, der nicht richtig funktioniert. Atmosphäre entsteht nicht nur durch die Worte, sondern auch durch die Hülle – und der Seminarraum ist hierfür ein ausgesprochen sensibler Ort.

Gleichzeitig ist der Seminarraum ein symbolischer Raum, in dem sich Vorstellungen von „richtiger Psychoanalyse“, von Schule, Tradition und Authentizität verkörpern. Wer entscheidet über die Themen und Texte? Welche Theorien gelten als Pflichtlektüre, welche erscheinen nur am Rand oder gar nicht? Welche Debatten werden ausdrücklich geführt und welche implizit unterdrückt? Es macht einen Unterschied, ob ein Institut einen pluritheoretischen Kanon pflegt, in dem Freud, Klein, Winnicott, Lacan, Bion, relational orientierte Autor*innen und neuere Entwicklungen nebeneinander vorkommen, oder ob eine spezifische Schule den Ton angibt und Abweichungen eher als Störung denn als Bereicherung erlebt werden (vgl. Gödde & Tölle, 2017; Martindale, 2022). Die Standards der American Psychoanalytic Association etwa betonen ausdrücklich, dass „classroom teaching“ Kandidat*innen befähigen soll, unterschiedliche Modelle zu vergleichen, zu diskutieren und kritisch zu prüfen – und nicht nur einen Kanon zu übernehmen (APsaA, 2021).

Für Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen ist der Seminarraum schließlich ein intersubjektiver und gruppenpsychischer Raum, in dem sich Zugehörigkeit und Ausschluss unmittelbar körperlich zeigen. Wer spricht wann? Wer fühlt sich berechtigt, Fragen zu stellen, Kritik zu äußern, eigene klinische Erfahrungen einzubringen? Wer bleibt eher still, beobachtet, versucht, „nichts Falsches“ zu sagen? Die Figur der Lehrenden spielt dabei eine zentrale Rolle. Lehranalytiker*innen oder erfahrene Dozentinnen sind zugleich Wissensträger*innen, Gatekeeper und Repräsentant*innen der Institution. Ihre Art, miteinander und mit Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen zu sprechen, modelliert, was in der Institution als zulässig gilt: Dürfen Differenzen, emotionale Resonanz und Zweifel geäußert werden – oder dominiert ein Ton fallorientierter „Richtigkeit“, in dem Unsicherheit schnell als Unkenntnis markiert wird? Arbeiten zur Didaktik psychoanalytischer Lehre weisen darauf hin, dass sich im Seminarraum oft früh entscheidet, ob Kandidat*innen sich als Subjekte des Lernens erleben oder als Objekte einer Prüfungsinstanz (Widmer, 2002; Wiegand-Grefe, 2004).

Viele Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen berichten, dass sie in den Seminaren zunächst eher lernen, wie man sich im Institut zu bewegen hat, als dass sie lernen, psychoanalytisch zu denken (vgl. Wiegand-Grefe, 2004). Man erfasst, welche Theorien besonders hoch angesehen sind, welche Namen immer wieder fallen, wie man sich sprachlich und mimisch verhalten muss, um nicht anzuecken. Diese Sozialisation ist in gewisser Weise unvermeidlich; jede Institution hat ihren Stil. Problematisch wird es, wenn der Seminarraum primär zu einem Ort stiller Anpassung wird, in dem das Risiko, die eigene Perspektive einzubringen, zu hoch erscheint.

Unter Bedingungen, in denen Lehrende selbst erschöpft sind, wenig Zeit für Vorbereitung haben und in einer Kultur arbeiten, die Konflikte eher meidet, kann der Seminarraum leicht seine Funktion als Übergangsraum im Sinne Winnicotts verlieren. Statt ein Ort des gemeinsamen Spielens mit Theorien, Fällen und Konzepten zu sein, wird er dann zu einem Ort, an dem „Stoff durchgenommen“ wird. Die Luft wird dünn für spontane Regungen, Experimente, Irritationen – und damit auch für partizipatives Lernen im tieferen Sinne. Studien zu erfahrungsbasiertem Lernen in psychodynamischen Seminaren zeigen, dass gerade dort, wo Spielerisches, Rollenerleben und Selbstreflexion zugelassen werden, subjektiver Kompetenzzuwachs und Motivation steigen (z.B. Schauenburg & Kollegen, 2019). Wo hingegen vorrangig Inhalte abgearbeitet werden, berichten Teilnehmer*innen eher von Distanz, Anpassung und dem Wunsch, „das Pflichtprogramm“ möglichst reibungslos zu erfüllen.

So betrachtet ist der Seminarraum ein Knotenpunkt, an dem sich strukturelle, kulturelle und psychodynamische Bedingungen der Ausbildungskultur auf engstem Raum verdichten. Er ist – je nach Gestaltung – entweder ein zentraler Ort lebendiger Subjektivierung im Institut oder ein früher Schauplatz der Lethargie, in dem sich bereits abzeichnet, warum viele nach der Ausbildung wenig Lust verspüren, sich institutionell weiter einzubringen.

Klinische Lernräume: Ambulanzen, Lehrpraxen, Supervision

Wenn der Seminarraum die Bühne des expliziten Diskurses ist, sind die Ambulanzen (oder die eigenen formal an die Ambulanzen angeschlossenen Praxis-Räume), Lehrpraxen und Supervisionsräume die Orte, an denen die Ausbildung auf das reale Leiden von Patient*innen trifft. Diese Räume tragen eine eigene Schwere. In ihnen werden erste Analysen geführt, Diagnosen gestellt, Therapiepläne mit Kostenträgern verhandelt, Krisen aufgefangen. Ausbildungsambulanzen sind im deutschsprachigen Raum fest in die Weiterbildung integriert: Sie sind eng mit den postgradualen Ausbildungsstudiengängen verknüpft, Kandidat*innen behandeln dort unter Supervision und erfüllen gesetzlich vorgeschriebene Stundenzahlen in einem formalisierten Rahmen (vgl. PHB-Ausbildungsambulanz; PsychThApprO). Die Organisation der Ambulanz – Wartelisten, Zuweisung von Fällen, Dokumentation – ist eingebettet in gesundheitsrechtliche Vorgaben und Qualitätssicherungsprojekte (Heymann et al., 2015). Nicht selten stehen Ambulanzen auch finanziell unter Druck; sie müssen wirtschaftlich geführt werden, dürfen aber ihre Ausbildungsfunktion nicht verfehlen. Für Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen bedeutet dies, dass sie in diesen Räumen in einer Doppelrolle stehen. Sie sollen gleichzeitig lernen und funktionieren. Sie tragen Verantwortung für Menschen in schweren Krisen, arbeiten oft mit hoher Fallzahl, müssen Berichte, Anträge und Dokumentationen verfassen und sich in der Logik von Gutachter*innen bewegen, die ihrerseits einer anderen Rationalität folgen als die psychoanalytische Theorie. Befragungen von Ausbildungsteilnehmer*innen im Rahmen des Forschungsgutachtens zur Psychotherapeutenausbildung zeigen, dass gerade die Arbeit in Ambulanzen und Lehrpraxen als stark belastend erlebt wird: hohe Fallzahlen, unsichere Honorierung, konkurrierende Anforderungen von Klinik, Ausbildung und Privatleben (Walz-Pawlita et al., 2008; Nübling et al., 2019). In der Supervision erfahren sie dann – idealerweise – einen Raum der Reflexion, in dem nicht nur technische Fragen, sondern auch Übertragungs-, Gegenübertragungs- und institutionelle Aspekte bearbeitet werden können. Klassische und neuere Arbeiten betonen die Komplexität dieses Settings: Supervision ist zugleich Lehrform, Containment und Ort, an dem das „System der Interaktion“ zwischen Patientin, Kandidat*in und Institution verstanden werden soll (Szecsödy, 1994; Dewald, 1969; Harel, 2022).

Diese Ambivalenzen betreffen allerdings nicht nur die Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, sondern ebenso die Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen. Auch sie stehen in einer Doppel- oder Dreifachrolle: Sie führen eigene Praxen oder sind klinisch tätig, übernehmen Lehranalysen, Einzelsupervisionen und Gruppensupervisionen, nehmen Prüfungsaufgaben wahr und tragen oft zusätzlich Funktionen in Vorständen, Curriculumsgruppen oder Ambulanzenleitungen. Internationale Berichte zur Situation psychoanalytischer Institute weisen darauf hin, dass die Mehrzahl der Lehrenden und Supervisor*innen ihre Lehrtätigkeit neben einer vollen klinischen Arbeit ausübt, häufig auf freiwilliger oder nur symbolisch vergüteter Basis (Wallerstein, 2007; Kirsner, 2009). Studien zur Arbeitsbelastung von Psychotherapeut*innen zeigen, dass die Kombination aus hoher klinischer Fallzahl, zusätzlichen Lehr- und Supervisionsverpflichtungen sowie Gremienarbeit die Gefahr von Überlastung und Burnout deutlich erhöht, insbesondere wenn institutionelle Anerkennung und strukturelle Entlastung begrenzt sind (Van Hoy et al., 2022; Goßmann et al., 2023).

In der Praxis bedeutet dies, dass Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen selbst oft in einem Spannungsfeld aus generativem Anspruch und struktureller Überforderung leben. Sie möchten Ausbildungsteilnehmerinnen fördern, Fälle sorgfältig begleiten und institutionell Verantwortung übernehmen, müssen dies aber in Zeitfenster pressen, die zwischen Sitzungen, Berichten und privatem Leben liegen. Wenn sie gleichzeitig zahlreichen Anfragen von Kandidat*innen begegnen – „können Sie mich supervidieren?“, „würden Sie meine Lehranalyse übernehmen?“, „könnten Sie diese zusätzliche Funktion übernehmen?“ –, kann aus dem Wunsch, zu unterstützen, eine dauerhafte Überdehnung werden. Einige berichten, dass sie Supervisionen eher nach Kapazität als nach inhaltlicher Passung übernehmen müssen, weil die Nachfrage so groß ist; andere lehnen vermehrt Anfragen ab, was ihrerseits Schuldgefühle und Konflikte auslösen kann.

Auch hier besteht die Gefahr, dass Überforderung individualisiert wird: als „mangelnde Bereitschaft“ von Lehranalytiker*innen, als „zu wenig Engagement“ oder „zu viel Abgrenzung“, statt als Ausdruck struktureller Grenzen. Die erschöpfte Institution zeigt sich in klinischen Lernräumen somit auf beiden Seiten: in der Belastung der Kandidat*innen und in der Belastung derjenigen, die ausbilden. Wenn Supervision zunehmend zur Reparaturstelle für systemische Überforderungen wird – sowohl der Kandidat*innen als auch der Supervisor*innen –, ist der Raum bedroht, seine eigentliche Funktion zu verlieren.

Supervisionsräume selbst sind zugleich intime und institutionelle Räume. In ihnen zeigt sich, wie durchlässig die Ausbildungskultur für Fragen der Institution ist. In manchen Settings wird explizit eingeladen, auch über die institutionellen Bedingungen der Arbeit zu sprechen, über Unzufriedenheiten mit der Ambulanzorganisation oder über Spannungen zwischen Institutsvorgaben und klinischer Realität. In anderen werden solche Themen eher als „off topic“ markiert, als Störung der eigentlichen, „reinen“ Falldiskussion. Beiträge zur Bedeutung von Gruppensupervision betonen, dass gerade dort, wo die institutionelle Dimension der Arbeit mitreflektiert wird, Lernprozesse vertieft und Isolationserfahrungen gemildert werden können (Szecsödy, 1994; Harel, 2022; „Learning through ourselves“, 2011).

Die Art, wie klinische Lernräume strukturiert sind, hat damit direkten Einfluss auf die Erfahrung von Partizipation. Wo Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen die Möglichkeit haben, ihre Situation, ihre Belastungen und ihre Perspektive auch in Bezug auf die institutionellen Rahmenbedingungen einzubringen und Resonanz zu finden, entsteht ein Gefühl, ernstgenommen und beteiligt zu sein. Wo Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen ihrerseits Raum finden, eigene Überlastung, Konflikte und institutionelle Spannungen zu benennen, ohne als „illoyal“ oder „nicht tragfähig“ zu gelten, kann sich auch auf dieser Seite eine subjektive Beteiligungskultur entwickeln. Wo hingegen beide Gruppen ihre Lage vor allem als individuellen Mangel erleben – „Ich bin zu schwach“, „Ich kriege das schlecht organisiert“, „Ich müsste mehr machen“ –, verschiebt sich die Frage von Teilhabe und Mitgestaltung in den Bereich des Unaussprechlichen.

Praxisräume: Zwischen Individuum und Institution

Der eigene Praxisraum bildet für viele Analytiker*innen das Zentrum des beruflichen Lebens. Er ist der Ort, an dem sie, oft über Jahrzehnte, Analysen und Therapien durchführen, Menschen über lange Zeiträume begleiten, Krisen und Entwicklungen sehen. Für Ausbildungsteilnehmer*innen ist die Einrichtung eines eigenen Praxisraums oft ein Übergangsmoment: Man löst sich langsam aus der Rolle der Kandidatin und nimmt eine Position als eigenständiger Behandler*in ein, auch wenn weiterhin Supervision und Instituteinbindung bestehen.

In der Ausbildungsschrift erscheint dieser Raum häufig als individuelle Sphäre: eigenständig, privat, im besten Fall relativ frei von den inneren Konflikten der Institute. Tatsächlich ist er jedoch eng mit dem institutionellen Feld verknüpft. Die Zahl der Kassenplätze, die Höhe der Miete, die Lage der Praxis in einem Stadtteil, die Frage, ob sie allein oder in Gemeinschaft geführt wird – all das ist eingebettet in berufs- und gesundheitspolitische Rahmen.

Die Praxis ist der Ort, an dem sich sehr konkret entscheidet, wie viel ökonomischer und zeitlicher Spielraum jemand hat, um neben der Patientenversorgung noch Energie in Instituts- oder Verbandsarbeit zu investieren. Für viele niedergelassene Psychotherapeut*innen gilt heute: Mit einer gut ausgelasteten Praxis lassen sich – je nach Kassensitz, Privatanteil, Region und Kostenstruktur – Umsätze im hohen fünfstelligen Bereich erzielen, zum Teil auch darüber. Rechnet man nur überschlägig mit etwa 110 Euro Honorar pro 50-minütiger Einzelsitzung in der gesetzlichen Versorgung – ein Wert, der sich aus den aktuellen EBM-Bewertungen und dem bundeseinheitlichen Orientierungswert für 2024/2025 ergibt – und mit 18 bis 25 solcher Sitzungen pro Woche, ergänzt um probatorische Sitzungen, Akutbehandlung und eventuell privat abgerechnete Stunden, ist man schnell bei 25 bis 35 klinischen Stunden. Hinzu kommen Organisation, Dokumentation, Abrechnung, Telefonate und Fortbildung. Realistisch arbeiten viele in einem Bereich von 40 bis 50 Praxisstunden pro Woche, (manche noch mehr) wenn die Praxis gut läuft.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Allokationsfrage ein Gesicht: Jede Stunde, die nicht mit Patient*innen verbracht wird, sondern in ein Gremium, eine Vorstandssitzung, die Vorbereitung eines Seminars oder eine Supervision von Ausbildungsteilnehmer*innen geht, ist nicht abstrakt „ehrenamtliche Zeit“, sondern Zeit, die entweder nicht abgerechnet wird – also potenziell Einkommen kostet – oder aus dem persönlichen Regenerationskonto abgezogen wird. Zwei zusätzliche Sitzungen pro Woche, die zugunsten von Institutsarbeit entfallen, entsprechen im Jahr schnell einem mittleren vierstelligen Betrag an entgangenem Honorar – oder, wenn man sie trotzdem erbringt, zwei Stunden weniger freie Zeit pro Woche. Diese Rechnungen machen verständlich, warum Kolleg*innen, die ohnehin viele Stunden arbeiten oder familiäre Verpflichtungen haben, ihr Engagement sehr genau dosieren.

Für viele junge Kolleg*innen ist die Praxis deshalb ein Ort ambivalenter Freiheit. Einerseits eröffnet sie einen Raum, in dem man endlich selbst gestalten kann, ohne ständig in der Rolle des Beurteilten zu sein. Andererseits stellt sie hohe Anforderungen an Organisation, Akquise, interne Strukturierung und Selbstsorge. Wo die ökonomische Grundlage fragil ist – etwa bei niedriger Fallzahl, unsicherer Kassenzulassung, hohen Fixkosten oder hohem Anteil schlecht vergüteter Leistungen – kann der Praxisraum zu einem Ort der latenten Angst werden. In dieser Situation fällt es schwer, die eigenen Kräfte darüber hinaus in eine Institution einzubringen, deren Nutzen und Anerkennung nicht unmittelbar erfahrbar sind. Die Entscheidung, ein Amt abzulehnen, eine Lehrtätigkeit nicht anzunehmen oder sich nur punktuell in Gremien zu engagieren, ist dann oft keine Frage von mangelndem Interesse, sondern von Ressourcenschutz.

Praxisräume bilden daher eine Art Scharnier zwischen individueller und institutioneller Welt. In ihnen verdichtet sich, was in Ausbildung und Erwerbsbiografie vorbereitet wurde: die Fähigkeit, Räumen Halt zu geben, zugleich aber auch die Frage, inwieweit die Institution ihrerseits diesen Raum trägt. Wenn die Botschaft aus den Ausbildungs- und Verbandsräumen lautet: „Wir brauchen dich, um den Laden am Laufen zu halten, aber wir können dir wenig bieten außer Status und einem kleinen Honorar“, dann erscheint der Rückzug in den praxisbezogenen Mikrokosmos nicht nur verständlich, sondern oft als psychische Notwendigkeit. Eine Institution, die Partizipation ernst meint, müsste diese Allokationsfrage nicht moralisieren, sondern mitdenken: Wie können Ämter und Lehrfunktionen so zugeschnitten und anerkannt werden, dass sie nicht in einem schlichten Nullsummenspiel mit Einkommen und Gesundheit stehen?

Instituts- und Verbandsräume: Gremien, Versammlungen, Fachgesellschaften

Während Seminarräume und Praxen oft eine vergleichsweise klare Struktur haben – hier Lehre, dort Behandlung –, sind die Räume der Institute und Verbände häufig die diffusesten. Vorstandszimmer, Kommissionsräume, große Mitgliederversammlungen, Wahlveranstaltungen, Klausurtagungen – sie bilden ein institutionelles Obergeschoss, in dem über Curricula, Anerkennungen, Kooperationen, Finanzen und Politik entschieden wird. In internationalen Dachgesellschaften wie der International Psychoanalytical Association (IPA) oder nationalen Organisationen wie DPV, DPG und DGPT sind darüber hinaus zahlreiche Komitees und Arbeitsgruppen eingerichtet, die Standards, Ethikrichtlinien und Ausbildungspolitik gestalten (IPA Committees; APsaA Standards).

Diese Räume sind oft mit starken Phantasien geladen. Für Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und junge Kolleg*innen können sie wie ein „oberes Stockwerk“ wirken, in dem „die da oben“ tagen, während man selbst „unten“ in Seminaren oder Ambulanzen beschäftigt ist. Selbst wenn Satzungen Formaldemokratie vorsehen, werden faktische Entscheidungsprozesse häufig als intransparent erlebt. Wer tatsächlich Einfluss hat, ist nicht immer aus den Organigrammen ablesbar, sondern erschließt sich über lange Zugehörigkeit, Kenntnisse von Biografien, Allianzen und „alten Geschichten“. Kirsner (2000, 2009) beschreibt eindrücklich, wie in solchen Konstellationen die formale Fassade demokratischer Strukturen in Spannung zu informellen Hierarchien und Seilschaften geraten kann.

In Gremien zeigt sich besonders deutlich, wie eine Institution mit Konflikt, Kritik und Differenz umgeht. In manchen Kontexten gibt es eine Kultur, in der Mitglieder – auch jüngere – relativ offen Position beziehen können, in der mit Zusatzanträgen, Gegenreden und Alternativvorschlägen gearbeitet wird. In anderen herrscht eine Atmosphäre der Vorsicht; man meldet sich nur zu Wort, wenn man sich der Mehrheit sicher ist, kritische Stimmen werden schnell als „unloyal“ oder „spaltend“ markiert. Berichte aus europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften dokumentieren wiederholt, dass jüngere Kolleg*innen ihre Stimme eher in IPSO- oder Nachwuchsforen erheben als in den formellen Gremien der Muttergesellschaften, weil sie sich dort freier und weniger exponiert erleben (IPSO Candidates’ Statements; European Candidates’ Network).

Verbandsräume auf überregionaler oder internationaler Ebene (z.B. Kongresse, Delegiertenversammlungen) fügen eine weitere Schicht hinzu. Hier kommen Repräsentant*innen vieler Institute zusammen, um über große Linien zu entscheiden: Anerkennung von Verfahren, Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben, Ausbildungsstandards. Auch diese Räume sind hoch selektiv: Nicht jeder hat Zugang, oft sind es dieselben Personen, die sprechen, reisen, verhandeln. Für Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und die Mehrzahl der Mitglieder bleiben sie abstrakt. Dennoch wirken die dort getroffenen Entscheidungen direkt in den Alltag der Ausbildung zurück; europäische Kandidat*innen haben wiederholt betont, dass sie die Auswirkungen von Entscheidungen auf IPA- oder EPF-Ebene stärker spüren als ihre Möglichkeit, diese Entscheidungen mitzugestalten (IPA European Candidates’ Statements, 2024).

Aus psychoanalytischer Perspektive sind diese Räume nicht nur politische Arenen, sondern auch Projektionsflächen. Das Institut oder der Verband kann zu einem imaginierten Elternobjekt werden, das Schutz, Anerkennung, Orientierung und Zugehörigkeit geben soll – oder zu einem übermächtigen, unzugänglichen, manchmal auch „bösen“ Objekt, das Forderungen stellt, ohne sich verantwortlich zu zeigen. Ob Mitglieder sich vorstellen können, in diesen Räumen Subjektpositionen einzunehmen, hängt wesentlich davon ab, wie diese Räume erfahren wurden: als Orte, an denen man gehört wird, oder als Orte, an denen man abgewiesen oder beschämt wurde.

Intermediäre Räume: Arbeitsgruppen, Foren, Netzwerke

Zwischen der „Frontlinie“ der Ausbildung (Seminare, Ambulanzen, Praxis) und der „Höhe“ der Gremien und Verbände existiert eine Zone von Räumen, die man als intermediäre Räume bezeichnen könnte: Arbeitsgruppen, regionale Foren, thematische Netzwerke, kollegiale Intervisionsgruppen, Projektgruppen. Sie sind oft weniger formalisiert, haben klarere zeitliche Begrenzungen, eine thematische Fokussierung und eine vergleichsweise offene Struktur. In vielen psychoanalytischen Gesellschaften haben sich in den letzten Jahren genau solche Räume entwickelt, etwa Kandidat*innenorganisationen wie IPSO, regionale Foren, Spezialgruppen zu Trauma, Gender, Migration oder zu institutionellen Fragen (IPSO, 2023; EFPP-Arbeitsgruppen).

In solchen Räumen können sich neue Formen von Partizipation zeigen: Jüngere Kolleg*innen ermöglichen ein Film- oder Leseforum, organisieren eine öffentliche Veranstaltungsreihe, initiieren eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zu Themen, die in klassischen Curricula wenig vorkommen. Die Schwelle zur Beteiligung ist hier oft niedriger als in den etablierten Gremien, der Spielraum für Experimente größer. Konzepte wie die Group Relations Conferences oder gruppenaffektive Lernmodelle zeigen, dass solche offenen, erfahrungsorientierten Räume nicht nur inhaltliche, sondern auch institutionelle Lernprozesse ermöglichen können (Scharff, 2017; GRC-Konferenzen).

Intermediäre Räume können als Übergangsräume zwischen Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innenstatus und voll etablierter Mitgliedsrolle dienen. In ihnen werden erste Erfahrungen von Mitgestaltung gemacht, ohne dass man sofort in die volle Verantwortung eines Vorstandsmandats oder einer Ambulanzenleitung gehen muss. Zugleich sind sie oft prekär: Sie hängen an einzelnen engagierten Personen, sind von institutioneller Seite nicht immer klar verankert oder unterstützt, können leicht wieder verschwinden, wenn die tragenden Personen ausfallen oder sich zurückziehen.

Wie ein Institut mit solchen Räumen umgeht, ist ein wichtiger Indikator für seine partizipative Kultur. Werden Arbeitsgruppen und Foren gesehen, unterstützt, wertgeschätzt – oder eher skeptisch betrachtet, als „Randaktivitäten“, die das „eigentliche“ Geschäft stören könnten? Werden sie als potentielle Keimzellen von Reformen verstanden oder als Orte, an denen sich „die Unzufriedenen“ sammeln? Empirische und anekdotische Berichte deuten darauf hin, dass dort, wo intermediäre Räume ernst genommen und strukturell angebunden sind, die Bereitschaft von jüngeren Kolleg*innen, sich langfristig an die Institution zu binden, deutlich höher ist (Kirsner, 2009; Aron & Starr, 2013).

Digitale Räume: Verschiebung der Grenzen

Schließlich haben in den letzten Jahren digitale Räume an Bedeutung gewonnen: Online-Seminare, virtuelle Supervisionsgruppen, Vorstandssitzungen per Videokonferenz, digitale Plattformen für Diskussionen und Informationsaustausch. Spätestens seit der Covid-19-Pandemie sind sie aus dem Alltag der Ausbildung nicht mehr wegzudenken. Internationale Beiträge zu psychoanalytischer Weiterbildung in und nach der Pandemie beschreiben, wie rasch Institute auf Online-Unterricht und -Supervision umgestellt haben – mit ambivalenten Erfahrungen hinsichtlich Tiefe, Gruppendynamik und Zugehörigkeitsgefühl (z.B. Engaging Minds, 2024). Für viele Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen und Mitglieder eröffnen digitale Räume neue Möglichkeiten: Teilnahme an Seminaren, ohne lange Anfahrtswege; Einbindung von international tätigen Referentinnen; flexiblere Zeitstrukturen. Gerade in Phasen hoher Arbeitsbelastung kann die Option, von zu Hause aus an einer Veranstaltung teilzunehmen, eine reale Erleichterung darstellen. Digitale Räume können damit Zugangshürden senken, insbesondere für Kolleginnen mit Careverpflichtungen oder körperlichen Einschränkungen – auch dies zeigen neuere Berichte von Psychotherapeutinnen in Ausbildung, die Online-Formate als „Ermöglicher“ von Teilnahme erlebt haben (Schiller et al., 2025).

Gleichzeitig verändern sie die Erfahrung von Nähe und Präsenz. Die Körperlichkeit gemeinsamer Anwesenheit – der Blickkontakt in der Runde, das zufällige Gespräch vor der Tür, das gemeinsame Lachen in der Pause – wird durch rechteckige Kachelbilder, Chatfenster und gelegentliche Übertragungsstörungen ersetzt. Die Mikrogesten des institutionellen Lebens – wer neben wem sitzt, wer zu spät kommt, wer in der Tür stehen bleibt, um noch etwas zu sagen – sind online nur eingeschränkt wahrnehmbar. Viele berichten, dass Konflikte in digitalen Gremiensitzungen noch schwerer zu bearbeiten sind als in Präsenz; das Medium erleichtert das „Ausschweigen“, das schnelle Wechseln des Blicks, das innere Abschalten.

Digitale Räume können, psychoanalytisch gesprochen, sowohl Übergangsräume als auch Vermeidungsräume sein. Sie ermöglichen Begegnung trotz räumlicher Distanz, können aber auch genutzt werden, um sich dem vollen Kontakt zu entziehen. Für das Thema Partizipation ist interessant, dass digitale Formate unterschiedlich erlebt werden: Für einige wird es leichter, sich zu Wort zu melden, wenn der Rahmen vermeintlich „lockerer“ ist, für andere steigt die Hemmung, wenn man sich selbst auf dem Bildschirm sieht. Ob digitale Räume die Erschöpfung der Institution verstärken oder mildern, hängt wesentlich davon ab, wie sie in die Gesamtarchitektur der Räume eingebettet werden. Werden sie als Ergänzung verstanden, die neue Formen der Beteiligung ermöglicht – oder ersetzen sie analoge Begegnung, ohne dass die institutionelle Kultur sich wirklich ändert?

Zugehörigkeit, Grenze und der „Ton“ der Räume

Über alle genannten Räume hinweg – Seminarräume, Ambulanzen, Praxen, Gremien, Arbeitsgruppen, digitale Plattformen – stellt sich schließlich die Frage, wie Zugehörigkeit und Grenze erlebt werden. Wer fühlt sich willkommen, wer fühlt sich geduldet, wer fühlt sich draußen? Welche unausgesprochenen Kriterien entscheiden darüber, ob jemand als „wirkliches Mitglied“, als „noch Kandidat*in“ oder als „nie ganz dazugehörig“ erlebt wird? 

Die Sprache, in der über diese Räume gesprochen wird, ist hier aufschlussreich. Wie wird über Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, über frühere Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen – also jung Approbierte gesprochen? Bleiben etwa Letztere im Diskurs nominell Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen bleiben, auch wenn sie seit Jahren approbiert und in eigener Praxis tätig sind? Wird zwischen „richtigen Mitgliedern“ und „assoziierten“ oder „angeschlossenen“ Kolleginnen unterschieden? Welche Wertungen schwingen mit, wenn von „richtiger“ oder „vollwertiger“ Psychoanalyse gesprochen wird, und wie werden Ausbildungs­teilnehmerinnen in diese Sprache einbezogen? Arbeiten zu Einstellungen und Haltungen von Psychotherapie-Trainees zeigen, dass das Gefühl, „dazuzugehören“, eng mit wahrgenommener Wertschätzung durch Lehrende und Institution korreliert (Scharf et al., 2010; Walz-Pawlita et al., 2008).

Die Tonalität der Räume – ob sie eher kontrollierend, gönnerhaft, neugierig, freundlich, abweisend, distanziert oder warm erlebt wird – entscheidet oft mehr über die Bereitschaft zur Partizipation als formale Mitbestimmungsrechte. Man kann in einer Satzung festschreiben, dass Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen Rederecht in der Mitgliederversammlung haben; wenn der Raum faktisch so erlebt wird, dass kritische Beiträge sanktioniert oder belächelt werden, ist diese Partizipationsmöglichkeit nur auf dem Papier vorhanden.

In manchen Kontexten wird davon berichtet, dass die „guten Räume“ – also diejenigen, in denen Menschen sich gesehen und gehört fühlen – eher inoffizielle sind: das Gespräch in der Teeküche nach dem Seminar, der Austausch nach einer Sitzung im Park, Cafe, der Kneipe, etc – oder der Spontangruppe, die sich außerhalb des offiziellen Rahmens trifft. Dort, wo diese informellen Räume lebendig sind und nicht in Konkurrenz zu den offiziellen Strukturen stehen, scheinen die Institutionen belastbarer zu sein. Wo die „offiziellen“ Räume jedoch als kalt, ritualisiert oder verschlossen erlebt werden und informelle Räume kaum entstehen oder sofort pathologisiert werden („Parallelstrukturen“), verdichtet sich das Gefühl der Erschöpfung.

Dieses Kapitel hat versucht, eine Topographie der institutionellen Räume zu skizzieren, in denen psychoanalytische Ausbildung sich heute vollzieht. Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Räume nicht nur organisatorische, sondern psycho-räumliche Gebilde sind, in denen Zugehörigkeit, Macht, Angst, Hoffnung und Generativität verhandelt werden. In den folgenden Kapiteln wird dieses Bild vertieft: Zunächst, indem die in der Literatur beschriebenen Formen von Unbehagen, Überlastung und Rückzug in diesen Räumen zusammengetragen werden; anschließend, indem wir versuchen, die „Erschöpfung der Institution“ mit Hilfe psychoanalytischer Konzepte als transsubjektives Geschehen zu verstehen – und Bedingungen dafür zu formulieren, wie diese Räume partizipativer und lebendiger gestaltet werden könnten.

Das Unbehagen in der Ausbildungskultur

Im vorangegangenen Kapitel habe ich versucht, die Räume der psychoanalytischen Ausbildung zu kartieren: Seminarräume, Ambulanzen, Praxen, Gremiensäle, Arbeitsgruppen, digitale Formate. In diesem Kapitel geht es darum, was die Fachliteratur der letzten Jahrzehnte über die Stimmungslage in diesen Räumen berichtet. Anders gesagt: Wie wird das Unbehagen beschrieben, das viele von uns aus eigener Erfahrung kennen – und wie verdichtet es sich zu dem Bild einer „erschöpften Institution“?

Die beiden großen Stränge der Literatur, auf die ich mich stütze, lassen sich grob unterscheiden: Zum einen Analysen der Problemlagen psychoanalytischer Ausbildungsinstitute seit etwa 1990, zum anderen Arbeiten über Engagement, Partizipation und Rückzug in psychoanalytischen Institutionen insgesamt. Beide Stränge überschneiden sich: Ausbildungsinstitute sind immer auch Verbände, und Verbände sind ohne ihre Ausbildungssysteme kaum zu denken. In der Zusammenschau zeigen sie ein erstaunlich konsistentes Muster, das weit über einzelne Länder oder Schulen hinausgeht.

Wiederkehrende Problemmuster in Ausbildungsinstituten

Wenn man die Texte seit den frühen 1990er-Jahren nebeneinanderlegt – Berichte aus deutschsprachigen DPV-/DPG-Instituten, aus IPA-Instituten in den USA, aus freien Instituten und universitären Programmen –, entsteht ein Bild, das sich in mehreren Punkten auffallend ähnelt. Es geht immer wieder um knapper werdenden Nachwuchs, um alternde Mitgliedschaften, um überlastete Lehrende und Funktionsträgerinnen, um ökonomisch gestresste Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, um Abbrüche und Verlängerungen von Ausbildungen, um Identitätskonflikte der Institute und um einen schwer zu greifenden Ton von Müdigkeit und Resignation.

Die Nachwuchsfrage erscheint fast überall als Brennpunkt. Studien und Verbandsberichte verweisen darauf, dass die Zahl der neu eintretenden Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen in vielen Ländern rückläufig ist oder auf niedrigem Niveau stagniert, während der Altersdurchschnitt der Mitglieder und insbesondere der Lehranalytiker*innen steigt. Kirsner beschreibt für mehrere amerikanische Institute, dass das Durchschnittsalter der Lehranalytiker*innen bei über 60 Jahren liegt; ähnliche Beobachtungen liegen für Institute der International Psychoanalytical Association vor (Kirsner, 2000, 2009). Eine deutsche Dissertation zu Motiven der Berufswahl Psychoanalytiker*in zeigt für DPV-/DPG-Mitglieder eine auffällige Häufung älterer Analytiker*innen und eine im Vergleich zu früheren Kohorten deutlich dünner besetzte mittlere Generation (Barthel, 2010). Die fatale Konstellation ist schnell umrissen: Ältere Analytiker*innen bleiben aus Verantwortungsgefühl oder mangels Alternativen lange in zentralen Funktionen, während jüngere Kolleg*innen – selbst in der Ausbildung – zögern, in diese Rollen hineinzuwachsen.

Eng damit verbunden sind die beschriebenen Generations- und Machtkonflikte. Wiegand-Grefe analysiert in einem vielzitierten Aufsatz die „Destruktivität in der psychoanalytischen Ausbildung“ und zeigt, wie sich unbewusste ödipale Konstellationen auf Institutionsebene fortsetzen: Seniorität wird idealisiert, Kritik von Jüngeren schnell als „ödipaler Angriff“ etikettiert, die Frage nach Altersbegrenzungen für Lehranalytiker*innen gilt als Tabu (Wiegand-Grefe, 2004). In neueren Debatten über das Altern in psychoanalytischen Kontexten wird dies noch einmal zugespitzt. Peter Fonagy wird mit dem Satz zitiert, „aging sei das prototypische Tabu für PsychoAnalytiker*innen“; in einer Profession, deren zentrale Legende der Ödipus-Mythos sei, werde Seniorität tendenziell idealisiert, während Fragen nach Rücktritt, Rollenteilung oder Begrenzung von Funktionen als Angriff auf etwas Heiliges erlebt würden. Mehrere Autor*innen fragen, ob nicht das Fehlen eines entwicklungspsychologischen Modellrahmens für das späte Berufsleben dazu beitrage, dass Generationskonflikte in Instituten so schwer bearbeitbar sind.

Parallel dazu wurde in den letzten Jahren die ökonomische Seite der Ausbildung deutlicher beleuchtet. Empirische Untersuchungen im deutschsprachigen Raum, aber auch international, dokumentieren die Prekarität vieler Ausbildungsteilnehmerinnen: hohe Gebühren, Kosten für Lehranalyse, Reisen, Supervision, kombiniert mit schlecht vergüteten oder unbezahlten Ausbildungsanteilen in Kliniken und Ambulanzen; die Notwendigkeit zusätzlicher Nebenjobs; das Gefühl, in einer Lebensphase, in der viele Gleichaltrige sich beruflich und privat stabilisieren, selbst noch in einem langgezogenen Übergangszustand zu leben (Engel et al., 2015; Nübling et al., 2019; Walz-Pawlita et al., 2008). Eine finnische Studie zu Psychotherapietrainees zeigt etwa, dass etwa ein Viertel der Befragten von ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten berichtet und dass finanzielle Not mit schlechterer Lebensqualität, mehr Stress und einem erhöhten Risiko für Burnout einhergeht (Heinonen et al., 2022). Neuere Arbeiten zu Psychologie- und Psychotherapietrainees in verschiedenen Ländern bestätigen diesen Zusammenhang: ökonomische Belastung, Verschuldung und unsichere Perspektiven tragen substantiell zu Erschöpfung und akademischem Burnout bei. In den Berichten von Kandidat*innen tauchen immer wieder Formulierungen wie „Dauerstress“, „kein freier Abend“, „Aufschub von Familienplänen“ auf.

Die Konsequenzen zeigen sich unter anderem in hohen Abbruch- und Verlängerungsraten. Goretti beschreibt in ihrem Beitrag zur „Krise der psychoanalytischen Ausbildung“ Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, die Ausbildungen abbrechen, in Warteschleifen hängen oder nach Abschluss keinen Weg zurück in die Institution finden (Goretti, 2006). Als Gründe werden nicht nur finanzielle Überlastung, sondern auch enttäuschte Erwartungen, konflikthafte Beziehungen zu Lehranalytiker*innen und das Erleben einer „kühlen“ institutionellen Atmosphäre genannt. Wiegand-Grefe (2004) spricht von einem „Leiden an der Ausbildung“, das sich nicht nur auf einzelne Konflikte, sondern auf die Struktur als Ganzes bezieht; Kächele, Albani und Kolleginnen betonen in ihrem Panel-Bericht zur Krise der Ausbildung, dass die „lange Straße zur Qualifikation“ viele Kandidat*innen an die Grenzen ihrer psychischen und materiellen Ressourcen bringt.

Nicht nur Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen sind betroffen. Ältere Mitglieder und Lehranalytiker*innen berichten von einer eigenen Form der Erschöpfung: Sie haben Jahrzehnte in Lehre, Vorstand, Kommissionen, Ambulanzen und Verbänden gearbeitet und erleben das Institut zunehmend als Ort bürokratischer Überlastung und konflikthafter Sitzungen. In der Literatur ist von „innerer Kündigung“ die Rede: Menschen bleiben formal Mitglied, ziehen sich aber aus dem aktiven Leben der Institution weitgehend zurück, nehmen nur noch das Nötigste wahr und verlagern ihre Energie in Praxis und private Kontexte (Kirsner, 2009; Herrmann, 2014).

Die verschiedenen Problemlagen greifen ineinander. Das Nachwuchsproblem verschärft die Überlastung der älteren Generation; die Überlastung der älteren Generation verstärkt das Bild der Institution als „gefährlicher Ort“, an dem man „sich aufreibt“, und dieses Bild wiederum schreckt Jüngere ab, sich tiefer einzubringen. Die ökonomische Prekarität der Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen reduziert ihre zeitlichen Ressourcen für Engagement; ihre relative Unsichtbarkeit in Gremien verstärkt das Gefühl, nicht wirklich „dazu zu gehören“ – was auf der Gegenseite die Wahrnehmung nährt, die „Jungen“ hätten ohnehin kein Interesse. Ein Teil des Konflikts wird dabei über Generationenfantasien abgewehrt: Ältere erleben Jüngere als „anspruchsvoll, aber nicht belastbar“, Jüngere erleben Ältere als „festgefahren, aber moralisierend“ (Kirsner, 2009; Aron & Starr, 2013).

Die Literatur beginnt, für diese Konstellation Begriffe wie „Erschöpfung“, „Burnout“, „Resignation“ und „Verlust von Zugehörigkeit“ zu verwenden – nicht nur für Einzelne, sondern für Institutionen als Ganzes. Man spricht von „ausgebrannten Instituten“, von „müden Gesellschaften“, von „verbrauchten Strukturen“. Die erschöpfte Institution ist somit nicht nur eine Metapher, sondern eine Verdichtung zahlreicher Beschreibungen, die in unterschiedlichen Kontexten und Sprachen überraschend ähnlich klingen.

Engagement, Partizipation und Rückzug in psychoanalytischen Institutionen

Während die bislang genannten Arbeiten den Fokus eher auf Ausbildungswege und Institute legen, gibt es einen zweiten Strang, der stärker das Thema Engagement und Partizipation in den Blick nimmt. Diese Literatur fragt: Wer beteiligt sich wie an der Selbstverwaltung, an Gremien, an Verbandsarbeit – und warum ziehen sich so viele zurück?

Aus den zusammengetragenen Quellen ergibt sich das Bild einer ambivalenten Mitgliedschaft. Psychoanalytiker*innen fühlen sich ihren Instituten und Fachgesellschaften in der Regel durchaus verbunden; sie haben dort eine Ausbildung gemacht, wichtige Beziehungen geknüpft, berufliche Sozialisation erfahren. Gleichzeitig erleben sie die Organisationen nicht immer als Räume, in denen sich diese Zugehörigkeit konstruktiv entfaltet. Vielmehr wird oft unterschieden zwischen einem „Kern“ Hochengagierter und einer peripheren Mehrheit, die sich kaum oder nur punktuell beteiligt. Kirsner beschreibt dieses Muster in mehreren Instituten der American Psychoanalytic Association als Konstellation „less than a dozen highly committed members“ auf der einen und einer großen, eher zurückhaltenden Mitgliedschaft auf der anderen Seite (Kirsner, 2000, 2009).

Der kleine Kern – häufig ältere Kolleg*innen, gelegentlich einige Jüngere – trägt die Hauptlast der Verbandsarbeit: Vorstände, Curriculums- und Ethikkommissionen, Ambulanzleitungen, Organisation von Tagungen und Fortbildungen, interne Konfliktlösung, Öffentlichkeitsarbeit. Viele von ihnen berichten, dass sie sich in diesen Aufgaben wohlfühlen, weil sie Sinn stiften und kollegiale Verbundenheit ermöglichen. Gleichzeitig gibt es Berichte von Überforderung, von dem Gefühl, „nicht mehr zu können“ und „für alles zuständig“ zu sein. Kernberg spricht in diesem Zusammenhang von einer drohenden „Selbstzerstörung“ der Institute, wenn sie nicht lernen, Verantwortung breiter zu verteilen; er beschreibt Institute, in denen „eine kleine Gruppe Übermotivierter“ faktisch den gesamten Apparat trägt, während die Mehrheit passiv bleibt (Kernberg, 2012).

Die periphere Mehrheit wiederum – reguläre Mitglieder, ehemalige Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, gelegentlich auch Lehrende – nimmt zwar Angebote wahr, etwa Vorträge, Fortbildungen oder Feste, bleibt aber im institutionellen Alltag weitgehend unsichtbar. In Interviews und Mitgliederrundschreiben geben viele an, keine Zeit zu haben, die Gremienarbeit sei zu bürokratisch, die Entscheidungswege seien intransparent oder die Kultur nicht einladend. Einige haben negative Erfahrungen gemacht, sei es in Form von Demütigungen, konfliktiven Sitzungen oder dem Gefühl, dass eigene Beiträge „ohne Echo“ geblieben sind. Andere berichten von einer Mischung aus Schuldgefühl und Gleichgültigkeit: Man wisse, dass man „eigentlich auch mal etwas tun sollte“, fühle aber zugleich wenig Motivation, sich in Strukturen zu begeben, die man vor allem mit Frustration verbindet. In Kandidat*innen-Zeitschriften und Handreichungen, etwa im „Candidate Connection“ der APsaA oder im IPSO-Handbuch, tauchen wiederholt Klagen über „geschlossene Türen“, „Angst vor Gremien“ und das Gefühl auf, nur als „Nachwuchs“ und nicht als gleichberechtigte Kolleg*innen adressiert zu werden.

Die Gründe für mangelnde Partizipation werden in der Literatur entlang von drei miteinander verflochtenen Ebenen beschrieben: strukturelle Bedingungen, institutionelle Kultur und unbewusste psychodynamische Faktoren.

Auf der strukturellen Ebene wird immer wieder auf Zeit- und Geldknappheit verwiesen. Viele Analytiker*innen stehen in voller Praxis oder sind in klinischen Funktionen hoch belastet. Familienarbeit, Forschung, Supervision oder andere berufliche Projekte konkurrieren um dieselben Ressourcen. Ehrenamtliche Gremienarbeit ist in der Regel unbezahlt; der Ausfall von Praxisstunden für Sitzungen, Reisen zu Tagungen oder Mehrarbeit an Abenden und Wochenenden wird als reale Belastung erlebt. Für Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen kommen die ohnehin hohen Ausbildungskosten und Doppelbelastungen hinzu (Engel et al., 2015; Nübling et al., 2019). Unter solchen Bedingungen ist es kaum verwunderlich, dass Engagement häufig schlicht an der Grenze des Machbaren scheitert.

Auf der Ebene der institutionellen Kultur spielt die Frage von Hierarchie, Transparenz und Stil eine zentrale Rolle. Die Literatur schildert wiederholt Strukturen, in denen langjährige Mitglieder, Lehranalytiker*innen oder „Gründergenerationen“ informell großen Einfluss haben, während jüngere Kolleginnen sich in die Rolle von Besucherinnen oder „ewigen AusbildungsKandidat*innen“ gedrängt fühlen. Paternalistische Bezeichnungen („unsere Kandidaten“), geschlossene Zirkel, nicht erklärte Kriterien für Lehranalytiker*innen-Ernennungen oder Vorstandsentscheidungen, ein Umgangston, der Kritik schnell als Störung der Harmonie abwertet – all dies wird als demotivierend beschrieben (Herrmann, 2014; Margolis, 2001; Kirsner, 2009). Demgegenüber sprechen Beiträge von einem „community turn“ in Teilen der psychoanalytischen Szene, in dem Kolleginnen versuchen, Formen „relationaler Bürgerschaft“ in der psychoanalytischen Community zu entwickeln: flachere Strukturen, mehr Beteiligungsmöglichkeiten, kollektives Nachdenken über institutionelle Macht (Hassinger, 2022).

Schließlich betonen viele Autorinnen die psychodynamischen Faktoren von Engagement und Rückzug. In psychoanalytischen Organisationen, so die Argumentation, sind Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse besonders intensiv: Lehranalytiker*innen tragen elterliche Bedeutungen; Institute werden zu internalisierten Objekten; Konflikte reproduzieren frühere Gruppenerfahrungen. Angst vor Exponiertheit und vor Bestrafung für kritische Äußerungen, Loyalitätskonflikte gegenüber Lehranalytiker*innen („Darf ich gegen meine Analyseeltern stimmen?“), Regression in die Kinderrolle, in der man sich lieber analysieren lässt, als Verantwortung zu übernehmen – all dies sind Muster, die aus der Literatur bekannt sind (Kernberg, 1996; Herrmann, 2014; Wiegand-Grefe, 2004). Jessica Benjamin hat diese Konstellationen mit dem Begriff der Doer/Done-to-Dynamik beschrieben: Beziehungen, in denen eine Seite handelt und die andere erleidet, ohne dass ein gemeinsamer „dritter Raum“ entsteht, in dem beide als Subjekte auftreten können (Benjamin, 2004). Übertragen heißt das: Solange Institutionen primär als Orte erlebt werden, an denen „die da oben“ entscheiden und „die da unten“ reagieren, bleibt Partizipation brüchig.

Bemerkenswert ist, dass viele Texte von Autorinnen stammen, die selbst tief in diesen Institutionen engagiert sind und dennoch – oder gerade deshalb – diagnostische Schärfe entwickeln. Man liest Berichte von enttäuschten Hoffnungen, von Spaltungen in „Lager“, von Freundschaften, die an Institutionskonflikten zerbrachen, von Menschen, die ihre Institution wie auch sich selbst zeitweise nicht wiedererkennen. In den Formulierungen schwingt oft ein doppelt gerichtetes Unbehagen mit: an der Institution und am eigenen Verhältnis zu ihr. Baekeland (2019) beschreibt in einer Studie zu IPSO, wie Kandidat*innen durch internationale Vernetzung und alternative Räume (z.B. Kongress-Arbeitsgruppen, Visiting Candidate Programs) eine andere Erfahrung von Zugehörigkeit und Wirksamkeit machen konnten – und berichtet gleichzeitig von der Mühe, diese Erfahrungen in die Strukturen der Heimatinstitute zu „übersetzen“. Gerade diese Ambivalenz markiert den Punkt, an dem sich entscheidet, ob Erschöpfung in Rückzug mündet oder in den Versuch, neue Formen von Partizipation zu erfinden.

Das wiederkehrende Motiv: Erschöpfung und „innere Kündigung“

Verschiedene Autor*innen verwenden unterschiedliche Begriffe, um die emotionale Signatur der beschriebenen Konstellationen zu fassen, doch sie kreisen um ähnliche Erfahrungen: Erschöpfung, Burnout, Resignation, Enttäuschung, Verlust von Zugehörigkeit. Aus Sicht der Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen erscheint der Weg in die psychoanalytische Profession oft als ein „langer Marsch“, der mit großen ideellen Erwartungen, aber auch mit erheblichen materiellen und psychischen Kosten verbunden ist. Goretti spricht vom „Leiden des Kandidaten auf dem langen Weg zur Qualifikation“ und beschreibt eine Mischung aus Begeisterung für die Psychoanalyse und dem Gefühl, durch die institutionellen Anforderungen permanent überdehnt zu werden (Goretti, 2006). Die Aussicht auf institutionelle Teilhabe – im Sinne von Mitgestaltung der Ausbildung, der Institute, der Verbände – erscheint in dieser Phase oft weit entfernt, manchmal abstrakt und in manchen Fällen wenig reizvoll. Wer seine Energie damit verbraucht, Ausbildung, Erwerbsarbeit und Privatleben irgendwie in Balance zu halten, erlebt Gremien, Vorstandssitzungen oder Kommissionsarbeit leicht als „Luxus“, den man sich schlicht nicht leisten kann.

Für Lehranalytiker*innen und erfahrene Mitglieder, die über Jahre oder Jahrzehnte in Gremien und Leitungsfunktionen aktiv waren, nimmt das Erleben der Institution mitunter einen spiegelverkehrten Verlauf. Viele berichten von einer frühen Phase intensiver Identifikation: Das Institut war Ort des Aufbaus, der intellektuellen Anregung, des kollegialen Austauschs, manchmal auch des politischen Engagements. Später, wenn strukturelle Probleme sich verfestigt haben, identitätsstiftende Projekte abgeschlossen sind und die Anforderungen sich eher auf Verwaltung, Akkreditierung, Qualitätssicherung und Konfliktmanagement verlagern, kippt die Stimmung nicht selten. Das, was zunächst als „Herzstück“ der eigenen beruflichen Biografie erlebt wurde, fühlt sich allmählich wie ein bürokratischer Apparat an, der mehr nimmt als er gibt. In Berichten ist davon die Rede, dass Kolleginnen das Institut zunehmend als „Energiefresser“ erleben, als Ort, an dem jede Sitzung „Substanz kostet“, ohne dass man spürt, dass die eigene Arbeit zu spürbarer Veränderung führt (Kirsner, 2009; Herrmann, 2014). Die Entscheidung, sich zurückzuziehen, fällt in solchen Fällen nicht leicht; sie ist oft von Trauer begleitet, von dem Gefühl, etwas aufzugeben, das einem einmal sehr viel bedeutet hat.

Diese beiden Bewegungen – der prekäre Einstieg und der resignative Ausstieg – bilden gewissermaßen die Pole der „erschöpften Institution“. Dazwischen steht ein mittleres Feld von Kolleginnen, deren Beziehung zur Institution ambivalent ist: Man schätzt das Netzwerk, die Fortbildungsangebote, die fachliche Diskussion, spürt aber gleichzeitig Unbehagen gegenüber bestimmten Strukturen und Erfahrungen. Engagement wird zur permanenten Abwägung: Ist es das wert? Wird meine Zeit sinnvoll eingesetzt? Fühle ich mich gehört? Studien zur beruflichen Situation von Psychotherapeut*innen zeigen, dass gerade ambivalente Bindungen an Organisationen – weder klare Identifikation noch klarer Abschied – ein Risikofaktor für Erschöpfung und Zynismus sind (Goßmann et al., 2023; Van Hoy et al., 2022). Ähnliches scheint in psychoanalytischen Institutionen zu gelten: Wer bleibt, ohne sich wirklich innerlich zugehörig zu fühlen, erlebt die Institution häufig als Last.

Einige Autor*innen sprechen explizit von einem circulus vitiosus: Erschöpfung führt zu Rückzug, Rückzug führt zu noch höherer Belastung der verbleibenden Engagierten, was wiederum deren Erschöpfung verstärkt. Kirsner beschreibt, wie mit jeder „inneren Kündigung“ – also dem Entschluss, sich nur noch minimal zu beteiligen – der Druck auf die verbleibende aktive Minderheit steigt, was seinerseits die Tendenz verstärkt, sich aus Selbstschutz zurückzuziehen (Kirsner, 2000, 2009). In der Organisationspsychologie bezeichnet „innere Kündigung“ genau dieses Muster: formale Zugehörigkeit bei hochgradig reduzierter Identifikation und Bereitschaft, sich einzubringen. Übertragen auf psychoanalytische Institute bedeutet dies, dass die Organisation als Ganze „ausgebrannt“, „müde“, „verschlissen“ erlebt werden kann – nicht nur in ihrer Außenwirkung, sondern in der subjektiven Wahrnehmung ihrer Mitglieder.

Für Kandidat*innen und jüngere Kolleg*innen heißt das, dass sie ein Feld betreten, in dem die institutionelle Atmosphäre bereits von solchen Zyklen geprägt ist. Der „lange Marsch“ durch die Ausbildung ist für viele nicht nur körperlich und finanziell, sondern auch institutionell entmutigend: Man erlebt die Müdigkeit der Älteren, hört von früheren Konflikten, spürt latente Spannungen, ohne sie genau benennen zu können. Was als gemeinsamer Weg in eine Profession beginnen könnte, erscheint eher als Gang durch ein System, in dem man „es gut hinter sich bringen“ will.

In diesem Zustand fällt es schwer, Zukunft zu imaginieren. Vieles dreht sich darum, den Status quo notdürftig zu halten: Seminare zu besetzen, die Ambulanz funktionsfähig zu halten, die nächste Akkreditierung zu bestehen, das Minimum an Gremienarbeit zu organisieren. Institutionen wirken dann, um eine von Kernberg verwendete Metapher abzuwandeln, nicht nur, als ob sie „sich selbst zerstören“, sondern als ob sie in einem vegetativen Zustand verharren: sie leben weiter, aber sie träumen wenig (Kernberg, 2012). Die erschöpfte Institution ist in diesem Sinne nicht nur eine Anhäufung individueller Burnout-Symptome, sondern ein kollektiver Affektzustand, in dem die Fähigkeit, gemeinsam Zukunft zu denken, massiv eingeschränkt ist.

Wenn man dieses Muster ernst nimmt, wird verständlich, warum Appelle zu „mehr Engagement“ oft ins Leere laufen oder sogar Abwehr verstärken. In einem Feld, das von Erschöpfung und innerer Kündigung durchzogen ist, wirken solche Appelle schnell wie Zumutungen oder wie moralische Forderungen, die das eigentliche Problem verfehlen. Die Aufgabe psychoanalytischer Institutionenbestimmung wäre dann nicht, Schuldige für mangelnde Beteiligung zu suchen, sondern die Dynamik dieses circulus vitiosus zu erkennen – und an jenen Punkten anzusetzen, an denen er sich durch strukturelle, kulturelle oder psychische Veränderungen unterbrechen lässt.

Äußere Zumutungen und innere Hemmnisse: zwei Deutungsrichtungen

Die Literatur bietet im Wesentlichen zwei Hauptachsen, entlang derer die beschriebenen Problemlagen interpretiert werden. Die eine betont vor allem die äußeren Zumutungen: gesetzliche Veränderungen, die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die Konkurrenz anderer Therapieverfahren, veränderte Erwartungen jüngerer Generationen an Work-Life-Balance, Sicherheit und Anerkennung, die Digitalisierung und die Verschiebung von Versorgungsstrukturen. Die andere hebt die inneren Hemmnisse hervor: hierarchische Strukturen, dogmatische Traditionslinien, konfliktscheue Kulturen, unbewusste Allianzen und Abwehrsysteme, die den eigenen Veränderungsspielraum verkleinern.

Texte, die den Fokus stärker auf die äußeren Faktoren legen, argumentieren etwa, dass es für psychoanalytische Institute objektiv schwerer geworden sei, genügend Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen zu finden, da die Ausbildung teurer, länger und unsicherer ist als alternative Wege; dass das Gesundheitssystem Langzeittherapien unter Druck setzt; dass die gesellschaftliche Sichtbarkeit der Psychoanalyse abgenommen hat und damit auch ihre Attraktivität als Berufsoption. Gunderson und Gabbard beispielsweise beschreiben bereits Ende der 1990er Jahre, wie ökonomische, politische und „evidenzbasierte“ Logiken psychoanalytische Therapien an den Rand des psychiatrischen Mainstreams drängen – und wie managed care, Leitlinien und Kostendruck längere Behandlungen systematisch benachteiligen (Gunderson, 1999; Gabbard, 1997, 2001; Doidge, 1999). Aron und Starr (2013) zeichnen nach, wie psychoanalytische Verfahren in vielen Ländern (selbstverständlich unzulässigerweise) mit pauschalen „nicht evidenzbasiert“-Etiketten belegt und von Versicherungen oder öffentlichen Trägern schlechter gestellt werden; sie plädieren dafür, Psychoanalyse als „psychotherapy for the people“ neu zu denken – in direkter Auseinandersetzung mit diesen äußeren Zumutungen.

In Deutschland und anderen Ländern mit sozialrechtlich verankerten psychodynamischen Verfahren wird zwar die Finanzierung psychoanalytischer Langzeittherapien gesichert, zugleich aber verschärfen Reformen der Psychotherapeutenausbildung, neue Approbationsordnungen und der Druck zur Verdichtung von Leistungen die Lage der Ausbildungsinstitute. Stellungnahmen der DGPT und Analysen der Ausbildungslandschaft betonen, dass der Nachwuchs in einem Umfeld aus hohen Ausbildungskosten, unsicheren Weiterbildungsstrukturen und wachsender Konkurrenz durch andere Berufe gewonnen werden muss; parallel dazu verschiebt sich die Kliniklandschaft hin zu kürzeren Verweildauern und stärker standardisierten Behandlungsprogrammen. Aus dieser Perspektive erscheint die Krise der Institute als Folge eines verschärften äußeren Umfelds: Wer unter diesen Bedingungen nicht politisch aktiv wird, verliert.

Demgegenüber betonen andere Autorinnen, dass äußere Veränderungen allein die Schwere der Problemlagen nicht erklären. Wiegand-Grefe (2004) und Kirsner (2009) zeigen, dass viele Muster – etwa der Umgang mit Kritik, die Rolle der Lehranalyse als Machtinstrument, die Rekrutierung von Lehrenden aus dem eigenen Patientenkreis, die Vermischung von Rollen – über Länder und Systeme hinweg auffallend ähnlich sind. Sie sprechen deshalb von strukturellen Eigenheiten psychoanalytischer Organisationen, die ihre Krisenanfälligkeit erhöhen: Tendenzen zur Abschließung nach außen, Idealisation bestimmter Figuren, rigide Zwischenräume zwischen „einfachen Mitgliedern“ und Lehranalytiker*innen, eine Neigung, Konflikte zu moralisieren, statt sie als Ausdruck institutioneller Dynamiken zu betrachten.

In einer programmatischen Formulierung weist Hinshelwood darauf hin, dass psychoanalytische Organisationen – wie andere Institutionen auch – nicht nur durch äußere Zwänge geformt werden, sondern durch unbewusste Politik: durch gruppenpsychische Abwehr gegen Angst, Scham und Schuld, durch Projektionen, Idealisierungen und Spaltungen, die inneren Wandel erschweren (Hinshelwood, 2004, 2024). Von hier aus betrachtet sind äußere Krisen oft nur Auslöser, die latent vorhandene Probleme sichtbar machen: Eine finanzielle Schieflage wird etwa erst dann existenzbedrohend, wenn sie über Jahre hinweg verdrängt und nicht transparent bearbeitet wurde; ein Generationskonflikt eskaliert, wenn die Institution keine geregelten Übergänge vorsieht; der Verlust von Kandidat*innen wird dramatisch, wenn seit langem keine verlässlichen Nachwuchsstrukturen aufgebaut wurden.

Die meisten neueren Arbeiten nehmen eine vermittelnde Position ein: Sie anerkennen die massive Rolle äußerer Einflüsse, betonen aber zugleich, dass psychoanalytische Institute und Verbände auch eigene Handlungsspielräume und Verantwortlichkeiten haben. Wallerstein (2007) etwa analysiert, wie psychoanalytische Ausbildung in einem sich wandelnden Gesundheits- und Hochschulsystem unter Druck geraten ist, insistiert aber zugleich darauf, dass Institute sich aktiv um neue Formen der Verankerung – etwa in Universitäten, in Weiterbildungsverbünden, in der Forschung – bemühen müssen, anstatt sich ausschließlich in Defensivhaltungen zu begeben. Aus dieser Perspektive sind Institute nicht nur Opfer der Umstände, sondern Mitgestalter ihrer Geschichte – im Guten wie im Schlechten. Kirsner (2000) formuliert es zugespitzt, wenn er schreibt, externe Faktoren hätten zwar ihren Teil beigetragen, doch die Analytiker*innen hätten „ihre eigene entscheidende Rolle bei diesem Niedergang weitgehend übersehen“.

Der Begriff der „erschöpften Institution“ ist in diesem Sinn nur dann analytisch fruchtbar, wenn er beide Seiten umfasst: die Überforderung durch äußere Anforderungen und die unbeweglichen, manchmal selbstblockierenden inneren Strukturen. Eine Institution kann zugleich durch Gesundheitspolitik, Marktlogik und Reformdruck unter Druck geraten und sich durch eigene Abwehrprozesse zusätzlich lähmen. Erst wenn beides – Außen und Innen – in eine gemeinsame Betrachtung gebracht wird, wird es möglich, Verantwortungen zu differenzieren: Was ist uns widerfahren – und wo haben wir es selbst schwerer gemacht, als es hätte sein müssen?

Zwischen Diagnose und Abwehr: Wie über das Unbehagen (nicht) gesprochen wird

Schließlich stellt sich die Frage, wie in den Institutionen selbst über dieses Unbehagen gesprochen wird – oder eben nicht. Es ist auffällig, dass viele der kritischeren Texte von Autorinnen stammen, die gewissermaßen zwischen innen und außen stehen: Sie sind Mitglieder, oft mit langer Zugehörigkeit, aber sie nehmen eine reflektierende Position ein, die nicht ganz im „Wir“ aufgeht. Manche schreiben, nachdem sie Ämter niedergelegt haben, andere aus der Position von Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen oder jüngeren Mitgliedern (Kirsner, 2000, 2009; Wiegand-Grefe, 2004; Herrmann, 2014). Die Stimmen kommen also nicht von „außen“, sondern aus einem Zwischenraum: loyal genug, um die Institution überhaupt ernst zu nehmen, aber distanziert genug, um ihre Schattenseiten zu benennen.

In Instituten, so berichten einige, gibt es bisweilen eine Kultur, in der Kritik eher in Randzonen geäußert wird: in Korridorgesprächen, privaten E-Mails, inoffiziellen Runden, aber weniger in offiziellen Sitzungen oder Veröffentlichungen. Man kennt das Phänomen, dass in der Pause nach einer stummen Gremiensitzung plötzlich lebhafte Klagen laut werden – über Überlastung, Unzufriedenheit mit Entscheidungen, Unklarheit über Prozesse –, die jedoch selten zurück in den offiziellen Raum getragen werden. Analytisch gesprochen könnte man sagen: Das Unbehagen fließt in institutionelle Nebenräume, die entlasten, ohne wirksam zu werden. Die sozialwissenschaftliche Literatur hat „corridor talk“ als eigenständiges Phänomen beschrieben – als „face-to-face version einer informellen, kritischen Diskurszone“, in der Dinge gesagt werden, die im offiziellen Setting keinen Platz finden (Tyler, 1986; Czarniawska, 2009). Auch in psychoanalytischen Kontexten wird die Bedeutung solcher Randkommunikation hervorgehoben; Berichte aus der Association of Child Psychotherapists sprechen explizit davon, wie sehr „corridor talk“ mitentscheidet, wie Ausbildung erlebt und verstanden wird.

Zugleich gibt es in manchen Organisationen eine Gegenbewegung: bewusste Versuche, Räume zu eröffnen, in denen über das eigene institutionelle Erleben gesprochen werden kann – und zwar nicht nur informell, sondern mit einem gewissen Auftrag. Beispiele sind institutsbezogene Supervision, Konsultationen durch externe Beraterinnen, Open-Space-Veranstaltungen, Zukunftswerkstätten oder Arbeitsgruppen zu Institutionsthemen. Die Tavistock-Tradition hat hierfür das Instrument der institutionsbezogenen Beratung und Supervision entwickelt: Settings, in denen Teams und Organisationen ihre eigenen Abwehrformen, Konflikte und blinden Flecken zum Thema machen können (Menzies Lyth, 1988; Foresti & Kolleginnen, 2009; Hinshelwood, 2004). Berichte aus therapeutischen Gemeinschaften sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Kultur der enquiry“, in der es explizit zum Auftrag gehört, über das institutionelle Erleben zu sprechen und das, was sonst nur „zwischen den Türen“ gesagt wird, in einen gemeinsamen Raum zu holen (Griffiths, 1995).

Solche Versuche stoßen, wie die Literatur beschreibt, häufig auf ambivalente Resonanz. Ein Teil der Mitglieder ist dankbar für die Gelegenheit, Dinge anzusprechen; ein anderer Teil ist skeptisch, fürchtet „Nestbeschmutzung“, unkontrollierbare Konflikte oder eine Wiederholung alter Spaltungen. Der Schritt, das Institut selbst – nicht nur seine Patient*innen – zum Gegenstand psychoanalytischer Betrachtung zu machen, rührt an tiefe Loyalitäten und Ängste. Kuch­enhoff und andere beschreiben etwa Erfahrungen mit institutsbezogener Supervision: Während einige Mitglieder diese als entlastend und klärend erlebten, empfanden andere sie als Bedrohung oder als „öffentliche Bloßstellung“ institutioneller Schwächen (Kuchenhoff, 2015).

Die Literatur zu Engagement und Rückzug weist darauf hin, dass es ohne eine gewisse Sprachfähigkeit für institutionelle Prozesse schwer ist, Partizipationskulturen zu verändern. Solange das Unbehagen primär in Form von Symptomen auftaucht – leeren Ämtern, knapp besetzten Kursen, abwandernden Mitgliedern –, aber nicht in gemeinsame Begriffe gefasst wird, bleibt die institutionelle Selbstwahrnehmung fragmentiert. Herrmann (2014) etwa schildert, wie in einer psychoanalytischen Gesellschaft heftige Konflikte immer wieder an „Sachfragen“ aufgehängt wurden, während die zugrunde liegenden Ängste und Rivalitäten unbenannt blieben; die Folge waren zermürbende Auseinandersetzungen und zunehmende Passivität vieler Mitglieder. Irene Bruna Seu hat für andere Felder das Bild eines „Netzes der Passivität“ vorgeschlagen, in dem Alltagsdiskurse, rational klingende Argumente und unbewusste Abwehrmechanismen ineinander greifen, um Nicht-Handeln und Schweigen zu rechtfertigen (Seu, 2013). Überträgt man dies auf psychoanalytische Institutionen, könnte man sagen: Solange das institutionelle Unbehagen nicht symbolisiert wird, organisiert es sich als Klima aus Müdigkeit, Zynismus und stiller Sabotage.

Der Schritt, den der vorliegende Essay vorschlägt, ist deshalb ein doppelter. Zum einen geht es darum, die in der Literatur bereits geleistete Diagnose der Problemlagen ernst zu nehmen – nicht als Katastrophenrhetorik, sondern als Verdichtung zahlreicher Erfahrungsberichte. Zum anderen geht es darum, diese Diagnose psychoanalytisch zu vertiefen: nicht nur zu fragen, was schiefläuft, sondern zu verstehen, wie sich die Erschöpfung der Institution als gruppenpsychisches Geschehen organisiert. Das heißt auch, die Orte zu identifizieren, an denen das Unbehagen heute „ausweicht“ – in Korridore, private Gespräche, ironische Randkommentare – und zu prüfen, unter welchen Bedingungen diese Nebengespräche in gemeinsames Nachdenken verwandelt werden können.

Damit ist der Übergang zum nächsten Kapitel vorbereitet. Dort wird es darum gehen, mit Hilfe psychoanalytischer Institutionentheorien – insbesondere der Konzepte von Kaës, der Tavistock-Tradition und weiterer gruppen- und institutionenanalytischer Ansätze – die „Lethargie der Partizipation“ als Ausdruck eines bestimmten Zustands des gruppenpsychischen Apparats der Institute zu dechiffrieren. Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum sich manche institutionelle Räume trotz erkennbarer Probleme kaum verändern – und welche Bedingungen notwendig wären, um sie wieder zu lebendigeren, partizipativen Orten zu machen.

Psychodynamik der erschöpften Institution

In den bisherigen Kapiteln habe ich die äußeren Konturen der Ausbildungskultur nachgezogen: das Geflecht von Räumen, in denen psychoanalytische Ausbildung heute stattfindet, und die Problemmuster, die in der Literatur seit den 1990er-Jahren beschrieben werden – Nachwuchssorgen, Prekarität, Überlastung, Drop-out, leere Ämter, ein Ton allmählicher Ermüdung. Wenn man dieses Bild ernst nimmt, drängt sich eine genuin psychoanalytische Frage auf: Wie lässt sich diese Erschöpfung verstehen, wenn man sie nicht nur als Summe individueller Überforderungen, sondern als Zustand des institutionellen Unbewussten begreift?

Psychoanalytische Gruppen- und Institutionentheorien bieten dafür eine Reihe von Begriffen. Didier Anzieu, René Kaës und andere Vertreterinnen der französischen Gruppenschule haben mit ihren Arbeiten gezeigt, dass Gruppen eine eigene psychische Realität besitzen – ein Gruppenselbst, ein imaginaires groupal, das nicht einfach auf individuelle Psychologie zurückführbar ist (Anzieu, 1975; Kaës, 1976, 1993). Die Tavistock-Tradition um Menzies Lyth, Obholzer, Roberts und Kolleginnen hat Organisationen als soziale Abwehrsysteme untersucht, die Angst und Schuld über Strukturen und Rituale regulieren (Menzies Lyth, 1988; Obholzer & Roberts, 1994/2019). Wilfred Bion hat beschrieben, wie Gruppen zwischen einem Modus realistischer Arbeit und unbewussten Grundannahmen hin- und herschwanken (Bion, 1961). Jessica Benjamin schließlich hat mit dem Begriff der „Thirdness“ einen Rahmen entwickelt, um zu verstehen, wie sich zwischen Subjekten – und übertragbar auch zwischen Subjekt und Institution – ein gemeinsamer dritter Raum oder aber eine Doer/Done-to-Dynamik herausbildet (Benjamin, 2004).

Die folgenden Überlegungen versuchen, mit Hilfe dieser und verwandter Konzepte das zu skizzieren, was ich die Psychodynamik der erschöpften Institution nenne. Es geht darum zu verstehen, wie sich die „Lethargie der Partizipation“ in den seelischen Räumen der Institute organisiert und warum manche institutionelle Konstellationen eine Art Sog in Richtung Passivität und Rückzug entwickeln – bei Kandidat*innen ebenso wie bei Lehranalytiker*innen und Funktionsträger*innen.

Der gruppenpsychische Apparat: das Institut als seelischer Raum

René Kaës hat mit seinem Konzept des appareil psychique groupal einen Schlüsselbegriff geschaffen, um Gruppen und Institutionen als Träger eigener psychischer Realität zu denken. In seinem gleichnamigen Buch und in späteren Arbeiten versteht er Gruppen nicht als bloße Summe individueller Psychen, sondern als Apparat der Verknüpfung und Transformation: ein Gefüge, in dem sich die psychischen Räume der Mitglieder ineinander verschränken und eine geteilte psychische Realität hervorbringen, die keiner Person allein gehört (Kaës, 1976, 1993).

Dieser gruppenpsychische Apparat ist kein Ding, sondern ein Prozess: Er entsteht dort, wo Menschen sich über längere Zeit in einem relativ stabilen Setting zusammenschließen – in Teams, Familien, Therapiegemeinschaften, eben auch in Ausbildungsinstituten. Er umfasst gemeinsame Phantasien, geteilte Mythen, wiederkehrende Szenen, typische Träume, aber auch spezifische Formen der Angst- und Konfliktregulation. In der Sprache von Kaës verschränken sich im gruppenpsychischen Apparat drei Räume: der intrasubjektive Raum des Einzelnen, der intersubjektive Raum der Beziehungen und der transsubjektive Raum der Institution, in dem historische, kulturelle und strukturelle Kräfte wirken.

Anzieu hat diesen Gedanken mit der Vorstellung einer gruppalen Hülle weitergeführt: Der Gruppe als „Enveloppe“ kommt die Funktion zu, die Einzelnen zu umschließen und ein gruppales Selbst zu tragen – ein Soi de groupe, das die Phantasien, Ideale und Ängste der Beteiligten bündelt (Anzieu, 1975/1999). Dieses Gruppenselbst kann, je nach Geschichte und aktueller Situation, haltend, nährend, aber auch bedrückend oder zerfallend erlebt werden.

Überträgt man dieses Modell auf ein psychoanalytisches Ausbildungsinstitut, wird der scheinbar abstrakte Begriff schnell anschaulich. Der gruppenpsychische Apparat eines Instituts besteht aus all dem, was „in der Luft liegt“ und sich in Satzungen allein nicht erschließt: aus den unausgesprochenen Erwartungen an Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, aus Phantasien über „die Lehranalytiker*innen“ oder „den Vorstand“, aus den Geschichten über frühere Spaltungen und Versöhnungen, aus dem Ton, in dem über Nachbarinstitute und Verbände gesprochen wird, aus der Art, wie neue Mitglieder aufgenommen, kritische Stimmen behandelt und Konflikte bearbeitet werden.

Kaës hat betont, dass Subjekte, die in einen solchen Apparat eintreten, zu einem „singulier pluriel“ werden: Sie bleiben Einzelne mit eigener Biografie und eigenem Unbewussten, tragen aber zugleich Teile des gruppenpsychischen Apparats in sich und für ihn (Kaës, 2009). Wer in ein Institut eintritt, „erbt“ gewissermaßen eine institutionelle Geschichte – und wird zu ihrer Trägerin oder ihrem Träger, ob man will oder nicht. Die Entscheidung, ein Amt zu übernehmen oder eine Funktion abzulehnen, ist aus dieser Perspektive nie nur das Ergebnis individueller Abwägungen über Zeit und Energie, sondern auch eine Antwort auf den Zustand dieses Apparats: auf die Dichte oder Schwere der Atmosphäre im Vorstandszimmer, auf den Klang der Stimmen in der Mitgliederversammlung, auf das Ladungsniveau der unbewussten Erwartungen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die „Erschöpfung der Institution“ als bestimmte Konfiguration dieses gruppenpsychischen Apparats verstehen. Es ist, als sei die gruppale Hülle nicht mehr primär ein Gefüge, das Verbindungen herstellt und Entwicklungen ermöglicht, sondern ein Gefüge, das Bindungen löst, Energien abzieht und Bewegung hemmt. Der Raum, in dem sich Ideale, Identifikationen und Konflikte symbolisch verhandeln ließen, wirkt verbraucht, dünn oder brüchig. Damit rücken zwei weitere Begriffe von Kaës in den Blick: unbewusste Allianzen und Déliaison.

Unbewusste Allianzen, institutionelle Pakte und Déliaison

Kaës hat in verschiedenen Arbeiten beschrieben, dass Gruppen und Institutionen von unbewussten Allianzen und Pakten durchzogen sind, die die Art und Weise regeln, wie Konflikte gehalten oder abgewehrt werden. Solche Allianzen können konstruktiv sein – etwa eine geteilte Verpflichtung, bestimmte Werte zu schützen –, sie können aber auch destruktiv wirken, wenn sie sich gegen die Bearbeitung zentraler Themen richten. Ein zentraler Begriff ist der pacte dénégatif, ein unausgesprochener Bund darüber, dass bestimmte Wahrheiten nicht benannt werden dürfen: etwa die Trauer über Verluste, die Aggression gegenüber Leitungsfiguren, der Neid zwischen Generationen oder die Angst vor dem Verschwinden der Institution (Kaës, 2007).

In Ausbildungsinstituten lassen sich solche Pakte leicht erahnen. Es gibt stillschweigende Übereinkünfte, über manche Themen nur „am Rand“ zu sprechen – über Geld, über Macht, über Altersfragen, über Lehranalytiker*innen, die ihre Rolle überschritten haben, über Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, die aus Gründen „zwischen den Zeilen“ nicht zugelassen werden. Es gibt Allianzen des Schweigens: Man weiß, dass eine Kommission überlastet ist, spricht aber nicht offen darüber; man spürt, dass die Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen erschöpft sind, thematisiert es aber nur im vertraulichen Vier-Augen-Gespräch.

Solche Allianzen haben eine Abwehrfunktion: Sie schützen vor Schuldgefühlen, vor Angst, vor der Konfrontation mit der Fragilität der Institution. Sie stabilisieren eine Form von „Wir“, das sich über das Geteilte des Nicht-Gesagten definiert. Sie haben aber auch einen Preis. Wo bestimmte Themen nicht symbolisiert, sondern kollektiv verleugnet werden, entsteht eine Art blinder Fleck im gruppenpsychischen Apparat. Energie bindet sich in der Aufrechterhaltung des Paktes, in Ausweichbewegungen, in Ersatzhandlungen; die Institution wird steifer, weniger beweglich.

Kaës beschreibt in diesem Zusammenhang das Phänomen der Déliaison, der Lösung libidinöser Verknüpfungen. Der gruppenpsychische Apparat lebt davon, dass zwischen den psychischen Räumen der Mitglieder und der Institution Verknüpfungen bestehen: Stolz, Zugehörigkeit, Hoffnung, Identifikation, gelegentlich auch produktive Formen von Wut und Kampf. Wenn diese Verknüpfungen über längere Zeit nicht genährt, sondern frustriert werden, beginnen sie sich zu lösen. Menschen fühlen sich innerlich weniger gebunden, Engagement erscheint weniger sinnvoll, Kritik verstummt nicht, aber sie findet keinen Weg mehr in gemeinsame symbolische Formen.

Die „erschöpfte Institution“ wäre in diesem Sinn eine Institution, deren gruppenpsychischer Apparat von Déliaison betroffen ist. Die libidinösen Fäden, die Mitglieder an das Institut binden – sei es durch Idealisierung, Identifikation, Dankbarkeit oder produktiven Konflikt –, werden dünner. Es entsteht eine Atmosphäre, in der das Institut zwar weiterläuft, aber kaum noch als Objekt geliebt oder gehasst, sondern vor allem als Funktion genutzt wird: Man nimmt, was man braucht – Ambulanzslots, Supervision, Fortbildungspunkte –, gibt das Nötige zurück, vermeidet aber tiefere Investition.

Die Lethargie der Partizipation ist dann weniger Ausdruck von Bequemlichkeit als Ausdruck eines Abbruchs der inneren Gespräche zwischen Individuum und Institution. Die Frage lautet nicht mehr: „Was wollen wir aus diesem Institut machen?“, sondern: „Wie komme ich hier möglichst gut durch?“ An diesem Punkt sind wir nicht mehr im Bereich persönlicher Motivationsdefizite, sondern in der Logik eines Apparats, dessen unbewusste Allianzen eher auf Schonung und Schadensbegrenzung als auf Erneuerung ausgerichtet sind.

Institutionen als soziale Abwehrsysteme: Menzies Lyth und die Tavistock-Tradition

Eine zweite wichtige theoretische Achse, um die Psychodynamik der Institution zu fassen, stammt aus der Tavistock-Tradition, insbesondere von Isabel Menzies Lyth und den Autor*innen des Bandes „The Unconscious at Work“ (Obholzer & Roberts, 1994/2019). In ihrer klassischen Studie über den Pflegebereich eines Krankenhauses beschreibt Menzies Lyth, wie ein ganzes Organisationssystem sich als soziales Abwehrsystem gegen die Ängste seiner Mitglieder organisiert: Arbeitsabläufe, Rollenzuschreibungen, Hierarchien und Kommunikationswege strukturieren sich so, dass sie die individuelle Konfrontation mit Schuld, Ohnmacht und aggressiven Impulsen minimieren (Menzies, 1960; Menzies Lyth, 1988).

Menzies Lyth zeigte, wie in dem untersuchten Krankenhaus Funktionen stark fragmentiert, Zuständigkeiten eng begrenzt, Entscheidungen zentralisiert und persönliche Beziehungen durch ritualisierte Formen ersetzt wurden. All dies reduzierte zwar kurzfristig die Angst der Pflegenden, hatte aber langfristig erhebliche Kosten: Verlust von Verantwortungsübernahme, Zunahme von Zynismus, Gefühl der Entfremdung von Patient*innen und Kolleginnen. William Halton, Jon Stokes, Anton Obholzer und andere haben dieses Konzept der social defences against anxiety später systematisiert und auf unterschiedliche Organisationen übertragen: Sie zeigen, wie Strukturen, die oberflächlich effizient erscheinen, tatsächlich von der Abwehr unbewusster Konflikte durchdrungen sein können (Halton, 1994; Obholzer & Roberts, 2019).

Überträgt man diesen Blick auf psychoanalytische Ausbildungsinstitute, wird deutlich, dass auch sie sich typischerweise in abwehrlogischen Strukturen organisieren. Komplexe Aufgaben – Ausbildung planen, Qualität sichern, Finanzen verwalten, Konflikte bearbeiten – werden auf verschiedene Gremien verteilt, nicht selten mit überlappenden Zuständigkeiten. Entscheidungswege sind formal geregelt, informell aber diffus; Zuständigkeit und Macht fallen nicht immer zusammen. Sitzungen folgen festen Ritualen, Protokolle werden erstellt, aber selten gelesen.

Diese Strukturen haben zweierlei Funktion. Einerseits sollen sie gewährleisten, dass niemand willkürlich entscheidet, dass Prozesse kontrolliert werden, dass Fairness hergestellt wird. Andererseits dienen sie unbewusst dazu, Angst zu verteilen und zu verwässern: Angst vor falschen Entscheidungen, vor Konflikten mit Kolleginnen, vor Schuldgefühlen gegenüber Kandidat*innen, vor dem Versagen gegenüber Patient*innen, vor dem „Sterben“ der Institution. Statt sich dieser Angst direkt zu stellen, wird sie über Gremien, Abläufe und Zuständigkeiten verlängert.

Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen nehmen in diesem Abwehrsystem eine Schlüsselposition ein. Sie sind die Knotenpunkte, an denen sich klinische, ausbildungsbezogene und institutionelle Erwartungen bündeln: Sie sollen Kandidat*innen in Lehranalyse und Supervision halten, sie sollen die Qualität von Behandlungen sichern, Grenzüberschreitungen verhindern, Defizite früh erkennen, Prüfungsentscheidungen vorbereiten und zugleich die Ambivalenzen der Institution gegenüber dem Nachwuchs abfedern. Viele arbeiten in einem Modus, in dem sie nicht nur Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse von Kandidat*innen und Patient*innen, sondern auch einen Teil der institutionellen Angst und Hilflosigkeit zu tragen scheinen. Untersuchungen zur Rolle von Training Analysts und Supervisors verweisen darauf, dass diese Gruppe sich häufig zwischen widersprüchlichen Loyalitäten erlebt: gegenüber den Kandidat*innen, gegenüber der Institution, gegenüber eigenen klinischen und privaten Grenzen (Kernberg, 1986; Wallerstein, 2007).

Typischerweise fließen in die Figur der Lehranalytikerin unausgesprochene Botschaften ein, die das Abwehrsystem stützen: „Du wirst es schon richten“, „Du musst Kandidat*innen notfalls stoppen“, „Du darfst nichts durchgehen lassen, was dem Ruf des Instituts schadet“. Gleichzeitig wird selten offen darüber gesprochen, welche Belastung damit einhergeht, neben einer vollen Praxis zusätzliche Lehranalysen, Supervisionen und Gremienarbeit zu leisten. Wenn Supervision zu einem Ort wird, an dem Supervisor*innen unter Druck stehen, sowohl klinische Prozesse „zu retten“ als auch strukturelle Defizite (etwa Überforderungen im Ambulanzbetrieb oder unklare Curricula) zu kompensieren, wird die Supervisor*innenrolle selbst zum Teil des Abwehrsystems.

In einer erschöpften Institution kann man beobachten, wie diese Abwehrformationen rigide werden. Statt flexibel zu reagieren, klammert sich das System an Ritualen fest: Sitzungen werden abgehalten, weil sie im Kalender stehen, nicht weil etwas gedacht werden soll; über strukturelle Fragen der Ambulanzorganisation wird in Supervisionen „durch die Hintertür“ gesprochen, weil es keine anderen Räume dafür gibt; Lehranalytiker*innen werden implizit dafür verantwortlich gemacht, dass Kandidat*innen „tragfähig“ bleiben, obwohl die strukturellen Belastungen unverändert hoch sind. In der Folge fühlen sich Kandidat*innen wie Lehrende gleichermaßen in einem System gefangen, das mit der Abwehr seiner eigenen Angst beschäftigt ist.

Für Partizipation hat das eine klare Konsequenz: Wer sich in solche Strukturen hineinbegibt, erlebt nicht nur die Möglichkeit, etwas zu bewegen, sondern auch den Sog einer Institution, die Supervisor*innen und Lehranalytiker*innen als Container ihrer ungelösten Konflikte benutzt. Der Schritt in eine Supervisor*innen- oder Lehrfunktion bedeutet dann nicht nur generative Selbstverwirklichung, sondern auch Eintritt in ein Netzwerk sozialer Abwehr. Engagement wird so ambivalent: Man gibt gerne, aber man ahnt, dass man „mit Haut und Haaren“ in ein System eintreten soll, das nur begrenzt bereit ist, seinerseits zu halten.

Bions Arbeitsgruppe und Grundannahmegruppe: Mentalitäten der Institution

Wilfred Bion hat mit seiner Unterscheidung zwischen Arbeitsgruppe und Grundannahmegruppe ein weiteres Instrument geschaffen, um das Verhalten von Gruppen – und, erweitert, von Institutionen – zu verstehen. In „Experiences in Groups“ beschreibt er, wie Gruppen zugleich in einem Modus realistischer, zielgerichteter Arbeit und in einem Modus unbewusster Grundannahmen funktionieren. Die Grundannahmen, die er beschreibt, sind Abhängigkeit (dependency), Kampf/Flucht (fight–flight) und Paarbildung (pairing) (Bion, 1961).

In der Arbeitsgruppen-Mentalität ist eine Gruppe in der Lage, sich auf ihre tatsächlichen Aufgaben zu konzentrieren, Informationen auszutauschen, Hypothesen zu bilden und zu überprüfen, Verantwortung zu teilen. Die Mitglieder können sich auf das beziehen, was tatsächlich ansteht, Fehler eingestehen, aus Erfahrungen lernen. In der Grundannahme-Mentalität dagegen übernimmt eine unbewusste Phantasie das Kommando: etwa die Annahme, dass eine allmächtige Leitungsfigur alle Probleme lösen werde (Abhängigkeit), dass die Gruppe in einem Kampf mit einem äußeren oder inneren Feind stehe (Kampf/Flucht), oder dass die Rettung in der magischen Wirkung eines zukünftigen Ereignisses oder einer speziellen „Paarung“ liege (Paarbildung). In diesen Grundannahmezuständen verhält sich die Gruppe so, „als ob“ diese Phantasie real wäre – unabhängig davon, was tatsächlich geschieht.

Man muss nicht lange überlegen, um in psychoanalytischen Ausbildungsinstituten Beispiele für solche Grundannahmen zu finden. In einem Abhängigkeitsmodus können Mitglieder darauf warten, dass „die Lehranalytiker*innen“, „die Gründerinnen“ oder „der Vorstand“ die Probleme lösen; Verantwortung wird eher nach oben abgegeben als gemeinsam bearbeitet. In einem Kampf/Flucht-Modus dominieren Spaltung und Projektion: Institute definieren sich im Gegensatz zu anderen Schulen; interne Konflikte werden als Angriff „der anderen Fraktion“ erlebt; Abspaltungen und Vereinsgründungen wiederholen sich, manchmal wie in einer repetitiven Szene. In einer Paarbildungsmentalität wird auf eine zukünftige Konstellation gehofft – etwa auf eine neue Leitungsgeneration oder auf eine Strukturreform –, ohne die aktuellen Handlungsspielräume auszuschöpfen. Das Institut verhält sich dann so, als würde eine künftige „Messias-Konstellation“ alles richten, während im Hier und Jetzt wenig geändert wird.

Wenn der gruppenpsychische Apparat eines Instituts über längere Zeit von Grundannahmeprozessen geprägt ist, gerät die Arbeitsgruppenfunktion in den Hintergrund. Entscheidungen werden nicht auf Basis realistischer Einschätzungen und geteilten Nachdenkens getroffen, sondern entlang unbewusster Loyalitäten und Feindbilder. Sitzungen können dann äußerlich rational wirken, tragen aber die Signatur eines „als ob“: Man diskutiert, ohne wirklich in einen gemeinsamen Arbeitsmodus zu kommen; man bewegt sich in vertrauten Argumentationsmustern, die weniger auf Lösung als auf Wiederholung zielen.

Für die Frage der Partizipation ist entscheidend, dass Menschen intuitiv spüren, in welchem Modus eine Gruppe sich befindet. Ein Gremium, das primär als Bühne für unbewusste Kämpfe dient, wird von vielen Kolleg*innen gemieden; ein Vorstand, der in Abhängigkeitsphantasien verstrickt ist, lädt subtil dazu ein, sich als „Kind“ oder „unterstützendes Elternteil“ zu verhalten, nicht als erwachsene Person in einem Kollegium. In einer erschöpften Institution überlagern sich diese Grundannahmen oft: Man fühlt sich abhängig von einer Struktur, der man zugleich misstraut und gegen die man innerlich ankämpft, während man gleichzeitig auf eine magische Zukunft hofft, in der „die Jungen“ oder „die Reform“ alles richten werden. Das Feld kommt so kaum aus einem projektiven Modus heraus; die Arbeitsgruppenfähigkeit bleibt schwach.

Das Subjekt als „singulier pluriel“: individuelle Geschichte und institutionelle Transmission

Kaës’ Formulierung vom Subjekt als „singulier pluriel“ verweist darauf, dass wir in Institutionen nie nur als isolierte Einzelne agieren. Unsere spezifischen biographischen Erfahrungen – mit Eltern, mit Schule, mit Autoritäten, mit Gruppen – treffen auf die transgenerationale Geschichte einer Institution, die mit ihren eigenen Traumata, Loyalitäten und blinden Flecken in uns fortwirkt (Kaës, 2009).

In vielen psychoanalytischen Ausbildungskontexten spielt die Vergangenheit der Profession eine bedeutende Rolle: die Vertreibung, Verfolgung und Emigration während der NS-Zeit; die Anpassung an autoritäre Regime; die Nachkriegsgründungen unter schwierigen politischen Bedingungen; spätere Abspaltungen, 68er-Konflikte, „Schulkämpfe“ zwischen freudianischer, kleinianischer, lacanianischer, relationaler oder intersubjektiver Ausrichtung. Diese Geschichten sind nicht nur in Festschriften und Archiven verzeichnet, sondern leben in Symbolen, Namen, Ritualen, Räumen und Alltagspraktiken fort (Bohleber, 2008, 2010; Massing, 2008).

Kaës und andere haben die Idee eines institutionellen Gedächtnisses entwickelt, in dem unverarbeitete Konflikte transgenerational weitergegeben werden – etwa in der Weise, wie bestimmte Themen vermieden oder bestimmte Figuren idealisiert werden (Kaës, 2007; Bohleber, 1997, 2008). Wenn man diese Perspektive auf die Ausbildungskultur anwendet, lässt sich vermuten, dass die Erschöpfung der Institution manchmal auch eine Spätfolge früherer nicht bearbeiteter Traumata ist: Institute, die nie wirklich über ihre Verstrickung in Anpassung oder Ausschluss gesprochen haben; Spaltungen, die formal verheilt, psychisch aber nicht integriert sind; alte Kämpfe um Theoriehoheit, die im Untergrund weiter gären.

In der Begegnung mit solchen Instituten bringen Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen ihre eigene Geschichte mit: Erfahrungen mit Schule, Universität und Familie; Haltungen zu Autorität und Gehorsam; Erwartungen an Lehrende und „Elternfiguren“. Sie treffen auf eine Institution, deren gruppenpsychischer Apparat bereits „unter Spannung“ steht. Die Art, wie sie auf Einladung, Kritik, Ablehnung, Überforderung reagieren, ist immer eine Mischung aus persönlicher und institutioneller Geschichte.

Wenn Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen etwa berichten, sie trauten sich nicht, Kritik zu äußern, weil sie befürchteten, Konsequenzen für ihre Ausbildung zu erleiden, kann man das nicht einfach als individuelle Ängstlichkeit etikettieren. Es ist auch eine Reaktion auf eine institutionelle Geschichte, in der Kritik vielleicht tatsächlich sanktioniert wurde, in der bestimmte Rollen verknüpft waren mit dem Risiko von Ausschluss oder Entwertung. Die individuelle Angst ist vor diesem Hintergrund Bote des transsubjektiven Raums: Sie verweist auf unbewusste institutionelle Szenen, die in der aktuellen Begegnung wieder aktiviert werden.

In einer erschöpften Institution ist dieser transsubjektive Raum häufig von zwei widersprüchlichen Tendenzen geprägt: einerseits einer starken Bindung an die eigene Geschichte – die Institution sieht sich als Trägerin einer wichtigen Tradition –, andererseits einer Unfähigkeit, diese Geschichte so zu symbolisieren, dass sie als Ressource für Gegenwart und Zukunft genutzt werden kann. Bohleber hat in seinen Arbeiten zur NS-Vergangenheit der Psychoanalyse gezeigt, wie stark unverarbeitete historische Schuld in Form von Schweigen, Idealisierungen und Abwertungen fortwirken kann, wenn sie nicht bearbeitet wird (Bohleber, 1997, 2008). In diesem Spannungsfeld wird Partizipation riskant: Wer an liebgewonnenen Mythen rührt, riskiert, als Verräter*in wahrgenommen zu werden; wer die Vergangenheit unkritisch wiederholt, läuft Gefahr, die Gegenwart zu verfehlen.

Erschöpfung als kollektiver Affekt im institutionellen Raum

Wenn man die genannten Konzepte zusammennimmt – gruppenpsychischer Apparat, unbewusste Allianzen und Déliaison, soziale Abwehrsysteme, Grundannahme-Mentalitäten und transgenerationale Transmission –, lässt sich die „Erschöpfung der Institution“ als spezifische affektive Konstellation fassen. Sie ist mehr als die Summe individueller Müdigkeiten; sie ist ein Feldzustand.

Subjektiv äußert sich dieser Zustand in Gefühlen, die in vielen Berichten wiederkehren: das Gefühl, „immer schon zu spät“ zu sein; eine Mischung aus Schuld und Groll; das Empfinden, dass Sitzungen „die Luft aus einem herauslassen“ statt zu beleben; der Eindruck, dass Anliegen in Gremien versickern; der reflexhafte Gedanke „Dafür habe ich keine Kraft mehr“, wenn ein Amt angeboten wird; eine latente Hoffnungslosigkeit in Bezug auf Veränderbarkeit. Körperlich zeigen sich diese Zustände in Erschöpfung, Spannung, innerem Wegdriften während Veranstaltungen, in dem Wunsch, Sitzungssäle so schnell wie möglich wieder zu verlassen.

Auf der Ebene des gruppenpsychischen Apparats lässt sich diese Erschöpfung als breit geteilter Affekt denken, der im Raum zirkuliert. Sie ist eine Form von depressiver Stimmung, aber nicht im individuellen Sinn, sondern als Zustand eines Feldes, in dem Bindungen sich lösen, Konflikte nicht symbolisiert, sondern umgangen werden, und die Fähigkeit zur gemeinsamen Phantasierung von Zukunft geschwächt ist. Kaës spricht in diesem Zusammenhang von Formen institutioneller Depression, in denen die libidinösen Besetzungen der Institution nachlassen und der gemeinsame geistige Raum „verarmt“ (Kaës, 2007). Das Institut funktioniert zwar weiter – Seminare finden statt, Ambulanzen arbeiten, Gremien tagen –, aber die libidinöse Aufladung ist minimal.

Menzies Lyth würde ergänzen, dass die Organisation sich in Abwehrritualen verheddert, die kurzfristig Angst mildern, aber langfristig Verantwortung und Lebendigkeit ersticken. Bion würde beobachten, dass die Arbeitsgruppenfunktion schwach ist, während Grundannahmen – etwa Abhängigkeit, Kampf/Flucht und magischer Zukunftsglaube – dominieren. Und Benjamin könnte darauf hinweisen, dass in einer solchen Konstellation der Raum für wechselseitige Anerkennung verengt ist, weil die Beziehungen stark vom Täter/Opfer- oder Doer/Done-to-Modus geprägt sind: Einige fühlen sich permanent in der Rolle derjenigen, die „alles schultern“, andere in der Rolle derjenigen, die „nichts zu sagen haben“ (Benjamin, 2004; Coelho, 2015).

In der Sprache dieses Essays könnte man sagen: Die erschöpfte Institution ist eine Institution, in der der Raum seine Spannkraft verloren hat. Er hält noch, aber er regt nicht mehr an; er bietet Stabilität, aber wenig Möglichkeit zur Transformation; er fordert Loyalität, aber gibt wenig Resonanz. Partizipation in einem solchen Raum zu fordern, ohne diese affektive Grundierung zu beachten, hieße, von Einzelnen zu erwarten, dass sie gegen einen Feldzustand anarbeiten, der sie in Richtung Rückzug und Schonung zieht.

Ansätze eines institutionellen „Dritten“: Partizipative Räume denken

Die bisherige Analyse könnte leicht in Resignation kippen: Wenn die Beziehungen in der Institution so von unbewussten Allianzen, Abwehrsystemen und Erschöpfungsaffekten durchzogen sind, wie soll da Partizipation möglich sein? An dieser Stelle kann ein weiterer Begriff helfen, der aus der intersubjektiven Psychoanalyse stammt: Jessica Benjamins Idee des „Dritten“ oder der „Thirdness“.

Benjamin beschreibt Thirdness als einen intersubjektiven Raum, der entsteht, wenn zwei Subjekte einander als eigenständige, fühlende Zentren anerkennen und sich zugleich auf eine gemeinsame symbolische Ordnung beziehen, die „über ihnen“ steht: etwa auf eine geteilte Sprache, auf Regeln oder auf eine gemeinsame Vorstellung von Gerechtigkeit (Benjamin, 2004; Benjamin, 2007). In diesem Raum – weder rein subjektiv noch rein objektiv – wird es möglich, aus destruktiven Doer/Done-to-Komplementaritäten auszusteigen und gemeinsam über das nachzudenken, was geschieht.

Überträgt man diesen Gedanken auf Institutionen, kann man von einem institutionellen Dritten sprechen: einem Raum, in dem Mitglieder und Leitungsfiguren nicht nur in dyadischen Rollen verharren – Vorstand versus Basis, Lehrende versus Ausbildungsteilnehmer*innen, Alt versus Jung –, sondern gemeinsam auf etwas Drittes blicken: auf den Auftrag der Institution, auf ihre Geschichte, auf ihre Zukunft, auf die psychische Realität des Feldes. Coelho (2015) hat gezeigt, wie sich die Idee von Thirdness von der Zweipersonenpsychologie in Richtung eines „analytischen Dritten“ erweitert hat, der auch gruppen- und institutionsbezogene Prozesse umfasst.

In einer erschöpften Institution ist gerade dieser Dritte oft schwach entwickelt. Die Beziehungen sind geprägt von Komplementaritäten: diejenigen, die „ziehen“, und diejenigen, die „sich ziehen lassen“; diejenigen, die „fordern“, und diejenigen, die „sich gegen Forderungen wehren“; diejenigen, die „alles geben“, und diejenigen, denen vorgeworfen wird, „nichts zu geben“. Der Raum, in dem gemeinsam über diese Muster nachgedacht werden könnte, ist eng; oft wird er durch die Angst blockiert, dass solche Reflexionen zu Spaltungen, Beschämungen oder Verlusten führen könnten.

Die Idee partizipativer Räume lässt sich nun als Versuch lesen, institutionelle Formen von Thirdness zu etablieren: Räume, in denen unterschiedliche Mitglieder – Ausbildungsteilnehmerinnen, Lehrende, Funktionsträgerinnen – nicht primär in Rivalitäts- oder Abhängigkeitsachsen zueinander stehen, sondern als Subjekte an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten. Dazu gehören formale Settings wie Zukunftswerkstätten, Open-Space-Veranstaltungen, institutsbezogene Supervisionen, aber auch alltägliche Kulturpraktiken: die Art, wie in Sitzungen moderiert wird, wie abweichende Meinungen aufgenommen, wie Fehler besprochen und wie Konflikte gerahmt werden.

In der Sprache des gruppenpsychischen Apparats könnte man sagen: Partizipative Räume stärken die liaison-Funktion der Institution, indem sie neue symbolische Verknüpfungen ermöglichen. Sie schaffen Gelegenheiten, in denen sich Mitglieder nicht nur als Objekte eines Apparats, sondern als Mitautor*innen seiner Realität erleben können. Damit schaffen sie die Voraussetzung dafür, dass libidinöse Investitionen nicht weiter erodieren, sondern erneuert werden.

Genau an dieser Schnittstelle zwischen Psychodynamik und Gestaltung setzen die nächsten Überlegungen an. Nachdem wir gesehen haben, wie sich die Erschöpfung der Institution als gruppenpsychisches und affektives Geschehen verstehen lässt, stellt sich nun die Frage: Unter welchen Bedingungen können Institutionen Räume hervorbringen, in denen Thirdness und Partizipation tatsächlich gelebt werden können? Was braucht es – strukturell, kulturell, psychisch –, damit Menschen nicht nur in analytischen Behandlungsräumen, sondern auch in den Räumen ihrer Institute und Verbände Subjektstatus erfahren und Verantwortung teilen können? Diese Fragen stehen im Zentrum des folgenden Kapitels.

Partizipation in psychoanalytischen Ausbildungskontexten

In den vorangegangenen Kapiteln stand vor allem die Diagnose im Vordergrund: die Kartographie der Räume, in denen psychoanalytische Ausbildung heute stattfindet, die Beschreibung der Überlastungen, Verluste und Brüche, die sich in ihnen zeigen, und der Versuch, diese Phänomene als Ausdruck eines erschöpften gruppenpsychischen Apparats zu verstehen. In diesem Kapitel wende ich mich explizit dem Begriff der Partizipation zu. Denn die Erschöpfung der Institution zeigt sich besonders deutlich dort, wo Beteiligung nötig wäre und ausbleibt, wo Menschen zwar Mitglied sind, aber nicht mitwirken, wo Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen zwar ausgebildet werden, sich aber später nicht in jene Räume zurückbewegen, in denen über Ausbildung und Institution entschieden wird.

Wichtig ist mir, an dieser Stelle transparent zu machen, dass die folgenden Überlegungen stärker essayistisch und experimentell sind als die vorhergehenden, stärker literaturbasierten Kapitel. Sie sind im Dialog mit der bisherigen Analyse und mit KI-gestützten Vorschlägen entstanden und versuchen, auf dieser Grundlage Ideen zu entwickeln, Hypothesen zu formulieren und mögliche Linien einer partizipativen Ausbildungskultur zu entwerfen. Es handelt sich also weniger um abschließende Ergebnisse als um ein strukturiertes Nachdenken, das ausdrücklich zum Widerspruch und zur Weiterarbeit einlädt.

Es geht dabei nicht nur um „Mitbestimmung“ im formalen Sinn, um Wahlbeteiligung oder Gremiensitze. Gemeint ist eine tiefere Qualität von Beteiligung: das Erleben, als Subjekt in institutionellen Räumen anzukommen, dazu zu gehören, wirksam sein zu dürfen – und dabei zugleich die Anderen, die Institution und ihre Geschichte in ihrer Eigenständigkeit anzuerkennen. Partizipation in diesem Sinn ist eine Form der Subjektivierung im Institutionellen; sie ist nie einfach gegeben, sondern muss hergestellt und immer wieder erneuert werden. Ansätze aus der politischen Partizipationstheorie – etwa Arnsteins berühmte Leiter der Partizipation, die zwischen Nicht-Beteiligung, „Tokenismus“ und echter Bürger*innenmacht unterscheidet – können hier als Referenz dienen, auch wenn der Kontext ein anderer ist (Arnstein, 1969).

6.1 Was heißt „Partizipation“ im psychoanalytischen Kontext?

Wenn in psychoanalytischen Zusammenhängen von Partizipation die Rede ist, schwingt oft eine gewisse Fremdheit mit. Der Begriff entstammt politikwissenschaftlichen, pädagogischen und organisationssoziologischen Diskursen; er bezeichnet dort Abstufungen von Beteiligung, von bloßer Information über Beratung bis zu Mitentscheidung und Selbstverwaltung (Arnstein, 1969; Reed, 2008). In der psychoanalytischen Tradition hingegen wurde lange eher von „Mitverantwortung“, „Einbindung“, „Generativität“ oder „gemeinsamer Arbeit“ gesprochen.

Für die Zwecke dieses Essays verstehe ich Partizipation in psychoanalytischen Ausbildungskontexten in dreifachem Sinn.

Erstens im formalen Sinn: Wer hat Stimmrecht, wer darf in welchen Gremien sitzen, wer kann Initiativen einbringen, wer kann über Dinge mitentscheiden, die ihn oder sie betreffen – Curricula, Prüfungsmodalitäten, die Wahl von Funktionsträgerinnen, die Ausrichtung von Instituten? In manchen Instituten sind Kandidat*innen und jüngere Mitglieder an Ausbildungskonferenzen, Qualitätszirkeln oder Kandidat*innenvertretungen beteiligt; in anderen beschränkt sich ihre formale Rolle auf Anhörung ohne Stimmrecht. Internationale Dokumente wie die IPSO-Richtlinien zur Kandidat*innenbeteiligung in IPA-Gremien zeigen, wie graduell solche Mitbestimmung geregelt werden kann – von reiner Beobachtung bis zu gleichberechtigter Mitarbeit.

Zweitens im symbolischen Sinn: Wer kommt in der Sprache der Institution vor, wessen Perspektive wird wahrgenommen, wer wird in offiziellen Schreiben adressiert, wer bleibt „Kandidatin“, auch wenn er oder sie längst approbiert ist? Wird von „Kolleginnen in Ausbildung“ gesprochen oder von „unseren Kandidaten“? Wird die Stimme jüngerer Kolleg*innen in Rundbriefen, Programmkommissionen, öffentlichen Veranstaltungen sichtbar oder bleiben sie vor allem als Publikum präsent? Solche symbolischen Markierungen prägen, wie ernst Partizipation sich „anfühlt“.

Und drittens im erlebten Sinn: Wer fühlt sich innerlich so verbunden, dass er oder sie Lust verspürt, sich einzubringen, und zugleich so sicher, dass diese Beteiligung nicht in Beschämung, Nichtbeachtung oder Überforderung mündet? Studien zur Beteiligung von Freiwilligen in Non-Profit-Organisationen zeigen, dass wahrgenommene Unterstützung durch die Organisation und das Gefühl, gehört zu werden, entscheidend dafür sind, ob Menschen bleiben und sich engagieren (Vecina et al., 2013; Dekel et al., 2022). Ähnliches gilt für psychoanalytische Kontexte: Partizipation bleibt abstrakt, solange die Organisation nicht als Raum erlebt wird, in dem es psychisch lohnt, sich zu zeigen.

Partizipation in diesem dreifachen Sinn ist nicht mit Harmonie zu verwechseln. Sie impliziert die Möglichkeit von Dissens, von Streit, von Auseinandersetzung. Ein Institut, in dem alle Entscheidungen in großer Übereinstimmung gefällt werden, ist nicht zwangsläufig partizipativ; womöglich hat es einfach gelernt, Konflikte zu vermeiden. Umgekehrt können hitzige Debatten Ausdruck einer lebendigen Beteiligungskultur sein – solange die Beteiligten sich als Subjekte anerkannt erleben, die für ihre Kritik nicht sanktioniert werden.

Psychoanalytisch gesehen berührt Partizipation zentrale Fragen der Subjekt-Objekt-Beziehung. Jessica Benjamin hat darauf hingewiesen, dass sich Beziehungen oft in Komplementaritäten von Täter/Opfer oder Herrschaft/Unterwerfung verfestigen. Ein reiferer Modus des Miteinanders entstehe erst dort, wo ein Dritter ins Spiel komme: ein gemeinsamer symbolischer Rahmen, in dem beide Seiten die Subjektivität des anderen und eine gemeinsame Ordnung anerkennen (Benjamin, 2004). Übertragen auf Institutionen würde das heißen: Partizipation setzt einen „institutionellen Dritten“ voraus – eine geteilte Idee davon, was die Institution sein soll, jenseits der jeweiligen persönlichen Interessen, und eine Kultur, in der Mitglieder sich nicht nur als Objekte institutioneller Entscheidungen, sondern als Mitautor*innen dieser Ordnung erleben.

In Ausbildungskontexten verschärft sich diese Frage durch die strukturelle Asymmetrie zwischen Lehrenden und Lernenden. Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen treten in eine Institution ein, in der andere bereits über mehr Wissen, Macht und symbolisches Kapital verfügen. Eine partizipative Kultur bedeutet hier nicht, die Asymmetrie zu leugnen – sie ist Teil der Realität –, sondern sie so zu gestalten, dass aus Abhängigkeit nach und nach Mitverantwortung werden kann. Ein Institut, in dem Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen über Jahre ausschließlich in der Rolle der zu Bewertenden bleiben und in dem sie erst nach Abschluss – und häufig auch dann nur zögerlich – als potenzielle Mitgestalterinnen angesprochen werden, erschwert diese Entwicklung erheblich. Beispiele aus IPSO- und Kandidat*innen-Texten zeigen, dass gerade dort, wo Kandidat*innen auf Augenhöhe an Projekten mitarbeiten durften, ein anderes Zugehörigkeitsgefühl entsteht als dort, wo sie auf die Rolle der „Geprüften“ festgelegt bleiben.

Formen der Teilhabe: vom Ausbildungsweg zur institutionellen Biografie

Wenn man danach fragt, wo Partizipation in Ausbildungskontexten überhaupt stattfinden kann, lohnt es sich, den Ausbildungsweg als eine Abfolge von Schwellen zu betrachten. Auf jeder dieser Schwellen stellen sich Beteiligungsfragen in spezifischer Weise.

Am Anfang steht das Aufnahmeverfahren. Bereits hier erleben Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, in welcher Haltung ihnen die Institution begegnet. Wird das Institut vor allem als prüfende Instanz wahrgenommen, die über Aufnahme „entscheidet“, während die Bewerberinnen sich rechtfertigen müssen – oder gelingt es, das Aufnahmegespräch als dialogischen Raum zu gestalten, in dem beide Seiten prüfen, ob sie miteinander einen Weg gehen wollen? Natürlich bleibt die Machtasymmetrie bestehen; doch auch in asymmetrischen Situationen kann man Menschen so ansprechen, dass sie ihre eigene Stimme hören. Eine Aufnahme, die sich ausschließlich als einseitige Selektion vollzieht, setzt früh einen Ton der Passivität; eine, in der bereits erste Formen des Dialogs erlebbar sind, eröffnet eine andere Perspektive auf spätere Partizipation.

Im Verlauf der Ausbildungsphase selbst existieren verschiedene formelle und informelle Beteiligungsmöglichkeiten. Formell können Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen in manchen Instituten Vertreterinnen wählen, in Gremien mit beratender Stimme teilnehmen, Arbeitsgruppen gründen oder in Ausbildungskonferenzen Anträge stellen. In anderen Kontexten beschränkt sich ihre Rolle auf die Teilnahme an Pflichtveranstaltungen, ohne dass sie am „institutionellen Gespräch“ beteiligt sind. Informell geschieht Partizipation in jedem Seminar, in jeder Supervisionsgruppe: darin, ob Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen ermutigt werden, eigene klinische Überlegungen einzubringen, Hypothesen zu riskieren, Kritik an Theorie und Praxis zu formulieren, oder ob sie primär lernen, „wie man es richtig macht“.

Für viele ist die Frage der Partizipation aber besonders im Übergang von der Rolle der Kandidatin zur Rolle der approbierten Analytikerin virulent. An diesem Punkt könnte sich eine Veränderung der Subjektposition vollziehen: Aus der Person, die ausgebildet wurde, wird jemand, die nun für andere und für die Institution Verantwortung übernehmen kann. In der Praxis wirkt dieser Übergang häufig unscharf und prekär. Manche Institute bieten klare Wege: Mentoringprogramme, Nachwuchsforen, Co-Lehr-Formate, in denen jüngere Kolleg*innen gemeinsam mit Erfahrenen Seminare geben, und strukturierte Möglichkeiten, sich in Kommissionen einzubringen. In anderen fällt der Übergang in ein Loch: Die Ausbildung ist abgeschlossen, man erhält ein Zertifikat – und wird dann weitgehend sich selbst überlassen, mit der Praxis, mit der Frage nach dem Verhältnis zum Institut, mit diffusen Erwartungen an „Rückgabe“.

An dieser Stelle entscheidet sich häufig, ob eine institutionelle Biografie entsteht. Menschen, die an diesem Übergang Gelegenheit haben, sich in überschaubaren, unterstützten Formen einzubringen – etwa in einer Arbeitsgruppe, in der Mitarbeit an einer Fortbildungsreihe, in einem Nachwuchsgremium –, erleben, dass das Institut nicht nur Ausbildungsstätte, sondern potenziell auch Ort ihrer eigenen Generativität ist. Sie beginnen, sich nicht nur als ehemalige Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, sondern als Mitglieder zu erleben. Wer dagegen nach der Ausbildung kaum Räume angeboten bekommt oder in Strukturen gerät, die von Überlastung, Schuldzuschreibung und Intransparenz geprägt sind, erlebt die Institution eher als Ort, an dem man „durch­ge­gan­gen“ ist, aber nicht als Ort, an dem man „ankommen“ möchte.

Partizipation hat dabei verschiedene Grade. Es macht einen Unterschied, ob jemand gelegentlich an einer Mitgliederversammlung teilnimmt, ob er oder sie in einem Ausschuss mitarbeitet, ob Lehrtätigkeiten übernommen werden, ob Vorstandsfunktionen wahrgenommen werden. Zwischen „dabei sein“ und „Verantwortung tragen“ gibt es viele Zwischenstufen. Eine partizipative Ausbildungskultur zeichnet sich dadurch aus, dass es Zwischenräume gibt, in denen man erproben kann, wie sich Mitgestaltung anfühlt, ohne gleich in hohe Ämter gedrängt zu werden. In der allgemeinen Partizipationsforschung würden diese Zwischenräume irgendwo in der Mitte von Arnsteins Leiter angesiedelt: jenseits von reiner Information und symbolischer Konsultation, aber noch nicht auf der Stufe „Delegierte Macht“ oder „Bürger*innenkontrolle“ (Arnstein, 1969; Hassinger, 2022). Übertragen heißt das: Institute brauchen Formen echter Mitarbeit, ohne dass jeder Schritt sofort mit hohem Risiko und hohem Aufwand verbunden ist.

Hindernisse der Partizipation: Struktur, Kultur und unbewusste Szenen

Vorangegangene Kapitel haben bereits deutlich gemacht, dass Partizipation nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern durch strukturelle, kulturelle und psychodynamische Faktoren begrenzt wird. Hier sollen diese Hindernisse, mit Blick auf die Ausbildungsrealität, noch einmal knapp zusammengezogen werden – nicht als Vorwurf an Einzelne, sondern als Beschreibung eines Feldes, in dem Beteiligung schwieriger ist, als es einfache Appelle nahelegen.

Strukturell gesehen ist das wichtigste Hindernis die Zeit und Energie, die die Ausbildung selbst, die klinische Arbeit und der Aufbau einer eigenen Praxis beanspruchen. Wer mehrere Tage in der Woche in Klinik oder Ambulanz arbeitet, abends und am Wochenende Seminare besucht, Fallberichte schreibt, Supervision wahrnimmt, Lehranalysen finanziert und vielleicht noch Kinder betreut oder pflegebedürftige Angehörige, hat nur begrenzte Reserven. In solchen Lebenslagen kann das Angebot, zusätzlich in einem Gremium mitzuarbeiten, schnell wie eine Überforderung wirken – selbst wenn man das Anliegen versteht und die Institution einem am Herzen liegt. Studien zu Freiwilligenarbeit und Ehrenamt zeigen, dass Work–Home-Interferenz und das Gefühl, von der Organisation wenig unterstützt zu werden, zentrale Prädiktoren für Rückzug und Burnout sind (Magrone et al., 2024; Dekel et al., 2022). Für psychoanalytische Institute dürfte Ähnliches gelten: Wo Engagement zwingend „on top“ zu ohnehin voll ausgelasteten Wochen geleistet werden muss, ist Rückzug weniger Charakterfrage als Strukturfolge.

Kulturell treten hindernisbezogene Muster hinzu. In vielen Ausbildungskontexten gibt es – bewusst oder unbewusst – ein Bild davon, wer überhaupt „berufen“ ist, sich institutionell zu engagieren. Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen werden schnell als „noch nicht so weit“ markiert, approbierte Analytiker*innen in den ersten Berufsjahren als „zu überlastet“, Kolleg*innen mit Familienpflichten als „schwer verfügbar“. Übrig bleiben diejenigen, die entweder schon lange dabei sind oder über spezifische Ressourcen verfügen (größerer Praxisumfang, weniger Sorgearbeit, höhere Leidensfähigkeit gegenüber institutionellem Stress). Solche impliziten Bilder erzeugen eine selbsterfüllende Prophezeiung: Wer sich nicht als prototypisches Vorstandsmitglied oder als „natürliche Institutsfigur“ erlebt, wird sich seltener anbieten, selbst wenn formell alle eingeladen sind.

Die psychodynamische Dimension verschärft diese kulturellen Tendenzen. In vielen Instituten wird Ausbildung – trotz aller Bemühungen um Dezentrierung – immer noch stark mit einer Eltern-Kind-Logik verknüpft: Lehranalytiker*innen und Lehrende werden als Elternfiguren erlebt, die Institute als „Familien“, in denen man lange Kind bleibt. In solchen Konstellationen kann die Idee, in ein Gremium zu gehen oder eine Aufgabe zu übernehmen, wie ein „Übergriff“ wirken: als würde man sich auf eine Ebene mit den „Eltern“ stellen, die man doch gleichzeitig idealisiert oder fürchtet. Die Angst, durch zu viel Engagement etwas an der eigenen Ausrichtung, an der eigenen Lehranalyse oder an künftigen Chancen zu gefährden, ist nicht trivial; sie ist tief im Transferenzgewebe verankert (Margolis, 2001; Herrmann, 2014).

Hinzu treten unbewusste Allianzen, wie sie Kaës beschrieben hat. Es kann Allianzen der Entwertung geben („Hier lohnt sich Engagement sowieso nicht“), Allianzen der Opfer („Bei uns werden die, die etwas tun, nur ausgenutzt“), Allianzen der Loyalität („Über die Belastung unserer Lehranalytiker*innen spricht man nicht“) und Allianzen des Zynismus („Am Ende entscheiden doch die immer gleichen Personen“). Solche Allianzen sind nicht bloß Einstellungen, sondern affektive Verknüpfungen, die Halt geben, indem sie Komplexität reduzieren – um den Preis, dass sie Veränderungen erschweren. Wer sich gegen sie stellt, riskiert, als illoyal, naiv oder „noch nicht durchblickend“ abgewertet zu werden (Kaës, 2007).

Schließlich spielt die institutionelle Geschichte – wie angedeutet – eine Rolle. Institute, die schwere Konflikte erlebt haben, etwa Spaltungen, Ausschlüsse, NS-Verstrickungen, brutale Machtwechsel, können einen „eingebrannten“ Skeptizismus gegenüber Engagement entwickelt haben. In solchen Kontexten fühlt sich jede Beteiligung an institutionellen Prozessen ambivalent an: Man möchte beitragen, zugleich meldet sich das Wissen, dass die Institution schon früher „böse“ werden konnte. Das kann dazu führen, dass gerade die sensiblen, reflektierten Menschen, die für eine partizipative Kultur wichtig wären, ihre Energie lieber in den geschützteren Raum der eigenen Praxis investieren. Hassingers Konzept der relationalen Bürgerschaft im psychoanalytischen Feld weist darauf hin, dass genau diese Menschen dennoch potenzielle Trägerinnen einer anderen Form von Zugehörigkeit wären – einer, in der man sich selbst als „generative Bürgerin unter Bürgerinnen“ erlebt und nicht nur als Gast oder Untergebener (Hassinger, 2022).

Generativität und Rückzug: Warum manche sich engagieren – und viele nicht

Trotz all dieser Hindernisse gibt es Kolleg*innen, die sich engagieren – die Seminare anbieten, Supervisionen übernehmen, in Vorständen sitzen, Ambulanzen leiten, Öffentlichkeitsarbeit machen. Nicht selten sind es Menschen in der Lebensmitte, in der Erik Erikson die psychosoziale Entwicklungsaufgabe der Generativität verortet: das Bedürfnis, etwas aufzubauen, zu pflegen, weiterzugeben, das über die eigene Lebenszeit hinaus Bestand hat (Erikson, 1980; Wiktorowicz et al., 2022). Generativität wird in der neueren Arbeits- und Organisationspsychologie ausdrücklich als Motivation beschrieben, Energie in die Entwicklung der nächsten Generation und in das Gemeinwesen zu investieren – eine Motivation, die mit erhöhter Sinn-Erfahrung und zusätzlichem Engagement über das Pflichtmaß hinaus verbunden ist.

Für viele Analytiker*innen ist die Teilnahme an der Ausbildung und an Institutsarbeit eine Form, dieses generative Bedürfnis zu leben. Sie möchten etwas von dem zurückgeben, was sie selbst erhalten haben; sie erleben Freude daran, mit jüngeren Kolleginnen zu arbeiten, Fälle zu diskutieren, Theorie zu vermitteln, Strukturen zu gestalten. In den besten Momenten kann Institutsarbeit ein Raum intensiver Erfüllung sein, in dem berufliche Erfahrung, intellektuelle Neugier und kollegiale Verbundenheit zusammenkommen. Berichte von Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen zeigen, dass gerade die Arbeit mit Kandidat*innen als sinnstiftend erlebt werden kann: Man sieht Entwicklungen, begleitet schwierige Prozesse, erlebt das eigene Wissen als wirksam (Wallerstein, 2007; Aron & Starr, 2013; Schneider, 2014).

Die Frage ist, warum diese generative Energie so oft in Rückzug umzuschlagen scheint. Die tiefenpsychologische Antwort liegt, so meine These, genau in der Spannung zwischen Generativitätsimpuls und institutionellem Feldzustand – und diese Überlegung ist an dieser Stelle ausdrücklich ein Reflexionsprodukt, das sich aus den zuvor diskutierten Konzepten und aus KI-gestützten Vorschlägen speist, nicht aus einer spezifischen empirischen Einzelstudie. Wo Institutionen einen Rahmen bieten, der Engagement als sinnvoll, überschaubar und anerkennend erleben lässt – klare Aufgaben, begrenzte Mandate, realistische Erwartungen, Unterstützung, sichtbare Wirkung –, kann generative Energie sich entfalten. Wo der Rahmen aus Überforderung, Unklarheit, konfliktscheuer Atmosphäre und latenter Déliaison besteht, wird derselbe Impuls in Ambivalenz verwandelt: Man fühlt sich zuständig, aber auch ausgenutzt; identifiziert, aber auch vereinnahmt; gebraucht, aber nicht gesehen.

Für Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen verschärft sich diese Dynamik noch einmal eigentümlich. Sie befinden sich in einer Dreifachbindung: gegenüber den Patient*innen, gegenüber den Kandidat*innen und gegenüber den Institutionen, die sie in ihrer Rolle autorisieren. Von ihnen wird erwartet, dass sie fachliche Qualität sichern, institutionelle Normen verkörpern, Kandidat*innen halten und zugleich die Grenzen der eigenen Belastbarkeit nicht überschreiten. Wenn sie in dieser Lage erleben, dass die Institution ihre strukturellen Bedürfnisse – etwa nach Entlastung, Mitsprache bei Ausbildungsbedingungen, fairer Honorierung – kaum wahrnimmt, entsteht leicht ein Gefühl von Einbahnstraße: Man gibt dauerhaft, aber die Institution antwortet nur begrenzt. Kirsner und Kernberg beschreiben mehrfach, dass gerade besonders engagierte Lehranalytiker*innen irgendwann „plötzlich“ aus Gremien austreten, Mandate nicht verlängern oder ihre Lehrtätigkeit reduzieren, nachdem sie lange eine tragende Rolle gespielt haben (Kirsner, 2009; Kernberg, 2012).

An dieser Stelle bietet sich ein Querverweis auf die Forschungsdiskussion um „passion exploitation“ an: Studien zum Effort–Reward-Imbalance-Modell und zur Ausbeutung von Berufung und Leidenschaft zeigen, dass gerade hoch identifizierte, engagierte Personen besonders anfällig dafür sind, über ihre Grenzen zu gehen – und dass Organisationen diese Bereitschaft unbewusst oder sogar bewusst ausnutzen können (Kokubun, 2024; Vallerand et al., 2014; Janssen, 2023). Auf psychoanalytische Ausbildungsinstitute übertragen bedeutet das: Wer „für die Sache brennt“, ist in besonderer Gefahr, eigene Grenzen zu übergehen – und wird zugleich besonders leicht als Ressource betrachtet, die man „noch ein bisschen mehr“ bitten kann.

Unter solchen Bedingungen ist Rückzug oft eine Form von Selbstschutz. Menschen merken, dass sie Gefahr laufen, in institutionellen Anforderungen aufzugehen, ohne dass das Verhältnis von Geben und Bekommen subjektiv noch stimmt. Sie reduzieren ihr Engagement, lassen Ämter auslaufen, sagen Einladungen zur Lehre ab oder beschränken sich auf punktuelle Beiträge. Manchmal sind diese Entscheidungen bewusst und klar kommuniziert; häufig vollziehen sie sich schleichend, als innerer Ausstieg, den die Institution erst spät bemerkt – etwa dann, wenn bei den nächsten Wahlen niemand mehr kandidiert oder wenn Kandidat*innen keine Lehranalytiker*innen mehr finden.

Für Kandidat*innen und jüngere Analytiker*innen stellt sich die Frage oft weniger als Rückzug denn als nicht vollzogener Einstieg. Sie sehen die Erschöpfung der Älteren, hören von belastenden Gremien, erleben die Spannungen in Sitzungen. Gleichzeitig sind sie mit eigenen Prekaritätserfahrungen beschäftigt. In dieser Lage kann es rational erscheinen, die eigene generative Energie auf andere Felder zu lenken: in die klinische Arbeit, in Forschung, in alternative Netzwerke, in Projekte außerhalb der klassischen Institute. Beiträge zur „community psychoanalysis“ zeigen, dass viele jüngere Analytiker*innen ihre generativen Impulse eher in neue Settings – Stadtprojekte, Beratungsstellen, politische Initiativen – tragen, wenn sie in traditionellen Institutsstrukturen wenig Raum dafür sehen (Chow, 2023; Tummala-Narra, 2016).

Die erschöpfte Institution zeigt sich hier als Selektionsfeld: Sie zieht diejenigen an, die eine hohe Leidensfähigkeit und starke Identifikation mitbringen, und stößt diejenigen ab, die sensibler auf Überladung reagieren. Auf diese Weise verstärken sich die Tendenzen, die zu ihrer Erschöpfung beigetragen haben: Die „Zugpferde“ werden noch stärker beansprucht, die kritischen, aber potenziell kreativen Kräfte bleiben draußen. Schneider (2014) fand in seiner Befragung von Absolvent*innen eines amerikanischen Instituts, dass sich die intensiv engagierte Minderheit im Rückblick einerseits stark mit der Institution identifizierte, andererseits aber auch höhere Burnout-Raten und mehr Enttäuschung über fehlende Anerkennung berichtete.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es für eine partizipative Ausbildungskultur nicht genügt, nur die Bereitschaft zur Mitwirkung bei den Kandidat*innen zu fördern. Es braucht ebenso Strukturen, in denen die generative Energie der Lehranalytiker*innen und Supervisor*innen auf eine Weise eingebunden wird, die sie nicht auf Dauer verbraucht. Dazu gehören realistische Aufgabenprofile, transparente Mandatsbegrenzungen, institutionelle Anerkennungsformen und Räume, in denen auch erfahrene Kolleginnen über ihre Überlastung, ihre Ambivalenzen und ihre Zweifel sprechen können, ohne Gefahr zu laufen, ihren Status zu verlieren. Nur dort, wo Generativität auf allen Ebenen – bei Kandidat*innen wie bei Lehrenden – nicht in Passionsausbeutung umschlägt, haben Institutionen eine Chance, aus der Erschöpfung heraus wieder in eine lebendigere Form von Partizipation zu finden.

Diese Überlegungen sind bewusst als Denk- und Gesprächsangebote formuliert: Sie verbinden psychoanalytische Entwicklungstheorie (Erikson, Kaës, Benjamin) mit neueren organisationspsychologischen Befunden zur Wirkung von Generativität und zur Gefahr, dass Leidenschaft in Ausbeutung umschlägt. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wollen eher eine Sensibilität dafür schärfen, dass die Frage nach Partizipation untrennbar mit der Frage nach der libidinösen Ökonomie der Institution verbunden ist.

Partizipation als Subjektivierung im institutionellen Raum

Wenn Partizipation in der beschriebenen Weise strukturell und psychodynamisch erschwert ist, könnte man versucht sein, das Thema als Illusion abzutun: Vielleicht sei die Vorstellung einer arbeitsteilig, hierarchisch und historisch belasteten Institution, in der alle „wirklich beteiligt“ sind, schlicht unrealistisch.

Ich denke, dass es hilfreich ist, hier differenziert zu bleiben. Partizipation im starken Sinn – als durchgängig geteilte Verantwortung aller – mag utopisch sein. Aber Subjektivierung im institutionellen Raum ist es nicht. Was damit gemeint ist, lässt sich an einer Erfahrung verdeutlichen, die viele aus anderen Kontexten kennen: Es gibt Situationen in Vereinen, Teams, politischen Gruppen, in denen man spürt, dass die eigene Stimme zählt, dass man gehört wird, dass Entscheidungen auf einer Basis von Austausch entstehen – auch wenn man nicht immer Recht bekommt. Und es gibt Situationen, in denen man zwar teilnimmt, aber das Gefühl hat, dass die wesentlichen Dinge „woanders“ entschieden werden; man erlebt sich dann eher als Statistin denn als Akteurin.

Übertragen auf psychoanalytische Ausbildungskontexte heißt das: Partizipation wäre dann gegeben, wenn Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, Lehrende und Mitglieder in zentralen institutionellen Räumen – Aufnahme, Seminaren, Fallkonferenzen, Gremien, Versammlungen – erleben, dass sie als Subjekte adressiert sind: dass ihre Perspektiven, Affekte und Überlegungen nicht nur toleriert, sondern als relevantes Material für das institutionelle Denken verstanden werden. Das bedeutet keineswegs, dass jede Forderung erfüllt oder jede Idee sofort umgesetzt wird; es bedeutet aber, dass die Institution eine Form findet, in der diese Äußerungen in die gemeinsame Reflexion eingehen.

Subjektivierung im institutionellen Raum setzt voraus, dass die Institution eine bestimmte innere Haltung entwickelt: die Bereitschaft, sich selbst als Objekt der Beobachtung zu nehmen, nicht nur als Subjekt des Handelns. In einer solchen Haltung wird die Frage „Wie geht es dir mit dem Institut?“ genauso legitim wie die Frage „Wie geht es dir mit deinem Patienten?“ Die Reflexion über Räume, in denen Ausbildung stattfindet, wird Teil der Ausbildung selbst. Arbeiten zur „reflexiven Institution“ – etwa aus der Tradition der organisationsbezogenen Supervision – betonen, dass die Fähigkeit, das eigene institutionelle Geschehen zu thematisieren, eine Schlüsselvoraussetzung für jede nachhaltige Beteiligungskultur ist (Hinshelwood & Skogstad, 2000; Gerard, 2022).

Wo dies gelingt – in kleinen Momenten, etwa wenn ein Vorstand offen über seine Überlastung spricht und gemeinsam mit jüngeren Kolleg*innen über neue Formen der Aufgabenverteilung nachdenkt; in Arbeitsgruppen, die ernsthaft fragen, wie Curricula verändert werden müssen, um realistische Anforderungen zu stellen; in Seminaren, in denen über institutionelle Erfahrungen nicht nur im Flurfunk, sondern im Raum gesprochen wird –, entsteht etwas von dem, was ich im vorigen Kapitel als „institutionellen Dritten“ bezeichnet habe. Die Institution wird dann weniger als monolithisches Objekt erlebt, dem man ausgeliefert ist, sondern als ein Feld, das von den Beteiligten in ihrer jeweiligen Subjektivität mitgestaltet werden kann.

Dass solche Räume selten, fragil und konflikthaft sind, sollte nicht überraschen. Sie berühren Fragen von Macht, Anerkennung, Schuld und Angst. Doch ohne sie bleibt Partizipation ein leeres Wort. Die erschöpfte Institution ist, in diesem Sinn, eine Institution, in der Subjektivierung im institutionellen Raum nur punktuell gelingt. Diejenigen, die solche Momente erleben – eine Versammlung, in der „plötzlich wirklich gesprochen wurde“, eine Arbeitsgruppe, in der man gemeinsam etwas Neues gewagt hat –, berichten meist von Erfahrungen, die sie über Jahre tragen. Diejenigen, die solche Erfahrungen nie machen, organisieren ihre berufliche Identität eher um die eigene Praxis herum und halten institutionelle Räume auf Distanz.

Die Überlegungen dieses Kapitels sind bewusst nicht als normative Vorgaben formuliert, sondern als Versuch, anhand der zuvor entwickelten Konzepte (Kaës, Menzies Lyth, Bion, Benjamin, Erikson) und mit Unterstützung von KI-generierten Strukturvorschlägen eine Sprache für Phänomene zu finden, die viele in psychoanalytischen Ausbildungskontexten erleben, ohne sie leicht artikulieren zu können.

Das nächste Kapitel wird diesen Gedanken aufnehmen und fragen, welche konkreten strukturellen und kulturellen Bedingungen eine Institution braucht, um solche Räume systematisch zu ermöglichen. Es geht dann nicht mehr primär um Diagnose, sondern um Bedingungen einer „good enough Institution“: einer, die ihre Mitglieder nicht ideal, aber ausreichend hält, um Engagement zu ermöglichen, ohne sie zu verschleißen.

Bedingungen partizipativer, „good enough“ Institutionen

In den vorangegangenen Kapiteln habe ich die Erschöpfung psychoanalytischer Institutionen als Feldphänomen beschrieben: als Ergebnis struktureller Überlastung, äußeren Drucks und innerer Abwehrorganisationen. Ich habe skizziert, wie diese Konstellation die libidinöse Bindung an Institute aushöhlt und die Bereitschaft zur Partizipation erlahmen lässt. In diesem Kapitel soll die Perspektive kippen: weg von der Diagnose hin zur Frage, was eine Institution braucht, um „hinreichend gut“ und partizipativ zu sein – nicht im Sinne eines utopischen Ideals, sondern im Sinne einer realistischen, psychoanalytisch informierten Reformperspektive.

Der Begriff der „good enough Institution“ ist offensichtlich an Winnicotts Konzept der „good enough mother“ angelehnt. Gemeint ist eine Institution, die ihre Mitglieder nicht perfekt, aber hinreichend hält: Sie schützt nicht vor allen Konflikten und Enttäuschungen, aber so weit, dass Entwicklung, Spiel und Differenzierung möglich bleiben (Winnicott, 1960, 1971). Übertragen heißt das: Es geht nicht um fehlerfreie, harmonische, stets gerechte Organisationen, sondern um Einrichtungen, die ihre Mitglieder nicht zerstören, nicht ausbeuten, nicht beschämen, sondern ihnen ausreichend Halt, Anerkennung und Spielraum geben, damit sie sich generativ engagieren können.

Im Folgenden skizziere ich fünf Dimensionen solcher Bedingungen: strukturelle Rahmen, psychische Voraussetzungen, Übergangs- und Dritträume, Anerkennungskultur und libidinöse Ökonomie sowie die Fähigkeit der Institution, aus Erfahrung zu lernen.

Von der idealen zur „good enough“ Institution

Es ist hilfreich, zunächst mit einer stillen Fantasie aufzuräumen, die in psychoanalytischen Kontexten oft unbewusst mitläuft: der Vorstellung einer idealen Institution. Diese wäre konfliktfrei, transparent, ökonomisch stabil, generationenübergreifend gerecht, plural in der Theorie und zugleich klar im Profil. Zahlreiche Autoren haben darauf hingewiesen, dass psychoanalytische Institute von Anfang an mit Idealisationen überladen waren – als „Häuser Freuds“, als Hüterinnen einer „reinen Lehre“, als Ersatzfamilien (Kirsner, 2000, 2009; Kernberg, 1986).

Die Idealvorstellung hat eine Funktion: Sie verspricht, den Schmerz zu vermeiden, der mit realen Institutionen einhergeht – mit Deprivation, Ausschluss, Fehlentscheidungen, Machtmissbrauch. Viele Biografien tragen die Spur einer solchen Enttäuschung: Das eigene Institut erfüllte das Ideal nicht, es gab Verletzungen, Spaltungen, unschöne Kämpfe. Die Reaktion darauf pendelt häufig zwischen Zynismus („So sind Institutionen eben, man darf nichts erwarten“) und Abspaltung („Ich mache meine Praxis, mit dem Verein will ich möglichst wenig zu tun haben“).

Die Wendung zur „good enough Institution“ bedeutet, diese Illusion nicht zynisch zu zerstören, sondern zu relativieren. Eine hinreichend gute Institution ist konfliktfähig, ohne von Konflikten zerfressen zu werden; strukturiert, ohne rigide zu sein; fürsorglich, ohne die Autonomie zu verschlucken; offen für Veränderung, ohne in permanenten Reformschwüngen zu zerfallen. Sie lässt Enttäuschungen zu, ohne daraus die Botschaft zu machen, dass Engagement sinnlos sei. Sie gibt ihren Mitgliedern die Erlaubnis, sowohl zu idealisieren als auch zu kritisieren, ohne dass beides sofort pathologisiert oder moralisch bewertet werden muss.

Kaës’ Arbeiten zu Allianzen und institutionellen Pakten betonen, dass Institutionen ohne ein gewisses Maß an Idealisation und gemeinsamem Auftrag gar nicht existieren können, dass aber eine ständige Überforderung dieses Idealbildes unweigerlich zu Formen der Déliaison führt, zur Lösung libidinöser Bindungen an das Institut (Kaës, 2007, 2009). Eine „good enough Institution“ wäre in diesem Sinne eine, die mit ihren Idealen arbeiten, sie aber auch begrenzen kann.

Strukturelle Bedingungen: klare Rahmen, begrenzte Mandate, realistische Ökonomie

Eine erste Bedingung partizipativer, „good enough“ Institutionen ist Struktur – nicht im Sinne von Bürokratie um ihrer selbst willen, sondern im Sinne klarer Rollen, Mandate, Zeiträume und Entscheidungswege. Strukturelle Unklarheit erzeugt erfahrungsgemäß nicht Freiheit, sondern Angst, Projektion und Rückzug (Menzies Lyth, 1988; Enjolras, 2009).

Zu den zentralen Elementen gehören klare Beschreibungen von Aufgaben und Mandaten. Was genau bedeutet es, im Vorstand zu sein? Wie viele Stunden pro Monat sind realistisch zu veranschlagen? Welche Entscheidungskompetenzen, welche Grenzen sind damit verbunden? Gibt es Co-Leitungsmodelle, Stellvertretungen, Vertretungsregelungen? Ist es möglich, Aufgaben abzugeben, wenn sich Lebensumstände ändern, ohne Schuldzuweisungen oder Gesichtsverlust? In vielen psychoanalytischen Instituten sind diese Fragen, wie Kernberg und Kirsner beschreiben, weit weniger geklärt, als man vermuten möchte (Kernberg, 1986; Kirsner, 2009).

Eine „good enough“ Struktur kennt Zeitbegrenzungen. Mandate, die auf unbestimmte Zeit vergeben werden, laden zu Gewohnheiten, Machtakkumulation und Identifikation mit dem Amt ein. Mandate, die von vornherein zeitlich begrenzt sind – etwa auf zwei bis vier Jahre –, schaffen dagegen einen anderen inneren Rahmen und sind in vielen Verbänden und Non-Profit-Organisationen ein zentrales Governance-Instrument, um Ehrenamtliche vor Überlastung zu schützen (Enjolras, 2009).

Zur strukturellen Ebene gehört auch eine realistische Ökonomie. Partizipation lässt sich nicht von der Frage trennen, ob Menschen sie sich leisten können. Wie in Kapitel 3.3 gezeigt, ist eine psychotherapeutische Praxis – bei halbwegs guter Auslastung – ein hoch verdichteter Raum aus gut honorierten, emotional fordernden Stunden. Rechnet man nur überschlägig mit etwa 110 Euro Honorar pro 50-minütiger Einzelsitzung in der gesetzlichen Versorgung und mit 18 bis 25 solcher Sitzungen pro Woche, ergänzt um Akuttermine und Dokumentation, bewegt man sich schnell in einem klinischen Pensum von 25 bis 35 Stunden; mit Organisation, Abrechnung und Fortbildung nähert man sich einem Wochenpensum von 40 bis 50 Stunden.

Vor diesem Hintergrund ist jede Stunde, die nicht mit Patient*innen verbracht wird, sondern in Gremien, Vorstandsarbeit, Seminarvorbereitung oder Supervision fließt, nicht nur „Dienst an der Institution“, sondern auch Verzicht auf Einkommen oder auf Erholungszeit. Zwei zusätzliche Sitzungen pro Woche, die zugunsten von Institutsarbeit entfallen, entsprechen im Jahr schnell einem mittleren vierstelligen Betrag an entgangenem Honorar – oder zwei Stunden weniger freie Zeit pro Woche. Diese Größenordnungen sind, auch wenn sie von Praxis zu Praxis variieren, psychisch nicht belanglos.

Eine „good enough Institution“ wird daher versuchen, zwischen Engagement und Ressourcen einen tragfähigen Kompromiss zu finden. Das heißt nicht, dass alle Ämter voll vergütet sein müssen – psychoanalytische Kultur lebt von Generativität und Ehrenamt (Erikson, 1980; Aron & Starr, 2013). Es heißt aber, dass man nicht so tun sollte, als spiele es keine Rolle, ob jemand zehn oder zweihundert Stunden pro Jahr unentgeltlich oder symbolisch bezahlt investiert. Modelle wie Funktionspauschalen, Aufwandsentschädigungen, Arbeitsentlastung an anderer Stelle oder die gezielte Reduktion von Erwartungen an Ehrenämter können helfen, die strukturelle Kluft zwischen Praxisökonomie und Institutsanforderungen zu verringern (Martindale, 2022).

Strukturell partizipativ zu sein heißt auch, Entscheidungswege nachvollziehbar zu gestalten. Wer bereitet Entscheidungen vor, wer entscheidet letztlich, wer wird wann einbezogen? Es muss nicht alles basisdemokratisch abgestimmt werden; aber es hilft, wenn transparent ist, wann es sich um fachliche Setzungen, wann um politische Abwägungen und wann um prinzipielle Fragen handelt, in denen die Mitgliedschaft beteiligt werden sollte.

Ein weiterer, oft unterschätzter Baustein ist die Gestaltung von Einstiegsformen der Mitarbeit. Zwischen „nur teilnehmen“ und „Vorstandsmitglied“ braucht es abgestufte Rollen: projektbezogene Arbeitsgruppen, kleine zeitlich begrenzte Aufgaben, Co-Funktionen. Forschung zum Engagement in Non-Profit-Organisationen zeigt, dass genau solche „Zwischenrollen“ entscheidend sind, um Mitgliedern den Übergang vom bloßen Teilnehmen zum Mitgestalten zu erleichtern (Enjolras, 2009). Eine Institution, die faktisch nur zwei Zustände kennt – innen im Kern oder draußen als Publikum –, produziert zwangsläufig Überlastung im Kern und Resignation an der Peripherie.

Psychische Bedingungen: Containment, Konfliktfähigkeit, die Erlaubnis zum Nein

Strukturen allein genügen nicht. Eine Institution kann formal transparent organisiert sein und dennoch innerlich kalt oder abweisend erlebt werden. Psychoanalytisch betrachtet braucht eine „good enough Institution“ auch psychische Funktionen, die dem entsprechen, was Bion mit Containment und Winnicott mit Holding beschrieben haben (Bion, 1961; Winnicott, 1960).

Auf institutioneller Ebene bedeutet Containment die Fähigkeit, affektive Aufladungen zu halten, ohne sie vorschnell zu pathologisieren oder abzuwehren. Wenn in einer Mitgliederversammlung Wut, Enttäuschung oder Angst sichtbar werden, ist es ein Unterschied, ob sie als „unkonstruktiv“ abgetan werden oder ob jemand – etwa die Sitzungsleitung – versucht, sie zu benennen und in einen Denkprozess zu überführen. Eine Institution, die in der Lage ist, ihre eigenen Gefühle zu „verdauen“, sendet an ihre Mitglieder die Botschaft, dass sie mit ihrem inneren Erleben nicht allein sind.

Konfliktfähigkeit ist dabei Voraussetzung, nicht Nebenprodukt von Partizipation. Wiegand-Grefe (2004) und Herrmann (2014) haben eindrücklich beschrieben, wie destruktive Konflikte in psychoanalytischen Institutionen entweder eskalieren oder unbewusst werden, wenn es keine eingeräumten Räume für ihre Bearbeitung gibt. Eine „good enough Institution“ wird bewusst Formate schaffen, in denen Konflikte bearbeitbar werden: moderierte Workshops, externe Supervision, klare Regeln für Debatten, Zeitfenster, in denen nicht nur über Anträge, sondern auch über Atmosphären gesprochen werden darf.

Zu den psychischen Bedingungen gehört auch die Erlaubnis zum Nein. Eine Institution, die Partizipation ernst nimmt, akzeptiert, dass Menschen Ämter ablehnen, Anfragen ausschlagen, eine Pause einlegen dürfen, ohne dass diese Ablehnung moralisch bewertet oder als Mangel an Loyalität gelesen wird. In einem erschöpften Feld ist die Bereitschaft zur Übernahme zusätzlicher Aufgaben ohnehin knapp; sie lässt sich nicht durch moralischen Druck erzeugen. In der Sprache Benjamins ließe sich sagen: Es braucht Raum für Subjektivität auch gegenüber der Institution – das Recht, nicht nur als „guter Sohn“ oder „gute Tochter“ zu funktionieren, sondern als eigenes Zentrum zu entscheiden (Benjamin, 1990, 2004).

Wenn Menschen erleben, dass ihr Nein ernst genommen wird, ohne dass sie ihren Status verlieren, wird es paradoxerweise leichter, an anderer Stelle Ja zu sagen. Eine Institution, die ihre Mitglieder psychisch nicht erpresst, sondern als Erwachsene respektiert, schafft Raum für eine andere Qualität von Engagement.

Schließlich gehört zur psychischen Seite der Umgang mit Neid und Rivalität. Ausbildungsinstitute sind prädestinierte Orte für solche Affekte: Lehranalytiker*innen werden beneidet, weil sie Macht und Prestige haben; jüngere Kolleginnen, weil sie „noch alles vor sich“ haben; Institute beneiden einander um Anerkennung und Ressourcen. Wenn Neid nicht sprachfähig wird, organisiert er sich in Spaltungen, subtile Abwertungen und Sabotagen. Eine „good enough Institution“ wird nicht so tun, als gäbe es keinen Neid, sondern versuchen, ihn zu thematisieren, wo er die Arbeit blockiert – etwa in Meta-Kommentaren in Gremien oder in institutsbezogenen Supervisionsformaten (Kaës, 2007; Kernberg, 2012).

Übergangs- und dritte Räume: zwischen Kandidat*in, Mitglied und Lehrfunktion

Ein zentraler Befund der vorangegangenen Kapitel war, dass viele Ausbildungsteilnehmer*innen nach Abschluss der Ausbildung eine Art institutionelles Loch erleben: Entweder finden sie keinen Platz in der Institution, der zu ihrer Lebenslage passt, oder sie sehen nur Funktionen, die sie als zu belastend oder zu gefährlich empfinden. Die Folge ist der Rückzug in die eigene Praxis, oft begleitet von dem Eindruck, die Institute „liefen irgendwie an einem vorbei“.

Winnicotts Konzept des Übergangsraums kann hier als Leitbild dienen. Übergangsräume sind Zonen, in denen Neues gewagt werden kann, ohne dass die Risiken existenziell werden; Räume, in denen man spielen darf, ohne dass sofort endgültig bewertet oder festgeschrieben wird (Winnicott, 1971). Übertragen auf Institutionen wären dies Räume zwischen Ausbildung und voller Lehr- oder Leitungsverantwortung und zwischen reiner Kandidat*innenrolle und etablierter Mitgliedschaft.

Konkrete Formen solcher Räume können Co-Lehrformate sein, in denen jüngere Kolleginnen gemeinsam mit erfahrenen Lehrenden Seminare gestalten; Nachwuchsforen, in denen jüngere Analytiker*innen eigene Themen setzen und als gleichberechtigte Gesprächspartnerinnen mit älteren Kolleginnen diskutieren; Arbeitsgruppen, in denen Kandidat*innen, approbierte Mitglieder und Lehranalytiker*innen gemeinsam an inhaltlichen Projekten arbeiten. Auch kleine, klar begrenzte Funktionen – etwa die Moderation einer Diskussionsreihe, die Mitarbeit in einer Projektgruppe zu einem konkreten Thema – können als Übergangsrollen wirken.

Diese Räume sind fragil. Sie hängen von Einzelnen ab, können leicht wieder verschwinden und werden manchmal von der „Mitte“ der Institution unterschätzt. Eine „good enough Institution“ wird sie nicht als bloße Nachwuchsprogramme behandeln, sondern als Orte, an denen sich die Institution selbst erneuert. Übergangsräume sind Laboratorien für neue Formen von Autorität und Kooperation; sie sind Stellen, an denen eine andere Verteilung von Stimme und Verantwortung erprobt werden kann, ohne dass sofort der gesamte Apparat umgebaut werden muss (vgl. Aron & Starr, 2013; IPSO, 2023).

Anerkennungskultur und libidinöse Ökonomie

Jede Institution lebt von der Frage, wie sie die libidinösen Investitionen ihrer Mitglieder mobilisiert, hält und erneuert. Wenn man Kaës’ Begriff der Déliaison ernst nimmt, wird klar, dass Erschöpfung auch bedeutet, dass diese Investitionen sich lösen: Menschen fühlen sich innerlich weniger gebunden, Engagement erscheint weniger sinnvoll, Kritik verstummt oder wandert in informelle Räume ab (Kaës, 2007, 2009).

Eine „good enough Institution“ braucht daher eine Anerkennungskultur, die nicht nur punktuell lobt, sondern Beiträge wahrnimmt, Grenzen respektiert und Sichtbarkeit fair verteilt. Wenn über Jahre hinweg dieselben Personen im Rampenlicht stehen – als Vortragende, Leitende, Repräsentantinnen –, während andere unsichtbar bleiben, auch wenn sie viel leisten, nährt das Neid und Resignation. Wenn Entscheidungen über Lehranalytiker*innen-Ernennungen, Funktionsübernahmen oder Ehrungen intransparent sind, verstärkt das das Gefühl, in einem geschlossenen Club zu agieren (Kirsner, 2009; Martindale, 2022).

Anerkennung bedeutet dabei nicht, jede Leistung zu feiern oder Hierarchien zu leugnen. Sie bedeutet, die Vielfalt von Wegen und Formen des Engagements überhaupt zu sehen. Dazu gehört auch, Tätigkeiten anzuerkennen, die oft unsichtbar bleiben: die kontinuierliche Arbeit in der Ambulanz, die stille Entlastung in organisatorischen Prozessen, die Rolle von Kolleg*innen, die Projekte initiiert und getragen haben, ohne je ein „Amt“ zu haben.

Zur libidinösen Ökonomie gehört ebenso der Umgang mit Fehlern und Scheitern. Eine Institution, in der Fehler hart sanktioniert werden, in der Menschen fallen gelassen werden, wenn etwas misslingt, erzeugt Angst und defensives Verhalten. Eine „good enough Institution“ betrachtet Fehler als unvermeidlichen Teil von Lern- und Entwicklungsprozessen – nicht um sie zu verharmlosen, sondern um sie bearbeitbar zu machen. Wer erlebt, dass er oder sie nach einem missglückten Projekt nicht aus der Gemeinschaft fällt, sondern Unterstützung erfährt, bleibt eher bereit, neue Risiken einzugehen (Bion, 1961; Menzies Lyth, 1988).

Schließlich geht es um das Verhältnis von Eros und Arbeit in der Institution. Eine Institution, in der alle nur funktionieren, möglichst effizient und ohne Reibung, mag von außen gut organisiert wirken, verliert aber genau das, was Psychoanalyse überhaupt lohnend macht: das geteilte Interesse am Unbewussten, an Gesprächen, an Denken. Viele Berichte aus Instituten erinnern sich an Momente, in denen eine gemeinsame Diskussion in einem Seminar, ein Abend in einer Arbeitsgruppe oder sogar eine konflikthafte Versammlung plötzlich lebendig war – und genau diese Momente sind es, die Menschen an die Institution binden.

Die Institution als lernendes System

Schließlich braucht eine partizipative, hinreichend gute Institution die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen. In der Organisationsforschung spricht man von lernenden Organisationen: Gebilde, die Feedback aufnehmen, Experimente wagen und Anpassungen vornehmen, ohne ihre Identität zu verlieren (Argyris & Schön, 1996).

Für psychoanalytische Institute ist das heikel, weil ihre Identität oft stark an historische Traditionen, bestimmte Theorieschulen und die Figur des „Lehranalysehauses“ gebunden ist. Lernfähigkeit beginnt hier mit etwas scheinbar Einfachem: Feedback zu ermöglichen und ernst zu nehmen. Evaluationen von Seminaren, Supervisionen, Ambulanzerfahrungen und Gremienarbeit können helfen, Muster sichtbar zu machen, die sonst im Hintergrund bleiben. Wichtig ist, wie mit diesen Rückmeldungen umgegangen wird: Werden sie als Angriff erlebt oder als Einladung zur Reflexion? Gibt es Orte, an denen sie gemeinsam betrachtet werden, ohne dass sofort Verteidigungen und Rechtfertigungen dominieren?

Ein lernendes System wird auch bereit sein, kleine Experimente zu wagen: etwa neue Moderationsformen in Versammlungen, veränderte Abläufe in Aufnahmeverfahren, Pilotprojekte zur Entlastung von Ehrenamtlichen, hybride Veranstaltungsformate, die unterschiedliche Lebenslagen berücksichtigen. Nicht jeder Versuch wird gelingen. Entscheidend ist, dass Fehlversuche nicht zum Beleg dafür gemacht werden, dass man „es ja gleich wusste“, sondern als Material für weiteres Lernen genutzt werden.

Zur Lernfähigkeit gehört schließlich eine reflektierte Beziehung zur eigenen Geschichte. Institutionen, die ihre Vergangenheit – auch ihre dunklen Seiten – kennen, sind besser in der Lage, Wiederholungen zu erkennen und bewusst anders zu handeln. Dies kann bedeuten, NS-Verstrickungen oder frühere Ausschlüsse im Nachgang zu thematisieren, aber auch, jüngere Konflikte nicht unter den Teppich zu kehren. Arbeiten zur transgenerationalen Transmission und zum institutionellen Gedächtnis haben gezeigt, wie stark nicht bearbeitete historische Belastungen in aktuellen Settings nachwirken können (Bohleber, 2007; Gödde & Tölle, 2017).

Eine „good enough Institution“ im psychoanalytischen Feld wäre also eine, die hinreichend gut strukturiert, hinreichend gut haltend, hinreichend konfliktfähig, hinreichend anerkennend und hinreichend lernbereit ist, um Generativität und Partizipation zu tragen. Sie wird Menschen verlieren und enttäuschen; sie wird Fehler machen; sie wird nie alle zufriedenstellen. Aber sie wird nicht dauerhaft so viel libidinöse Energie verbrauchen, dass sie ihre Mitglieder ausbrennt und zur Distanz zwingt. In diesem Sinn wäre die Bewegung von der erschöpften zur „good enough“ Institution weniger ein Sprung als eine Serie von Verschiebungen in eben jenen Alltagsentscheidungen, an denen sich zeigt, ob eine Institution ihre Mitglieder als Objekte ihrer Funktionen behandelt – oder als Subjekte, mit denen sie gemeinsam denkt.

Exemplarische Szenen aus Instituten

In den vorangegangenen Kapiteln wurde das Feld psychoanalytischer Ausbildung vor allem analytisch entfaltet: als Geflecht von Räumen, Funktionen, Erwartungen und Konflikten. Um diese Überlegungen zu erden, ist es hilfreich, sich dem Material in einer Form zu nähern, die der klinischen Praxis nahe steht: in Szenen. Die folgenden Vignetten sind keine Protokolle konkreter Sitzungen, sondern verdichtete, typisierte Situationen, die in vielen Instituten in ähnlicher Form vorkommen. Sie sind so komponiert, dass sich in ihnen jeweils bestimmte Aspekte der „erschöpften Institution“ und der Möglichkeiten einer erneuerten Partizipation exemplarisch zeigen.

Die erschöpfte Vorstandssitzung

Es ist ein Donnerstagabend im Winter. Draußen ist es längst dunkel, in der Stadt hat der Feierabend begonnen. Im Institutsgebäude brennt in einem der oberen Stockwerke noch Licht. Im Vorstandszimmer sitzen acht Personen um einen ovalen Tisch, weitere zwei sind über einen Bildschirm zugeschaltet. Auf dem Tisch stehen Thermoskannen, Wasserflaschen, Teller mit nicht ganz frisch wirkenden Keksen. Die Luft im Raum ist leicht verbraucht, die meisten Jacken hängen noch über den Stuhllehnen – niemand hatte Zeit, „anzukommen“. Die Sitzung beginnt formal korrekt. Das Protokoll der letzten Sitzung wird genehmigt, der Kassenbericht zur Kenntnis genommen. Die Atmosphäre wirkt routiniert, aber nicht lebendig. Der Vorsitzende arbeitet die Tagesordnungspunkte ab: Bericht aus der Ambulanz, Rückmeldung der Curriculumsgruppe, Rückfragen des Verbandes zur Umsetzung der neuen Weiterbildung. Bis hierher ist der Ton sachlich, fast mechanisch. Beim Punkt „Ambulanzleitung – Nachfolge“ verändert sich die Stimmung. Die bisherige Leiterin hat im Vorfeld mitgeteilt, dass sie nach sechs Jahren ihr Mandat niederlegen möchte. Sie wirkt an diesem Abend stiller als sonst, blickt häufiger als gewohnt auf ihre Unterlagen, ihre Stimme klingt etwas rau, als sie noch einmal kurz den Umfang der Arbeit skizziert: Fallzuweisungen, Aufnahmegespräche, Koordination mit Kassen und Gutachter*innen, Organisation der Bereitschaftsdienste, Teilnahme an Instanz- und Ausbildungssitzungen. Sie sagt, sie habe das gerne gemacht, sei aber an einem Punkt, an dem sie merke, dass die Last auf Dauer zu schwer werde. Nach einer kurzen Stille meldet sich ein Vorstandsmitglied und sagt, man müsse nun „konkret werden“, da die Neubesetzung bereits im Protokoll des Verbandes angefragt sei. Es folgt eine bekannte Choreographie: Es werden Namen genannt, meist von Personen, die in den letzten Jahren häufig Verantwortung übernommen haben. Sofort kommen Einwände: diese Kollegin habe gerade erst eine Praxis eröffnet, jener Kollege sei familiär sehr eingebunden, eine andere stehe kurz vor dem Ruhestand. Die vorgeschlagene mittlere Generation hält sich zurück; ein jüngerer Kollege sagt leise, er sei prinzipiell interessiert, wolle aber zunächst „noch ein, zwei Jahre in der Praxis ankommen“. Bemerkenswert ist, worüber nicht gesprochen wird. Niemand stellt die Frage, ob das Amt in seiner bisherigen Form überhaupt noch realistisch ist. Niemand diskutiert, ob Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt oder zeitlich begrenzt werden können. Stattdessen bewegt sich die Gruppe in der bekannten Figur: Die Struktur wird als gegeben angenommen, gesucht wird „nur“ die passende Person. Die scheidende Ambulanzleiterin versucht einmal, vorsichtig zu formulieren, dass der Arbeitsumfang vielleicht zu groß sei – ihre Bemerkung verpufft, weil parallel jemand anderes schon den nächsten Namen in den Raum stellt.

Am Ende der Diskussion zeichnet sich keine klare Lösung ab. Nach weiterem Hin und Her erklärt sich die bisherige Leiterin bereit, „kommissarisch“ weiterzumachen, eine Kollegin sagt zu, sie „so gut es geht“ zu unterstützen. Der Vorstand einigt sich darauf, in der nächsten Mitgliederversammlung einen Appell zu formulieren, dass die Ambulanzleitung „dringend neu zu besetzen“ sei. Formal ist damit ein Beschluss gefasst. Innerlich verlassen die Beteiligten den Raum mit unterschiedlichen Affekten: Einige sind erleichtert, dass die akute Lücke vorerst geschlossen ist, andere haben ein schlechtes Gewissen, weil sie selbst keine Zusage gemacht haben, wieder andere fühlen eine wachsende Gereiztheit gegenüber den „immergleichen“ Engagierten. Psychoanalytisch lässt sich diese Szene als Inszenierung einer Institution im Modus der Grundannahmegruppe verstehen. Die Fantasie der Abhängigkeit („jemand muss das tragen“) dominiert; die Arbeitsgruppenfähigkeit, strukturelle Fragen zu stellen („ist das Amt in dieser Form noch verantwortbar?“), bleibt blockiert. Die Erschöpfung der Institution zeigt sich hier darin, dass eine überfordernde Struktur durch moralische Appelle stabilisiert wird, anstatt durch realistische Neuformung. Déliaison manifestiert sich in der stillen inneren Distanz vieler Anwesender, die nach außen zustimmen, innerlich aber bereits auf Rückzugskurs sind. Partizipation ist formal gegeben – alle könnten sich zur Wahl stellen –, faktisch aber wird die Schwelle, sich in eine Überforderungsszene hinein zu begeben, als zu hoch erlebt.

Die versandete Arbeitsgruppe

Einige Monate vor dieser Vorstandssitzung hatte man beschlossen, das Ambulanzproblem „grundsätzlich“ anzugehen. Es wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit dem Auftrag, Vorschläge für eine Entlastung und Neuorganisation zu erarbeiten. Besetzt ist sie mit fünf Personen: zwei Ausbildungsteilnehmer*innen, einer jüngeren approbierten Kollegin, einem langjährig engagierten Mitglied und der Ambulanzleiterin. In der ersten Sitzung ist die Stimmung aufgeräumt. Man sammelt Themen auf einem Flipchart: Fallzahlen, Wartelisten, Zuweisungskriterien, Kooperationen mit Kliniken, die Rolle der Bereitschaftsdienste, das Verhältnis von Versorgungsauftrag und Ausbildungsfunktionen. Die Gruppe verabredet, bis zum nächsten Treffen eine kleine Umfrage unter Kandidat*innen und Supervisor*innen vorzubereiten. Beim zweiten Treffen ist die Dynamik bereits verändert. Die Umfrage ist nur teilweise durchgeführt, einige hatten keine Zeit, einige Rückmeldungen sind sehr allgemein ausgefallen („zu viel“, „zu wenig Struktur“). Die Fülle der aufgelisteten Problempunkte wirkt überwältigend. Man beginnt, an Details zu arbeiten: Könnte man die Zuweisungslogik leicht ändern? Eine Checkliste für Erstgespräche erstellen? Ein Informationsblatt für neue Kandidat*innen erarbeiten? Gleichzeitig schleicht sich ein subtiles Gefühl der Aussichtslosigkeit ein. Die erfahrene Kollegin wirkt distanzierter, die Ausbildungsteilnehmer*innen werden stiller. Zum dritten Treffen erscheinen nur drei der fünf Mitglieder. Zwei haben sich kurzfristig entschuldigt, beide mit nachvollziehbaren Gründen. Die Anwesenden versuchen, den Faden aufzunehmen, geraten aber schnell in eine Meta-Diskussion: „Vielleicht ist das einfach zu viel für eine kleine Gruppe neben der normalen Arbeit“, „eigentlich müsste der Vorstand das entscheiden“. Man einigt sich darauf, beim Vorstand um „konkretere Aufträge“ zu bitten – dazu kommt es jedoch nie. Die Protokolle werden zwar verschickt, aber nicht mehr aufgegriffen. Die Arbeitsgruppe gerät in einen Zustand des „stillen Einfrierens“. Offiziell existiert sie noch, in Vorstandssitzungen wird auf sie verwiesen („wir haben ja dazu eine AG“), faktisch findet keine Arbeit mehr statt. Die Beteiligten empfinden dies häufig als persönliches Scheitern: „Wir haben es nicht geschafft.“ Auf institutioneller Ebene wird die Szene eher als Randphänomen behandelt, ohne dass die darin enthaltene Botschaft – nämlich die Unmöglichkeit, strukturelle Lasten in der vorhandenen Form ehrenamtlich zu bearbeiten – wirklich gehört wird.

In der Perspektive der Feldtheorie lässt sich die Arbeitsgruppe als Ort einer gemeinsamen unbewussten Phantasie lesen: die Idee, dass es „eigentlich“ möglich sein müsste, im Rahmen der bestehenden Struktur Lösungen zu finden, wenn nur genügend guter Wille vorhanden ist. Das Versanden der Gruppe zeigt, dass diese Phantasie nicht tragfähig ist. Die Erschöpfung der Institution artikuliert sich hier als Unfähigkeit, die Größe des Problems anzuerkennen, ohne es in ein individuelles „Nicht-Schaffen“ zu verschieben. Gleichzeitig wäre in dieser Szene ein Ansatzpunkt für Partizipation sichtbar: Dort, wo Arbeitsgruppen strukturell unterstützt, in ihren Grenzen anerkannt und nicht als „Mini-Vorstände“ in der zweiten Reihe behandelt werden, können sie zu realen Experimentierfeldern werden.

Die unsichtbaren Ausbildungsteilnehmer*innen

Szene drei spielt in einer halbjährlichen Mitgliederversammlung. Rund sechzig Personen sitzen in einem größeren Saal, davon etwa zwanzig Ausbildungsteilnehmer*innen. Auf dem Podium sitzen Vorsitzende, Curriculumsverantwortliche, Ambulanzvertreter*innen. Die Tagesordnung ist dicht: Berichte, Entlastungen, Wahlen, Anträge. Die Ausbildungsteilnehmer*innen nehmen meist im hinteren Drittel des Saals Platz, einige in kleinen Gruppen zusammen, manche allein. Die ersten Punkte verlaufen wie gewohnt. Der Vorstand berichtet über Gespräche mit dem Verband, die Curriculumsgruppe über die Umstellung auf die neue Weiterbildungsordnung, die Ambulanzleitung über Zahlen und Wartezeiten. Die Ausbildungsteilnehmer*innen hören aufmerksam zu, machen sich gelegentlich Notizen, flüstern etwas. Als der Tagesordnungspunkt „Aussprache“ eröffnet wird, meldet sich zunächst ein erfahrener Kollege und äußert Bedenken hinsichtlich der geplanten Kürzung eines Seminars. Es entspinnen sich einige Wortmeldungen älterer Mitglieder, die unterschiedliche Positionen vertreten. Nach einem Moment des Zögerns meldet sich eine Kandidatin. Ihre Stimme ist ruhig, aber man merkt ihr an, dass sie gefragt hat, ob sie „das jetzt sagen kann“. Sie schildert die Belastungssituation vieler Kandidat*innen: Arbeit in Klinik oder Praxis, Ausbildungskosten, Lehranalyse, Supervision, Ambulanzfälle – und die Sorge, wie sich dies mit Familiensituation und Zukunftsplanung vereinbaren lässt. Sie formuliert die Frage, ob das Institut Möglichkeiten sehe, dieser Belastung etwas entgegenzusetzen, etwa durch gestaffelte Beiträge, Unterstützung bei der Suche nach Lehranalytiker*innen, flexiblere Curriculumsplanung.

Der Vorsitzende bedankt sich höflich und verweist auf die allgemeine „angespannte Lage“ und die Bemühungen der Fachgesellschaften, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Er erwähnt, dass man mit der DGPT und der Kammer im Gespräch sei und dass die neue Weiterbildung hoffentlich Erleichterungen bringen werde. Es folgen keine weiteren Rückfragen; man wendet sich dem nächsten Tagesordnungspunkt zu. In der Pause, im Küchenbereich, ist die Stimmung eine andere. Mehrere Ausbildungsteilnehmer*innen sammeln sich um die Kandidatin, die gesprochen hat. Sie erzählen von ähnlichen Erfahrungen, davon, dass manche Kolleg*innen über Abbruch der Ausbildung nachdenken, andere aus finanziellen Gründen keine Lehranalyse beginnen können. Eine ältere Kollegin, die zufällig dabei steht, wirkt betroffen und sagt, sie habe diese Dimension nicht in diesem Ausmaß wahrgenommen. „Das müssen wir unbedingt in den Gremien diskutieren“, sagt sie – aber es bleibt unklar, ob und wo das geschehen wird. Diese Szene zeigt die Diskrepanz zwischen formal eingeräumter Partizipation und real erlebter Subjektivierung. Ausbildungsteilnehmer*innen haben Rederecht, aber ihre Beiträge verändern selten sichtbar die Agenda. Die Versammlung folgt einem Drehbuch, in dem die Stimmen der Kandidat*innen vor allem als Adressatinnen existieren, weniger als Mitgestaltende. Der institutionelle Dritte – die gemeinsam geteilte Vorstellung davon, dass die Lage der Ausbildungsteilnehmerinnen ein zentrales Thema des Instituts ist – ist schwach. Die eigentlichen „guten Räume“ entstehen inoffiziell: in der Küche, im Flur, nach der Sitzung.

Eine „good enough“-Institution würde diese Diskrepanz nicht als unvermeidlich hinnehmen. Sie könnte etwa feste, nicht delegierbare Tagesordnungspunkte einführen, in denen die Lage der Ausbildungsteilnehmer*innen nicht nur berichtet, sondern gemeinsam bearbeitet wird. Sie könnte Rückmeldungen aus diesen Foren systematisch in Vorstands- und Curriculumssitzungen einspeisen. Und sie müsste die Angst adressieren, dass solche Themen „zu viel Raum einnehmen“ – eine Angst, die selbst Ausdruck der institutionellen Abwehr ist.

Die digitale Gremiensitzung

Mit der Verlagerung vieler Sitzungen ins Digitale hat sich auch die institutionelle Szene verändert. In einer Videokonferenz des erweiterten Vorstands – vielleicht im Kontext einer Fachgesellschaft, vielleicht im Institut – sitzen 15 Kacheln auf dem Bildschirm. Einige Kameras sind eingeschaltet, andere zeigen nur Initialen. Die Tagesordnung ist ähnlich wie in Präsenz: Berichte, Anträge, Diskussionen. Zunächst wirkt die Sitzung effizienter. Die Moderation steuert die Wortmeldungen über Handhebefunktion, Abstimmungen erfolgen per Klick. Smalltalk vor und nach der Sitzung entfällt. Was verloren geht, sind die Zwischentöne: die Blicke, das Stöhnen, das Raunen, das zufällige Gespräch im Flur. In konflikthaften Momenten – etwa bei der Frage, ob eine Funktion künftig honoriert werden soll oder ob die Bezahlung ausreicht – wird die Atmosphäre kühl. Einige schalten die Kamera aus, andere bleiben sichtbar, wirken aber angespannt. Ein Mitglied äußert, dass es angesichts der gestiegenen Aufgaben ein kleines Honorar für eine bestimmte Funktion für angemessen hielte. Ein anderes warnt vor der Gefahr, eine „Zweiklassenstruktur“ zu etablieren. Die Stimme wird schärfer, der Austausch gerät in eine polarisierte Logik. Man sieht, wie einzelne Kacheln sich zurücklehnen, Blicke abwandern, jemand offensichtlich nebenher E-Mails liest. Die Sitzung wird in sachlichen Worten zu Ende geführt; die konflikthaften Affekte bleiben im Raum, finden aber kaum Bearbeitung. Nach der Sitzung versenden einzelne Teilnehmer*innen Mails an vertraute Personen: „Wie hast du das erlebt?“, „Ich fand die Bemerkung von XY schwierig.“ Die eigentliche Bearbeitung des Konflikts verlagert sich in bilaterale Kommunikationskanäle. Die digitale Form erleichtert das „innere Wegdrehen“: Man kann bei eingeschalteter Kamera innerlich abwesend sein, bei ausgeschalteter Kamera ganz verschwinden. Für viele verstärkt dies das Gefühl, dass Gremienarbeit weniger ein Ort lebendiger Auseinandersetzung ist als eine Pflichtveranstaltung, die man „durchstehen“ muss.

Psychoanalytisch betrachtet verstärkt die digitale Sitzung bestimmte Abwehrformen: Distanz, Spaltung, Affektabspaltung. Zugleich bietet sie neue Chancen: Für manche ist es leichter, in vertrauter Umgebung kritische Punkte anzusprechen; Reisezeit fällt weg; bestimmte Barrieren der Teilnahme sinken. Ob digitale Räume die Erschöpfung verstärken oder mildern, hängt davon ab, ob sie als Ergänzung genutzt werden, um neue Formen der Beteiligung zu ermöglichen, oder ob sie bestehende dysfunktionale Muster nur mit neuer Technik ausstatten.

Ein gelungener Zukunftsraum (und seine Bedingungen)

Zum Abschluss sei eine Szene skizziert, die bewusst als Gegenbild entworfen ist. In einem Ausbildungsinstitut wird – nach durchaus kontroversen Diskussionen – ein „Tag der Zukunft“ beschlossen. Eingeladen sind alle Statusgruppen: Ausbildungsteilnehmer*innen, approbierte Mitglieder, Lehranalytikerinnen, Funktionsinhaberinnen, ehemalige Mitglieder, externe Kooperationspartner*innen. Der Vorstand holt sich für diesen Tag externe Moderation, um nicht die doppelte Rolle von Leitung und Prozessbegleitung innehaben zu müssen. Der Vormittag ist der Geschichte gewidmet: in einem Vortrag, einer Podiumsdiskussion mit Zeitzeug*innen, einer kleinen Ausstellung von Dokumenten und Bildern. Es wird nicht nur eine Erfolgsgeschichte erzählt, sondern auch über Brüche, Konflikte, Auslassungen gesprochen – etwa über die NS-Vergangenheit psychoanalytischer Institutionen, über frühere Spaltungen, über Debatten zur Anerkennung neuer Verfahren. Der Raum wird so zu einem Ort geteilter, nicht idealisierter Erinnerung. Am Nachmittag wechseln die Formate. In gemischten Kleingruppen – bewusst zusammengesetzt aus älteren und jüngeren Kolleg*innen, aus Menschen mit und ohne Funktionen, aus Erwachsenen- und KJP-Bereich – wird entlang von Leitfragen gearbeitet: Wie sieht eine Ausbildung aus, in der wir leben können? Wie wollen wir Lehre organisieren? Wie wollen wir mit Ämtern umgehen? Was sind wir bereit zu leisten, was nicht? Was bedeutet „Institut“ für jemanden, der heute in die Ausbildung eintritt?

In einigen Gruppen geht es um ökonomische Fragen: gestaffelte Beiträge, Stipendien, solidarische Fonds. In anderen um Lehre: Co-Teaching-Modelle, neue Seminarthemen, Öffnung gegenüber anderen Disziplinen. Wieder andere diskutieren Gremienarbeit: Zeitbegrenzung von Mandaten, Co-Vorstände, transparente Ausschreibungen. Es entstehen konkrete Vorschläge, aber auch Widerstand: „Wer soll das bezahlen?“, „Das haben wir schon einmal versucht“, „Damit verlieren wir unsere Identität“. Entscheidend ist, wie mit diesem Widerstand umgegangen wird. Der Tag ist so angelegt, dass Kontroversen nicht als Störung, sondern als notwendiger Teil des Prozesses gelten. Am Ende werden keine umfassenden Beschlüsse gefasst – das wäre eine Überforderung dieses Formats –, aber es werden Arbeitsaufträge formuliert: eine gemischte Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der Ämterprofile, ein Pilotprojekt für Co-Lehre, eine kleine Kommission zur Prüfung solidarischer Modelle in der Finanzierung der Ausbildung. Der Vorstand verpflichtet sich öffentlich, diese Ergebnisse in seinen Sitzungen zu behandeln und in der nächsten Mitgliederversammlung darüber zu berichten. Die Teilnehmer*innen verlassen den Tag mit unterschiedlichen Gefühlen: manche irritiert, andere erleichtert, viele müde, aber nicht nur erschöpft. Was bleibt, ist die Erfahrung, dass es möglich ist, institutionelle Räume anders zu nutzen: als Orte, in denen nicht nur „über“ Ausbildung gesprochen wird, sondern in denen Ausbildungsteilnehmer*innen, Lehrende und Leitende gemeinsam an einer Zukunft arbeiten, die das Gewicht der Vergangenheit nicht verleugnet, aber nicht mehr von ihren unbewussten Wiederholungszwängen bestimmt wird.

In diesem Sinne sind die hier skizzierten Szenen keine bloßen Illustrationen, sondern verdichtete Formen institutioneller Erfahrung. Sie zeigen, wie sich die „erschöpfte Institution“ im Alltag darstellt – und wo ihre Übergänge zu einer „hinreichend guten“ Institution liegen könnten. Indem man sie als klinisches Material liest, wird die Analyse des institutionellen Unbewussten konkret: in den Pausenräumen, in den zähen Sitzungen, in den verstummten Arbeitsgruppen – und in den seltenen, aber kostbaren Momenten, in denen ein gemeinsamer Zukunftsraum tatsächlich betretbar wird.

Die DGPT als Labor der „erschöpften Institution“

In den bisherigen Kapiteln habe ich vor allem aus der Binnenperspektive einzelner Ausbildungsinstitute geschrieben. In den Szenen zu Vorstandssitzungen, Ambulanzen, Seminarräumen und Praxisgründungen wurde deutlich, wie sich Erschöpfung, Rückzug, Konfliktscheu und generative Ansprüche im Alltag verdichten. Es liegt für mich nahe, diese Phänomene nicht als Besonderheiten einzelner Häuser zu verstehen, sondern als Ausdruck einer breiteren Entwicklung der Profession. Institute existieren nicht isoliert, sondern in einem Geflecht von Dachverbänden, Fachgesellschaften, Kammern und gesundheitspolitischen Regelungen. In Deutschland kommt der DGPT dabei eine zentrale Rolle zu: Sie versteht sich zugleich als Berufsverband und als Fachgesellschaft, bündelt die großen psychodynamischen Strömungen und ist maßgeblich an der Definition von Aus- und Weiterbildungsstandards beteiligt.

Wenn ich von einer „erschöpften Institution“ spreche, muss ich deshalb notwendigerweise auch auf Verbandsebene schauen. Spiegelt die DGPT lediglich den Verschleiß ihrer Institute wider, oder lassen sich eigene, spezifische Erschöpfungsdynamiken beobachten, die ihrerseits wieder auf Institute und Ausbildung zurückwirken? In den Jahren 2023 bis 2025 hat der Verband mehrere Prozesse angestoßen, die explizit der Selbstreflexion dienen: die „Zukunftswerkstatt DGPT 2035“ (Dezember 2024), eine mehrtägige Arbeitskonferenz im Group-Relations-Format („Aufbrüche in Krisenzeiten“) sowie ein berufspolitisches Seminar zu „Instituten im Übergang“. In diesen Formaten wird die DGPT selbst zum Untersuchungsobjekt; die entsprechenden Vorträge, Berichte und Protokolle verstehe ich im Folgenden als Material, das sich mit dem zuvor entwickelten theoretischen Rahmen verschränken lässt.

Ich tue dies in einer bestimmten Position: als Mitglied der DGPT, das an einigen dieser Veranstaltungen teilgenommen, andere aus der Distanz verfolgt hat. Ich spreche nicht im Namen des Verbandes, nicht als Delegierter oder Gremienvertreter, sondern als jemand, der die offiziellen Dokumente liest, sie mit eigenen Erfahrungen aus Mitgliederversammlungen und Institutsarbeit konfrontiert und versucht, die darin sichtbaren Muster psychoanalytisch zu deuten. Ein Teil der verwendeten Dokumente stammt aus dem Mitgliederbereich der DGPT-Website, war zum Zeitpunkt meiner Arbeit jedoch ohne Login öffentlich abrufbar. Im Literaturverzeichnis verweise ich darauf, verzichte aber aus Respekt gegenüber dem ursprünglich intendierten Rahmen auf die Angabe von Direktlinks. Insofern ist dieses Kapitel bewusst doppelt markiert: Es nutzt interne Materialien, aber es ist kein innerverbandliches Positionspapier, sondern Teil eines öffentlich geführten Essays.

Der Anspruch ist, die im ersten Teil entwickelten Thesen zur „erschöpften Institution“ nicht nur abstrakt zu formulieren, sondern an einem konkreten realen Verband zu erproben. Zugleich markiert dieses Kapitel die Grenze zwischen Beschreibung und gelebter Veränderung: Es kann nur lesen, bündeln und deuten, nicht entscheiden. Wenn ich an manchen Stellen deutlich Kritik formuliere – etwa an Stimmrechtsregelungen oder an der Art, wie Generationskonflikte abgewehrt werden –, geschieht dies im Bewusstsein, dass die eigentliche Auseinandersetzung nicht im Modus des Essays, sondern in den Gremien und Versammlungen des Verbandes stattfinden muss. Das Kapitel versteht sich eher als Einladung, die beschriebene Dynamik wiederzuerkennen und in anderen Kontexten – etwa in Kommentaren, Institutszirkeln oder DGPT-Foren – weiter zu diskutieren.

Historische Rolle und Spannungsfelder der DGPT

Die DGPT ist – anders als viele kleinere Fachvereine – von Anfang an als integratives Projekt angelegt worden. In der Rückschau von Rupert Martin und Georg Schäfer auf der „Zukunftswerkstatt DGPT 2035“ wird daran erinnert, dass die DGPT aus der Zusammenführung mehrerer psychoanalytischer Verbände hervorging und sich selbst als „Einheit in der Vielfalt“ versteht: als Ort, an dem unterschiedliche Schulen, Berufsgruppen und Organisationsformen der psychodynamischen Psychotherapie gebündelt werden sollen, um nach außen mit einer hinreichend gemeinsamen Stimme auftreten zu können (Martin & Schäfer, 2024). Dieses Selbstverständnis ist, institutionentheoretisch gelesen, die Setzung eines gruppenpsychischen Apparats, der dazu dient, interne Differenzen zu halten und zu verknüpfen, damit das Feld nicht zwischen stärkeren Akteur*innen (Kammern, VT-Verbände, Politik) zerrieben wird. Gerade deshalb ist bedeutsam, wie die Zukunftswerkstatt die gegenwärtige Lage beschreibt. Martin und Schäfer arbeiten sechs Spannungsfelder heraus, auf denen die DGPT seit Jahren lebt: das Verhältnis von Fachgesellschaft und Berufsverband, die Differenz zwischen ärztlichen und psychologischen Mitgliedern, die Spannung zwischen Kammerpolitik und verbandlicher Interessenvertretung, die alte Trennlinie zwischen Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie, das Verhältnis freier Institute zu Fachgesellschaftsinstituten sowie die Relation von außerordentlichen (Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen) zu ordentlichen Mitgliedern (Martin & Schäfer, 2024, Folien 7–11). Jede dieser Achsen ist nicht nur eine politische Konstellation, sondern trägt eine spezifische Geschichte von Status, Kränkung und Identität – etwa die Machtverschiebung von der ärztlich dominierten zur psychologisch geprägten Psychoanalyse, die konfliktreiche Etablierung der Kammern oder die lange Auseinandersetzung über die Stellung der TP in der Psychoanalyse. Die in den vorherigen Kapiteln entwickelte Perspektive auf Institute als mehrschichtige Räume (Seminar, Ambulanz, Gremium, Zwischenraum) lässt sich hier auf Verbandsebene übertragen. So wie im Institut verschiedene Logiken – klinische, didaktische, ökonomische, symbolische – an einem Ort aufeinanderstoßen, so bündelt die DGPT die Logiken unterschiedlicher Organisationen und Generationen. In Kaës’ Begriff handelt es sich um einen „appareil psychique groupal“ zweiter Ordnung: ein kollektiver psychischer Apparat, der nicht nur ein Institut, sondern ein ganzes Feld von Subjekten, Gruppen und Institutionen umfasst (Kaës, 2009). Die sechs Spannungsfelder von Martin und Schäfer markieren die Hauptrichtungen, in denen dieser Apparat zugleich verbunden und zerrissen ist.

Wie stark die integrative Leistung der DGPT in die Jahre gekommen ist, lässt sich an nüchternen Zahlen ablesen. Ein Rundschreiben des Landesverbands Bayern aus dem Jahr 2025 gibt für die dortigen ordentlichen Mitglieder einen Altersdurchschnitt von 68 Jahren an; über 75 % dieser Mitglieder sind 60 Jahre oder älter, lediglich 113 ordentliche Mitglieder sind jünger als 60 (DGPT LV Bayern, 2025). Gleichzeitig sind von 390 Personen in Aus- und Weiterbildung an DGPT-Instituten in Bayern nur circa ein Viertel als außerordentliche Mitglieder an den Verband gebunden. Diese demographische Konstellation verdichtet das Bild einer alternden Institution, in der die Kohorte der 60- bis 80-Jährigen die Hauptlast der Mitgliedschaft und der Verbandstätigkeit trägt, während die nachrückenden Generationen deutlich schwächer verankert sind. In der Sprache dieses Essays lässt sich dies als manifeste Form institutioneller Déliaison begreifen: Die libidinöse Bindung jüngerer Kolleg*innen an den Verband bleibt fragil oder löst sich nach der Ausbildung schnell wieder, während die ältere Generation sowohl die symbolische als auch die materielle Hauptverantwortung trägt. Die Zukunftswerkstatt benennt diese Schieflage selbst mit bemerkenswerter Offenheit: Es ist von einer „legendären Müdigkeit“ die Rede, Ehrenämter zu übernehmen, und von der Schwierigkeit, für zentrale Funktionen Nachfolgerinnen zu finden (Martin & Schäfer, 2024). Diese Müdigkeit wird nicht psychologisierend individualisiert, sondern als Folge struktureller Überlastung beschrieben: Diejenigen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren für die Anerkennung der psychodynamischen Verfahren im Kassensystem kämpften, sehen sich jetzt mit einer Reform der Ausbildung, mit Evidenzhierarchien und mit internen Pluralisierungsprozessen konfrontiert, ohne dass die Organisation parallel ihre Rollen und Verantwortungsprofile angepasst hätte.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Spannungsachse zwischen außerordentlichen und ordentlichen Mitgliedern besondere Bedeutung. Satzungsrechtlich ist die Unterscheidung klar: Außerordentliche Mitglieder sind Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen an DGPT-Instituten; ihre Mitgliedschaft ist an den Status „in Ausbildung“ gebunden, erlischt mit Abschluss der ersten DGPT-konformen Weiterbildung automatisch und ist mit beschränkten Rechten ausgestattet (DGPT, 2024b, § 3). Ordentliche Mitglieder hingegen sind Vollmitglieder mit abgeschlossener Weiterbildung, vollem Stimmrecht und deutlich höherem Beitrag (DGPT, 2024c). Das Stimmrecht in der Mitgliederversammlung ist in § 17 Abs. 11 der Satzung eindeutig geregelt: Stimmberechtigt sind ausschließlich ordentliche Mitglieder; außerordentliche und affiliierte Mitglieder sind nur beteiligt, „soweit sie finanzielle Belastungen treffen, die über den in der Beitragsregelung festgelegten Betrag hinausgehen“ (DGPT, 2024b, § 17 Abs. 11).

In der Zukunftswerkstatt wird nun berichtet, dass eine Arbeitsgruppe zur Partizipation außerordentlicher Mitglieder Vorschläge erarbeitet habe, die auf ein erweitertes Stimmrecht der ao-Mitglieder zielten, und dass diese Vorschläge in den Gremien zu erheblichen Spannungen geführt hätten (Martin & Schäfer, 2024, Folie 15). Zwei konkrete Satzungsänderungsanträge, die auf der Mitgliederversammlung 2024 gestellt wurden, verfehlten die notwendige Zweidrittelmehrheit. Die Zukunftswerkstatt fasst dies in der Formel einer „Konfliktlinie mit hoher desintegrativer Kraft“ zusammen. Aus der Perspektive dieses Essays ist hier der Punkt erreicht, an dem das institutionelle Unbewusste besonders deutlich aufscheint. Für Ausbildungsteilnehmer*innen und jüngere Kolleg*innen ist die Forderung nach Stimmrecht vor der ordentlichen Aufnahme – zumindest aus meinem eigenen Erleben – naheliegend. Wer bereits in Ambulanzen, Kliniken und Praxen Verantwortung trägt, wer Beiträge zahlt und von verbandlichen Entscheidungen direkt betroffen ist, empfindet es als folgerichtig, auch in der Mitgliederversammlung eine Stimme zu haben. Aus Sicht der älteren Kohorte, für die der ordentliche Mitgliedsstatus ein hart erkämpftes Symbol der Anerkennung und Zugehörigkeit ist, wirkt dieselbe Forderung wie ein Angriff auf das Selbstbild und die institutionelle Kontinuität. In der Mitgliederversammlung in Weimar 2023, an der ich teilnahm, artikulierte sich dies in Sätzen wie: „Dann könnten die Jungen uns ja den Verein auflösen.“ Die Forderung nach Stimmrecht wurde teilweise als „Rebellion“ gelesen, begleitet von Appellen, man solle „erst einmal richtig dabei sein“, bevor man mitbestimmen könne. Diese Szene – hier ausdrücklich als persönliche Beobachtung wiedergegeben – verdichtet, was die Zukunftswerkstatt nur indirekt formuliert: die Angst der etablierten Generation, die symbolische Kontrolle über „ihre“ Institution zu verlieren. In der Begriffsarbeit dieses Essays lässt sich das als pacte dénégatif verstehen (Kaës, 2009): eine unbewusste Übereinkunft, bestimmte Wahrheiten – hier die Verhandelbarkeit von Mitgliedschaft und Macht – nicht offen auszusprechen, sondern sie in abstrakte Formeln („desintegrative Kraft“, „Partizipationskonflikt“) zu übersetzen. Die Satzung, die Stimmrechtsfrage und die MV-Praxis bilden zusammen das strukturelle Rückgrat einer „vertikalen“ Institution, in der Zugehörigkeit in Stufen organisiert ist und Macht an die oberste Stufe gebunden bleibt.

Die DGPT selbst erkennt die Risiken dieser Struktur. Martin und Schäfer warnen vor Tendenzen zur „Identitätspolitik“ in den Debatten: Anstatt Unterschiede als Aushandlungsaufgabe zu begreifen, neigen Gruppen dazu, ihre Positionen als Ausdruck unverhandelbarer Identität zu behandeln („wir Psychoanalytikerinnen“, „wir TPlerinnen“, „wir Ärztinnen“, „wir Kandidat*innen“) und Kritik als Angriff auf das Selbst zu erleben (Martin & Schäfer, 2024). In Bions Terminologie handelt es sich um ein Abrutschen von der Arbeitsgruppenmentalität in Grundannahmeprozesse: Die Gruppe organisiert sich um imaginäre Bedrohungen und magische Lösungen, anstatt sich der mühsamen, frustrierenden Aufgabe realer Entscheidungsarbeit zu stellen (Bion, 1961). Die Zukunftswerkstatt ist in diesem Sinne ein ambivalenter Text. Sie dokumentiert eine bemerkenswerte Bereitschaft zur Selbstdiagnose: Der Verband sieht seine eigene Überalterung, die mangelnde Bindung des Nachwuchses, die Spannungsfelder und die Gefährdung der Diskursfähigkeit klarer, als man es von außen vielleicht vermuten würde. Gleichzeitig markiert sie die Grenzen dieses Selbstblicks: Dort, wo es um wirkliche Machtverschiebungen geht – etwa um Stimmrechte der ao-Mitglieder –, bleiben die affektiven Kernphantasien (Auflösung, Verrat, Entwertung der eigenen Leistung) im Untergrund und erscheinen nur gefiltert. Für das Anliegen dieses Essays, die „erschöpfte Institution“ nicht nur psychologisch, sondern auch strukturell zu fassen, ist genau diese Mischung aus Klarheit und Ausblendung zentral. Die folgenden Unterkapitel werden daher nicht nur die Diskurse der Zukunftswerkstatt weiterverfolgen, sondern auch fragen, wie die institutionellen Ideale, Normen und Regelwerke der DGPT (Ausbildungsstandards, Satzung, Geschäftsordnung der MV) dazu beitragen, Erschöpfung und Déliaison zu stabilisieren – oder zu überwinden.

Institutionelle Ideale und Versorgungsrealität: Michels, Teising, Eichfelder

Wenn man verstehen will, warum die institutionelle Erschöpfung nicht nur aus „zu viel Arbeit“ entsteht, sondern aus bestimmten Selbstbildern, lohnt sich ein genauer Blick auf die Debatte, die im Rahmen der Zukunftswerkstatt DGPT 2035 durch den Vortrag von Torsten Michels und die anschließende Replik von Martin Teising sowie den Kommentar von Harald Eichfelder ausgelöst wurde (Michels, 2024; Teising, 2025; Eichfelder, 2025). In dieser Konstellation wird das Spannungsverhältnis zwischen Bewahrung und Reform nicht abstrakt, sondern sehr konkret verhandelt: als Konflikt zwischen einem am „reinen Gold“ der Psychoanalyse orientierten Ideal und der realen Versorgungs- und Ausbildungssituation. Hier kreuzen sich mehrere der im Essay behandelten Linien: die Frage, welche Behandlungen die Institutionen tatsächlich ausbilden und ermöglichen können; die Rolle normativer Ideale als Abwehr; und die Gefahr, generative Energie in Selbstausbeutung zu verkehren.

Michels’ Vortrag trägt den programmatisch zugespitzten Titel „Das ‚reine Gold‘ der Psychoanalyse und die Versorgungsrealität“. Ausgangspunkt ist Freuds Metapher, die Psychoanalyse sei „das reine Gold“ und alle Anwendungen seien Legierungen davon. Michels liest diese Metapher nicht als harmlosen poetischen Vergleich, sondern als Ursprung einer institutionellen Ideologie: In vielen Ausbildungszusammenhängen sei das „reine Gold“ zu einer Art Norm geworden, an der sich „richtige“ Analytiker*innen orientieren müssten (Michels, 2024). Er verweist dabei auf Eisslers Konzept der „optimalen Technik“ und darauf, wie dieses Konzept in den Nachkriegsinstitutionen in eine „normative Idealtechnik“ umgeschlagen sei, die bestimmte Parameter – Frequenz, Setting, Abstinenz – absolut setze und andere Formen analytischer Arbeit als zweit- oder drittklassig abwerte. In Michels’ Darstellung ist dies kein rein theoretischer Vorgang, sondern eine institutionelle Formation. Die Metapher vom „reinen Gold“ wird zum Signifikanten der Zugehörigkeit: Wer sich ihr unterstellt, gehört zur „wahren“ psychoanalytischen Gemeinschaft; wer abweicht, arbeitet „nur tiefenpsychologisch“ oder „im Feld“, aber nicht an der „eigentlichen Sache“. Diese Form des Über-Ich-Ideals – man könnte auch von einer idealisierenden Objektwahl sprechen – hat, so Michels, erhebliche praktische Folgen. Ausbildungsordnungen werden an Parametern ausgerichtet, die unter realen Bedingungen kaum aufrechtzuerhalten sind; Lehranalysen und Supervisionen werden in Frequenzen und Formen organisiert, die den Ressourcen der Menschen und Institute nicht entsprechen; und zugleich entsteht eine Kultur der Abwertung jener, die andere Wege gehen müssen oder wollen (z.B. in Kliniken, in niedrigfrequenten Settings, in traumafokussierten Kontexten). Entscheidend ist, dass Michels diese Konstellation nicht nur als individuelle Über-Ich-Problematik, sondern als institutionelle Abwehr deutet. Die Metapher vom „reinen Gold“ schützt vor der Angst, dass die Psychoanalyse im gesundheitspolitischen Betrieb marginalisiert wird oder sich im „Psychomarkt“ verliert. Indem man das „Gold“ hochhält, kann man sich seiner eigenen Besonderheit versichern – im Zweifel gegen empirische Daten zur Versorgungsrealität. Michels zeigt anhand von Zahlen zur Verteilung von AP und TP, zur Frequenz von Behandlungen und zur finanzierbaren Dauer von Therapien, dass die Mehrheit der psychodynamischen Behandlungen im System bereits heute nicht dem idealisierten Schema entspricht, das in vielen Instituten als Norm gilt (Michels, 2024). Die institutionellen Ideale und die alltägliche Praxis klaffen auseinander. Genau hier berührt Michels das, was in diesem Essay als Kern der „erschöpften Institution“ beschrieben wird: Die Ausbildung wird auf ein Modell ausgerichtet, das kaum jemand in der realen Versorgung dauerhaft praktizieren kann; die Funktionsträger*innen (Lehranalytiker*innen, Supervisor*innen, Dozentinnen, Vorstände) versuchen, dieses Modell dennoch zu verkörpern, und geraten in eine chronische Überforderung. Die Dissonanz zwischen Ideal und Realität wird nicht geklärt, sondern durch Mehrarbeit überbrückt. Generativität – der Wunsch, „die Sache“ weiterzugeben – kippt in strukturelle Selbstausbeutung, wenn die Institution keine anderen Rahmenformen bereitstellt.

Die Replik von Martin Teising setzt an einem anderen Punkt an. Sie trägt den Titel „Faktencheck“ und hat den erklärten Anspruch, Michels’ Darstellung zu korrigieren (Teising, 2025). Teising insistiert darauf, dass Freuds Goldmetapher im Kontext einer wertschätzenden Abgrenzung gegenüber Verwässerungsgefahren verstanden werden müsse. Er verteidigt die Bedeutung einer klaren analytischen Technik und warnt davor, aus Anpassung an Versorgungszwänge die Psychoanalyse in eine beliebige „Psychotherapie“ zu verwandeln. Standards und Normen seien unverzichtbar, um Ausbildungsqualität zu sichern und das spezifische Know-how der Psychoanalyse zu erhalten. In dieser Perspektive erscheint Michels’ Kritik als undifferenziert und teilweise spaltend. Teising betont, dass die Institute sehr wohl vielfältige Settings kennen, dass es in der Ausbildung bereits Flexibilitäten gebe und dass die Ausrichtung an einer „voll entwickelten“ Analyse nicht ausdogmatischer Sturheit erfolge, sondern aus dem Bemühen, die Kompetenz für tiefenpsychologische Prozesse zu sichern. Michels’ Darstellung wird als einseitige Fokussierung auf extreme Beispiele und als Gefahr gesehen, die Institutionen in ein falsches Licht zu rücken. Hier zeigt sich die andere Seite der Spannung: die Sorge, dass Kritik an Idealen zur Relativierung von Qualität führt und langfristig die Position der Psychoanalyse im Versorgungssystem schwächt. Diese Replik ist klinisch und berufspolitisch verständlich, verweist aber institutionentheoretisch auf eine Abwehrbewegung, wie sie in Kap. 5 beschrieben wurde. In dem Moment, in dem Ideale als reine Schutzvorkehrungen gegen äußere Bedrohungen verstanden werden, werden ihre pathogenen Effekte innerorganisatorisch schwerer zu adressieren. Teising steht hier für eine Haltung, die Standards und Struktur eng koppelt; er weist die Idee zurück, man könne „Gold“ und „Legierung“ strukturell neu ins Verhältnis setzen, ohne die Psychoanalyse selbst zu gefährden. Aus Sicht der „erschöpften Institution“ ist dies die Variante des sozial Abwehrenden, die die Kosten des Goldfetischs – in Form von Überforderung, Rückzug und innerer Kündigung – weniger wahrnimmt.

Der Kommentar von Harald Eichfelder versucht, beide Positionen in einen größeren Zusammenhang zu stellen (Eichfelder, 2025). Eichfelder erkennt in Michels’ Beitrag eine notwendige Binnenkritik an idealisierten Selbstbildern und widerspricht zugleich einer pauschalen Abwertung der Institutionen. Er betont, dass die Ausbildungssysteme in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Integrationsleistung vollbracht hätten – ähnlich wie die DGPT selbst – und dass Standards nicht einfach als Ausdruck von Starrheit missverstanden werden dürften. Zugleich benennt er explizit die Gefahr der Selbstausbeutung: dass dieselben Personen, die die hochfrequenten Ideale vertreten, unter Bedingungen zunehmender Verdichtung die Last tragen, sie zu realisieren. In Eichfelders Sicht liegt das Problem deshalb weniger im Gegensatz zwischen „Gold“ und „Legierung“ als in der Art, wie die institutionelle Verantwortung strukturiert ist. Ehrenamtliche Arbeit – in Vorständen, Curricula, Lehrfunktionen – sei häufig als selbstverständlich vorausgesetzt worden, ohne ausreichend über Umfang, Begrenzung und Anerkennung nachzudenken. In dieser Hinsicht verbindet sich seine Argumentation mit der im Essay beschriebenen Dialektik von Generativität und Erschöpfung (Kap. 6.4): Ein Engagement, das ursprünglich aus Lust an der Sache und aus der Erfahrung von Sinn entsteht, kann kippen, wenn die Organisation diese Energie ohne klare Rahmen absorbiert.

Aus der Perspektive der „erschöpften Institution“ ist die Michels–Teising–Eichfelder-Konstellation daher doppelt bedeutsam. Zum einen bestätigt sie, dass die Psychoanalyse in Deutschland in einer tiefgreifenden Identitätskrise steht, in der normative Vorstellungen von „reiner“ Psychoanalyse und die Realitäten des Versorgungsalltags auseinanderlaufen. Michels bringt auf den Punkt, was viele jüngere Kolleg*innen im Alltag erleben: Die Ausrichtung an einem Ideal, das in der eigenen Versorgungswirklichkeit kaum Raum findet, kann demotivierend und entfremdend wirken. Zum anderen zeigt die Replik, wie stark die Institutionen auf Bewahrung eingestellt sind – und wie diese Bewahrungshaltung mit Angst vor Verlust, Diffusion und Bedeutungsverlust aufgeladen ist. In dieser Debatte an der Spitze des Verbandes reproduzieren sich, in kondensierter Form, die zuvor anhand von Institutsräumen beschriebenen Mechanismen. Die Metapher vom „reinen Gold“ fungiert als institutioneller Über-Ich-Signifikant: Sie bietet Identität und Zugehörigkeit, verlangt aber hohe Opfer. Das Plädoyer für Standards und Normen kann, wenn es nicht begleitet wird von strukturellen Reflexionen über Ressourcen, leicht in eine Legitimierung eben jener Arrays von Ämtern, Lehranalysen und Gremien übergehen, die die Älteren ermüden und die Jüngeren abschrecken. Und der Versuch der Vermittlung – wie bei Eichfelder – macht deutlich, dass das Problem nicht in einzelnen „falschen“ Positionen liegt, sondern in der Art, wie die Institution die Spannungen zwischen Idealen und Realität organisiert.

Für das Anliegen dieses Essays ist wichtig, dass die Debatte nicht „außerhalb“ der DGPT stattfindet, sondern innerhalb ihrer offiziellen Formate. Die Zukunftswerkstatt schafft einen Rahmen, in dem eine programmatische Kritik wie die von Michels geäußert, eine Verteidigung wie die von Teising formuliert und eine kommentierende Einordnung wie die von Eichfelder veröffentlicht werden können. Insofern ist sie ein Beispiel für das, was ich mit dem Begriff der „good enough“-Verbandsstruktur meine: Sie erlaubt Konflikt und Kritik, ohne sofort mit Ausschluss oder Tabuisierung zu reagieren. Zugleich bleibt der Blick der Beteiligten – so zumindest in den vorliegenden Texten – noch stark auf den Diskurs gerichtet; die Frage, wie sich diese Einsichten in strukturelle Veränderungen der Ausbildungs- und Verbandsorganisation übersetzen lassen, ist weitgehend offen. An dieser Stelle knüpft die Doppelfunktion der DGPT an das im Essay entwickelte Bild an: Als Berufsverband und Fachgesellschaft ist sie zugleich Ort der fachlichen Selbstverständigung und der Machtorganisation. Die Debatten um „reines Gold“, Standards und Versorgungsrealität sind nicht nur Ausdruck eines inhaltlichen Ringens, sondern zugleich Kämpfe um symbolisches Kapital (Bourdieu, 1998): Wer entscheidet, was als „eigentlich psychoanalytisch“ gilt, entscheidet implizit darüber, welche Ausbildungswege und welche Formen von Engagement Anerkennung und Einfluss erhalten. Dass diese Debatten in einer Gegenwart geführt werden, in der 75 % der ordentlichen Mitglieder eines Landesverbands 60 Jahre und älter sind (DGPT LV Bayern, 2025) und in der AWT und Mittelbau eher zögerlich in ordentliche Mitgliedschaft eintreten, verleiht ihnen ein spezifisches Gewicht. Die institutionellen Ideale und Selbstbilder, um die gestritten wird, sind nicht losgelöst von der Erschöpfungssituation – sie sind Teil ihrer Ursache und ihrer möglichen Bearbeitung.

Altersstruktur, Mitgliedschaft und die „weggebrochene Mitte“

Die Frage, wie sich Erschöpfung institutionell niederschlägt, lässt sich an der DGPT exemplarisch an drei Ebenen zeigen: an der Altersstruktur der Mitglieder, an der Konstruktion von Mitgliedschaftskategorien und Stimmrechten und an der Rolle der „mittleren Generation“. Die vorliegenden Dokumente – insbesondere ein Rundschreiben des bayerischen Landesverbands, die Satzung, die Beitragsordnung sowie Informationsmaterial zur Mitgliedschaft – bieten hierfür eine aufschlussreiche Grundlage, die sich mit dem zuvor entwickelten theoretischen Raster verschränken lässt. Das bereits erwähnte Rundschreiben des LV Bayern (DGPT LV Bayern, 2025) liefert eine verdichtete demographische Momentaufnahme. Der Altersdurchschnitt der ordentlichen Mitglieder wird dort mit 68 Jahren angegeben; über 75 % dieser Gruppe sind 60 Jahre oder älter. Lediglich 113 ordentliche Mitglieder in Bayern sind jünger als 60. Gleichzeitig sind an den bayerischen DGPT-Instituten 390 Personen in Aus- und Weiterbildung eingeschrieben. Von diesen sind allerdings nur etwa ein Viertel als außerordentliche Mitglieder in der DGPT registriert – trotz der Tatsache, dass die DGPT explizit eine außerordentliche Mitgliedschaft für Ausbildungsteilnehmer*innen anbietet und in einem eigenen Flyer an Kandidat*innen für diese Form wirbt (DGPT, 2020; vgl. auch DGPT, o. J.-a). Diese Zahlen deuten auf eine doppelte Schieflage hin: Zum einen sind die tragenden ordentlichen Mitglieder überwiegend in einer Lebensphase jenseits der 60, mit einem substanziellen Anteil in den 70ern und darüber. Zum anderen ist die formale Bindung der jüngeren Generation an den Verband niedrig, obwohl die strukturellen Voraussetzungen – kostenfreie oder vergünstigte außerordentliche Mitgliedschaft während der Ausbildung – gegeben sind. In der Sprache dieses Essays lässt sich dies als manifestes Zeichen einer Déliaison verstehen: Die libidinöse Investition in die Institution konzentriert sich auf eine ältere Kohorte; die Jüngeren nehmen zwar an den Aus- und Weiterbildungsprogrammen der DGPT-Institute teil, vollziehen aber den Schritt in eine dauerhafte Verbandsbindung nur begrenzt. Der gruppenpsychische Apparat der DGPT ruht auf einem verengten Alterssegment.

Die Satzung der DGPT kodiert diese Lage in eine bestimmte Symbolik von Zugehörigkeit. § 3 unterscheidet ordentliche, außerordentliche, affiliierte und fördernde Mitglieder (DGPT, 2024b). Ordentliche Mitglieder sind diejenigen, die eine psychoanalytische oder tiefenpsychologisch fundierte Aus- oder Weiterbildung nach den Richtlinien der DGPT abgeschlossen haben oder eine entsprechende Fachmitgliedschaft in einer kooperierenden Fachgesellschaft nachweisen können. Außerordentliche Mitglieder sind Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen an DGPT-Instituten, affiliierte Mitglieder sind Kolleg*innen mit anderen psychodynamischen oder verwandten Qualifikationen, und fördernde Mitglieder sind u. a. Institute selbst. Diese Differenzierung ist in sich konsistent, trägt aber eine klare Hierarchie: Ordentliche Mitglieder sind die eigentlichen Träger*innen der DGPT, alle anderen sind – im Wortsinn – außer-ordentlich. Diese Hierarchie wird in § 17 Abs. 11 präzisiert: Stimmberechtigt in der Mitgliederversammlung sind ausschließlich ordentliche Mitglieder; außerordentliche, affiliierte und fördernde Mitglieder haben nur dann ein Stimmrecht, wenn Entscheidungen getroffen werden, die sie finanziell über die reguläre Beitragsregelung hinaus belasten (DGPT, 2024b, § 17 Abs. 11). Mit anderen Worten: Kandidat*innen und andere nicht-ordentliche Mitglieder können zwar beitreten, Beiträge zahlen, Informationen erhalten und sich vertreten lassen, aber sie sind von der formalen Willensbildung in den meisten inhaltlichen und satzungsbezogenen Fragen ausgeschlossen. Die Webseite „Mitgliedschaft in der DGPT“ beschreibt dies in einer anderen Sprache. Dort wird betont, dass die DGPT-Mitgliedschaft „vorrangig aus Individualmitgliedern“ besteht; dass neben der ordentlichen auch eine affiliierte und eine außerordentliche Mitgliedschaft existiert; und dass die Höhe des Beitrags nach der jeweiligen Kategorie gestaffelt sei (DGPT, o. J.-b). In einem Flyer zur außerordentlichen Mitgliedschaft wird ausdrücklich geworben, man könne „ab Beginn der Aus- und Weiterbildung“ ao-Mitglied werden, die Mitgliedschaft sei bis zur Zwischenprüfung kostenfrei und diene dazu, die Kandidat*innen „in die Diskussionen einzubringen“ (DGPT, 2020). Auf der Seite zur Aus- und Weiterbildung heißt es, die AWT könnten „aktiv am Instituts- und Verbandsleben teilhaben“; die ao-Mitgliedschaft ermögliche Vergünstigungen, Vernetzung und Information (DGPT, o. J.-c).

Aus der Perspektive dieses Essays markiert die Differenz zwischen normativer Darstellung und satzungsrechtlicher Realität einen wichtigen Punkt. Symbolisch werden Ausbildungsteilnehmer*innen als Teil der Gemeinschaft adressiert, als zukünftige Kolleg*innen, die früh in die DGPT hineingewachsen werden sollen. Strukturell bleiben sie jedoch in einer Zwischenposition: als „Mitglieder auf Zeit“, deren Mitgliedschaft mit Abschluss der ersten DGPT-konformen Weiterbildung automatisch erlischt (DGPT, 2024b, § 3 Abs. 3), und deren Stimmrecht stark eingeschränkt ist. Die Botschaft könnte man zugespitzt so formulieren: Ihr gehört dazu – aber noch nicht ganz; ihr sollt mitreden – aber nicht mitentscheiden; ihr sollt euch einbringen – aber die formale Kontrolle bleibt bei denjenigen, die bereits „ordentlich“ sind.

Hinzu kommt die Beitragslogik, die in der Beitragsregelung ab 2026 festgelegt ist (DGPT, 2024c). Die außerordentliche Mitgliedschaft ist vor der Zwischenprüfung beitragsfrei, danach mit einem relativ niedrigen Beitrag (z. B. 100 €) verbunden; die ordentliche Mitgliedschaft kostet 590 € pro Jahr, mit Ermäßigungen für Teilzeit oder geringeres Einkommen. Affiliierte Mitglieder zahlen 290 €, fördernde Mitglieder andere Sätze. Diese Staffelung hat auf den ersten Blick den Charakter einer fairen Anpassung an Lebens- und Erwerbssituation. Auf der symbolischen Ebene – im Hinblick auf Déliaison und Generativität – markiert sie aber auch eine klar erkennbare Schwelle: Der Übergang von der ao- zur ordentlichen Mitgliedschaft ist nicht nur ein Statuswechsel, sondern auch ein ökonomischer Sprung. In einer Generation, in der Praxisgründungen, Familiengründung und Rückzahlung von Ausbildungs- und Studienkrediten sich häufen, ist dies kein marginaler Faktor. Vor diesem Hintergrund wird die im vorigen Abschnitt skizzierte Stimmrechtsdebatte verständlicher. Die außerordentlichen Mitglieder sind formal Mitglieder, zahlen (zumindest nach der Zwischenprüfung) Beiträge und sind von den inhaltlichen Entscheidungen des Verbandes betroffen. Zugleich wird ihnen das Stimmrecht in der MV in den meisten Fragen vorenthalten. Die Möglichkeit, über die Bundeskandidatenvertretung Einfluss zu nehmen – die Satzung sieht vor, dass 3–5 Bundeskandidatenvertreter*innen von den AWT gewählt werden und im erweiterten Vorstand beratend mitwirken (DGPT, 2024b, § 18) – ist wichtig, bleibt aber im Repräsentativen. Im Unterschied dazu steht die MV als Ort der formalen Macht: Hier werden Satzungen, Beitragsordnungen, Strategien abgestimmt – und hier sind die AWT im Regelfall stumm.

In der Arbeitskonferenz 2025 wird diese Konstellation in der Intergruppe „Mittelbau stärken“ explizit angesprochen. Der Bericht hält fest, dass viele Kolleg*innen „zwischen Ausbildung und etablierter Mitgliedschaft“ keine klare Rolle in der DGPT finden, sich eher an Institute, regionale Arbeitskreise oder Fachgesellschaften binden und als DGPT-Mitglieder wenig identifiziert sind (DGPT, 2025a). Die Intergruppe identifiziert den Mittelbau – grob die Gruppe der 30- bis 45-Jährigen – als entscheidend für die Zukunft des Verbandes und konstatiert zugleich, dass gerade diese Gruppe in den letzten Jahren weitgehend „weggebrochen“ sei: viele seien formell Mitglieder, aber in Gremien, Arbeitsgruppen und MVs kaum sichtbar. Die Gruppe schlägt vor, die Übergänge zwischen Ausbildung, außerordentlicher und ordentlicher Mitgliedschaft stärker zu gestalten: durch Projektaufgaben, Patenschaften, strukturell verankerte „kleine“ Verantwortungsbereiche und explizite Ansprachen. Diese Passagen lassen sich fast direkt als Echo der in Kap. 6 entwickelten Überlegungen lesen. Dort wurde argumentiert, dass Partizipation nicht mit großen Ämtern beginnt, sondern mit der Erfahrung, in überschaubaren Aufgaben als Subjekt ernst genommen zu werden; dass es Zwischenräume braucht, in denen man Verantwortung ausprobieren kann, ohne in eine Helden- oder Opferrolle gedrängt zu werden; und dass der „weggebrochene Mittelbau“ in vielen Instituten der eigentliche Indikator für die Erschöpfung ist – nicht die Kandidat*innen, die ohnehin auf dem Weg sind, und nicht die Älteren, die ihre Rollen gefunden haben, sondern diejenigen, die an einer Stelle stehen, an der sie historisch oft die Institution tragen sollten (Kap. 6.2–6.4). Die DGPT-Materialien zeigen, dass dieses Muster auf Verbandsebene nicht nur existiert, sondern erkannt wird. Sie zeigen aber auch, dass die bisherigen Strukturen – insbesondere die Kombination aus Satzung, Beitragslogik und Stimmrecht – eher dazu tendieren, den Mittelbau in einer Schwebe zu halten. Aus der Sicht vieler jüngerer Kolleg*innen ist die Botschaft widersprüchlich: Man soll früh „ao-Mitglied“ werden und sich „von Beginn der Ausbildung an einbringen“ (DGPT, 2020), hat aber im zentralen Entscheidungsgremium kein Stimmrecht und steht vor der Wahl, nach Abschluss der Ausbildung entweder deutlich mehr zu zahlen und volles Mitglied zu werden oder sich aus der DGPT wieder zu lösen und seine institutionellen Bindungen an Institute, Regionalgruppen oder Fachgesellschaften zu verlagern.

Ich erlebe hier ein strukturelles Dilemma: Die DGPT kann nicht einfach alle Statusdifferenzen nivellieren, ohne ihre historische Struktur und auch einen Teil ihrer finanziellen Basis zu gefährden. Zugleich ist es schwer, von einer Generation, die in hoch verdichteten Arbeits- und Lebensverhältnissen aufgewachsen ist, zu erwarten, dass sie sich ohne strukturelle Mitbestimmungsrechte in eine Organisation hineinverausgabt, deren zentrale Entscheidungen von einer älteren Kohorte getroffen werden. In der Sprache von Eriksons Generativitätskonzept lässt sich sagen: Die ältere Generation befindet sich in einem Stadium, in dem sie – durchaus nachvollziehbar – „ihr“ Werk schützen will; die mittlere Generation ist bereit, generativ zu werden, erlebt aber eine Institution, die ihr nur begrenzt Räume und Rechte einräumt; und die jüngere Generation tastet sich im Spannungsfeld von Identifikation und Skepsis heran (Erikson, 1980). In den Dokumenten der Zukunftswerkstatt und der Arbeitskonferenz wird dieses Dilemma immer wieder berührt: in der Rede von der „legendären Müdigkeit“, in der Sorge um den Mittelbau, in den Anläufen zur Erweiterung des Stimmrechts der ao-Mitglieder. Die strukturelle Matrix – Mitgliedschaftskategorien, Stimmrechtsregelung, Beitragslogik – bleibt jedoch vorerst weitgehend unverändert. Aus der Sicht dieses Essays könnte man sagen: Der Verband hat sich selbst auf die Couch gelegt, seine Träume und Konflikte zur Sprache gebracht, aber ist noch nicht in vollem Umfang bereit, die notwendigen Strukturdeutungen zu vollziehen. Die Altersstruktur, die schwache Bindung der AWT, die formale Randstellung der ao-Mitglieder und die vage Rolle des Mittelbaus sind dabei nicht nur Hintergrundrauschen, sondern Parameter, an denen sich die Frage entscheidet, ob die DGPT als „good enough“-Institution weiterexistieren kann – oder ob sie sich in eine Organisation verwandelt, in der wenige Ältere das „reine Gold“ hüten, während viele Jüngere ihre eigene Zukunft außerhalb dieser Gefäße suchen.

Struktur von Mitgliedschaft und Partizipation: Satzung, Beiträge, Repräsentation

Die Frage, wer in einer Institution „dazu gehört“ und wer nur am Rand steht, ist in psychoanalytischen Kontexten nie nur eine formale, sondern immer auch eine libidinelle Frage. In den vorherigen Abschnitten habe ich anhand der Altersstruktur und der Bindung des Mittelbaus gezeigt, wie sehr sich die DGPT gegenwärtig auf eine ältere ordentliche Mitgliedschaft stützt, während die Jüngeren eher lose angebunden bleiben. Die Satzung, die Beitragsordnung und die Ordnungen der DGPT übersetzen diese Situation in eine bestimmte Rechts- und Symbolik der Mitgliedschaft; die Webtexte zur Mitgliedschaft und die Konstruktion der Bundeskandidatenvertretung rahmen sie kommunikativ. Zusammengenommen entsteht ein Bild, in dem Zugehörigkeit und Partizipation ambivalent codiert sind: Es gibt eine starke symbolische Einladung an Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen, „Teil der DGPT“ zu sein, und zugleich eine strukturelle „Halbmitgliedschaft“ mit eingeschränkten Rechten. Die Satzung der DGPT (Stand 20.09.2024) unterscheidet vier Formen der Mitgliedschaft: ordentliche, außerordentliche, affiliierte und fördernde Mitglieder (DGPT, 2024b, § 3). Ordentliche Mitglieder sind diejenigen, die eine von der DGPT anerkannte Aus- oder Weiterbildung in Psychoanalyse oder tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie abgeschlossen haben oder eine entsprechende Fachmitgliedschaft in einer kooperierenden Fachgesellschaft nachweisen können. Sie bilden den Kern der DGPT; sie tragen die satzungsmäßigen Rechte und Pflichten, insbesondere das Stimmrecht in der Mitgliederversammlung. Außerordentliche Mitglieder sind Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen an DGPT-Instituten; sie werden ausdrücklich als eigene Kategorie geführt, deren Mitgliedschaft mit Abschluss der ersten DGPT-konformen Weiterbildung automatisch erlischt (DGPT, 2024b, § 3 Abs. 3). Affiliierte Mitglieder sind Kolleg*innen, die psychodynamisch arbeiten, aber nicht nach DGPT-Standards ausgebildet sind; fördernde Mitglieder sind unter anderem Institute, Organisationen und natürliche Personen, die den Verband unterstützen wollen. Diese Differenzierung erscheint aus vereinsrechtlicher Sicht schlüssig. Sie reflektiert Ausbildungsstufen und Qualifikationswege und ordnet ihnen abgestufte Formen der Mitgliedschaft zu. In psychoanalytischer Perspektive transportiert sie jedoch eine klare Hierarchie: Nur ordentliche Mitglieder sind „vollwertige“ Mitglieder der DGPT im Sinne von Stimmberechtigung und Vollmitgliedschaft; außerordentliche Mitglieder sind Mitglieder auf Zeit, affiliierte Mitglieder Mitglieder „zweiter Ordnung“, fördernde Mitglieder primär Unterstützer*innen. Sichtbar wird dies am zentralen Artikel zur Mitgliederversammlung: Dort heißt es, „stimmberechtigt sind die ordentlichen Mitglieder“; außerordentliche, affiliierte und fördernde Mitglieder sind lediglich beteiligt, „soweit sie finanzielle Belastungen treffen, die über den in der ‚Beitragsregelung‘ für ihre Beitragsklasse hinausgehen“ (DGPT, 2024b, § 17 Abs. 11). Die ordentliche Mitgliedschaft ist somit nicht nur eine fachliche Anerkennung, sondern das Nadelöhr für formale Partizipation.

Parallel dazu regelt die Beitragsordnung die ökonomische Seite dieser Hierarchie. In der „Beitragsregelung ab 2026“ wird für außerordentliche Mitglieder vor der Zwischenprüfung ein beitragsfreier Status vorgesehen; danach beträgt der Beitrag 100 € pro Jahr, mit einer reduzierten Gebühr von 50 € für AWT in Teilzeit (DGPT, 2024c). Ordentliche Mitglieder zahlen 590 € pro Jahr (mit Abstufungen, etwa 295 € bei halber Berufstätigkeit), affiliierte Mitglieder 290 €. Fördernde Mitglieder leisten einen frei wählbaren Beitrag, Institute je nach Größe und Struktur unterschiedliche Pauschalen. Die Staffelung trägt der unterschiedlichen Einkommens- und Berufsposition Rechnung und ist in sich plausibel. Dennoch markiert sie psychoanalytisch betrachtet eine symbolische Schwelle: Der Schritt von der außerordentlichen in die ordentliche Mitgliedschaft ist nicht nur ein Statuswechsel, sondern ein deutlich höherer finanzieller Einsatz. In einer Lebensphase, in der viele nach der Weiterbildung Praxisgründung, Familienplanung und strukturell prekäre Arbeitsverhältnisse koordinieren müssen, ist der „Aufstieg“ in die ordentliche Mitgliedschaft damit nicht trivial. Diese rechtlich-ökonomische Matrix steht in einem spannungsvollen Verhältnis zur Außendarstellung der DGPT. Auf der Webseite zur Mitgliedschaft werden „elf gute Gründe“ benannt, warum man Mitglied werden solle: berufspolitische Vertretung, die Sicherung der psychodynamischen Verfahren im Gesundheitssystem, Fort- und Weiterbildungsangebote, fachliche Vernetzung, die Möglichkeit, an der Gestaltung der Psychoanalyse mitzuwirken (DGPT, o. J.-d). In der Rubrik „Mitgliedschaft“ wird betont, dass man als Mitglied „Teil eines starken Netzwerkes“ sei, dass die DGPT insbesondere Ausbildungsteilnehmer*innen früh einbinden wolle und dass die außerordentliche Mitgliedschaft ab Beginn der Ausbildung offenstehe (DGPT, o. J.-b). Aus diesen Texten spricht eine verständliche Strategie: die DGPT nicht als abstrakte Körperschaft, sondern als kollegiale Gemeinschaft zu präsentieren, in der sich auch jüngere Kolleg*innen aufgehoben fühlen können. Für jene, die sich länger mit dem Verband beschäftigen, tritt jedoch die Diskrepanz zwischen symbolischer Einladung und struktureller Positionierung deutlich hervor. Die außerordentliche Mitgliedschaft wird als „Mitgliedschaft von Beginn der Ausbildung an“ beworben; faktisch ist sie satzungskodiert eine temporäre Form mit eingeschränkten Rechten, die mit Abschluss der ersten Weiterbildung erlischt und nur durch den Antrag auf ordentliche Mitgliedschaft ersetzt werden kann. Es ist gerade diese Zwischenposition, die viele der von mir befragten oder beobachteten Kolleg*innen als ambivalent erleben: Man gehört „schon dazu“, aber „noch nicht richtig“; man wird adressiert, aber nicht vollwertig anerkannt; man soll sich einbringen, hat aber bei zentralen Entscheidungen keine Stimme.

Die Bundeskandidatenvertretung ist ein Versuch, diese Spannung zu bearbeiten. In § 18 der Satzung ist vorgesehen, dass die außerordentlichen Mitglieder drei bis fünf BundeskandidatenVertreter*innen wählen, die ihre Interessen vertreten, im erweiterten Vorstand mit beratender Stimme teilnehmen und an innerverbandlichen Prozessen teilhaben sollen (DGPT, 2024b, § 18). Dieses Modell hat unbestreitbare Vorteile: Es schafft eine klar benannte Repräsentanz der AWT auf Verbandsebene, bietet Kommunikationswege zwischen Ausbildungsgruppen und Vorstand und signalisiert, dass die DGPT ihre Ausbildungsteilnehmer*innen nicht nur als „Objekte“ der Weiterbildung, sondern als Subjekte des Verbandes sehen will. Zugleich bleibt die Konstruktion bewusst repräsentativ: Nicht die AWT als Kollektiv erhalten Stimmrechte in der MV, sondern eine kleine, gewählte Gruppe wird gehört – ohne formale Entscheidungskompetenz. In dieser Konstruktion verdichtet sich etwas, was im Essay zuvor auf Institutsniveau beschrieben wurde: die Differenz zwischen repräsentativer und struktureller Partizipation. Während Vertreter*innen von Ausbildungsteilnehmer*innen in Gremien und Ausschüssen durchaus präsent sind – auch in Instituten gibt es Kandidat*innenvertretungen, AWT-Sprecher*innen, o. Ä. –, bleibt die Frage, ob ihre Perspektive auch in jenen Räumen wirksam wird, in denen über grundlegende Weichenstellungen entschieden wird. Die DGPT anerkennt das Recht der AWT, gehört zu werden, deutet ihre Teilnahme aber als Input in einen Entscheidungsprozess, dessen formale Verantwortung bei den ordentlichen Mitgliedern verbleibt. Aus Sicht der älteren Generation hat diese Konstruktion eine gewisse Evidenz; aus Sicht vieler jüngerer Kolleg*innen wird sie als paternalistisch erlebt. Diese mehrstufige Mitgliedschafts- und Partizipationslogik wirkt sich auch auf die gelebte Kultur der Mitgliederversammlungen aus. Die Geschäftsordnung der MV (DGPT, 2024d) regelt in detailreicher Form Abläufe, Redezeiten, Antragsfristen und Beschlussfähigkeit; sie untersagt Beschlüsse unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ und legt strenge Regeln für Dringlichkeitsanträge fest. Solche Regelungen sind – gerade in einem Verband, der vielfach Konflikte erlebt hat – verständlich als Versuch, Verfahren zu sichern und Willkür zu vermeiden. Sie können jedoch aus der Perspektive derjenigen, die an der formalen Macht wenig Anteil haben, als Hürde erlebt werden: Der Raum, in dem man spontan auf neue Entwicklungen reagieren, Themen einbringen oder Konflikte ansprechen könnte, ist eng; wer Einfluss nehmen will, muss weit im Voraus gut vernetzt und verfahrenserfahren sein. 

Wenn ich das Bild zusammennehme, das Satzung, Beitragsordnung, GO und Mitgliederwerbung ergeben, dann sehe ich eine Institution, die zwischen zwei Bewegungen gespannt ist. Auf der einen Seite steht ein ernsthaftes Bemühen, Ausbildungsteilnehmer*innen und jüngere Kolleg*innen früh zu integrieren: durch ao-Mitgliedschaft, Bundeskandidatenvertretung, kostenfreie oder reduzierte Beiträge, eigens adressierte Kommunikation (z. B. Einladungen zur Jahrestagung, spezifische AWT-Flyer). Auf der anderen Seite steht eine klar kodierte Stufenordnung, in der volles Stimmrecht, hohe Beiträge und die Verantwortung für die Satzung bei einer älteren, qualitativ eng definierten Kernmitgliedschaft liegen. Die einen sollen „hineinwachsen“, die anderen halten die Schwelle fest. Psychoanalytisch gesprochen, ist dies eine Konstellation, in der Übergangs- und Zwischenzustände nicht nur „biographische“ Phasen, sondern institutionell definierte Statusformen sind. Das Problem entsteht dort, wo diese Zwischenräume nicht als eigenständig wertvoll anerkannt, sondern als Pflichtstrecken aufgefasst werden, die man möglichst reibungslos und ohne Ansprüche zu stellen durchlaufen soll. In einer Kultur, die Kandidat*innen ohnehin als „Kinder“ und Ausbilderinnen als „Eltern“ zu inszenieren tendiert (Kap. 6.3), verstärkt die Satzungslogik die Tendenz, Ausbildungsstatus mit Unmündigkeit in verbandlichen Fragen zu koppeln. Es ist dann kein Zufall, wenn Forderungen nach Stimmrecht oder nach strukturellen Änderungen von Jüngeren mitunter als „pubertär“ interpretiert werden – auch wenn sie juristisch und politisch gut begründet sind. Die Erschöpfung der Institution DGPT speist sich an dieser Stelle nicht nur aus der Last der Ämter, sondern aus der Unentschiedenheit in dieser Frage: Soll die DGPT primär ein Verband der bereits anerkannten FachVertreter*innen sein, zu dem man nach der Ausbildung in vollem Umfang gehört, oder soll sie – wie ihre eigenen Werbetexte suggerieren – ein Raum sein, in dem man als Ausbildungsteilnehmerin und junger Psychotherapeutin von Anfang an aktiv mitgestalten kann? Der Versuch, beides zugleich zu sein, ohne die strukturellen Konsequenzen zu ziehen (z. B. in Satzung und GO), erzeugt Spannungen, die sich im Erleben der verschiedenen Generationen unterschiedlich niederschlagen: als Verlustangst bei den Älteren („uns wird die Organisation entzogen“), als Ohnmacht oder Abwendung bei den Jüngeren („wir werden hier nicht ernst genommen“).

In der Arbeitskonferenz 2025 wird diese Konstellation in den Intergruppen „Mittelbau stärken“ und „AWT“ reflektiert. Die Teilnehmenden beschreiben dort, dass AWT und Mittelbau zwar numerisch eine große Gruppe darstellen, aber in Gremien und MVs kaum sichtbar seien; viele würden ihre Energie lieber in Institute, eigene Praxisprojekte oder andere Netzwerke investieren (DGPT, 2025a). Zugleich werden konkrete Vorschläge entwickelt: Patenschaften zwischen älteren und jüngeren Mitgliedern, projektförmige Mitarbeit mit klaren Zeitrahmen, institutionalisierte Reflexionsforen für AWT und Mittelbau auf Jahrestagungen, und nicht zuletzt die (erneute) Prüfung von Stimmrechtsrechten für ao-Mitglieder. Diese Vorschläge sind aus der Perspektive einer „good enough“-Institution hoch anschlussfähig: Sie zielen nicht auf die sofortige Aufhebung aller Unterschiede, sondern auf graduelle Strukturänderungen, die die Übergangsphasen ernst nehmen und Partizipation schrittweise ent-hierarchisieren. Die bisherige Satzungsrealität steht diesen Bewegungen noch entgegen. Die Frage, die sich aus Sicht dieses Essays stellt, ist daher doppelt: Zum einen, ob der Verband bereit ist, die eigene Stufenordnung im Lichte seiner Erschöpfung und seiner Nachwuchsprobleme zu revidieren; zum anderen, wie Institute ihrerseits mit den gleichen Mustern umgehen – etwa, wenn Kandidat*innen zwar in Kandidat*innenvertretungen eine Stimme haben, aber in Institutsversammlungen faktisch stumm bleiben. Die DGPT zeigt in ihren jüngsten Projekten, dass sie in der Lage ist, sich selbst auf den Prüfstand zu stellen und neue Formen der Einbindung zu erproben. Ob sie aus dieser Selbstanalyse Konsequenzen für Satzung, Beitragsstruktur und Gremienlogik zieht, ist eine offene Frage – eine Frage, die darüber mitentscheiden wird, ob sie von einer erschöpften zu einer „hinreichend guten“ Institution werden kann.

Stimmrechtskonflikt und MV-Kultur: Weimar 2023, Satzung und Zukunftswerkstatt

Die Mitgliederversammlung ist in Vereinen jener Ort, an dem sich formale Souveränität konzentriert. Sie ist im juristischen Sinn das höchste beschlussfassende Organ; in der psychoanalytischen Perspektive ist sie die Bühne, auf der die Institution sich selbst inszeniert: wer sprechen darf, wer schweigt, wessen Stimmen zählen, wessen nicht. Für die DGPT ist die MV damit ein zentrales Scharnier, an dem sich sowohl die Struktur der Mitgliedschaft (§§ 3, 17 DGPT-Satzung) als auch die Kultur der Konfliktbearbeitung kristallisieren. Gerade am Beispiel des Stimmrechtskonflikts um die außerordentlichen Mitglieder und am Erlebnis der MV in Weimar 2023 lässt sich exemplarisch zeigen, wie sich rechtliche Rahmen, gelebte Praxis und institutionelles Unbewusstes ineinander verschränken. Formell sind die Parameter klar gesetzt. § 17 Abs. 11 der Satzung bestimmt: „Stimmberechtigt sind die ordentlichen Mitglieder; außerordentliche, affiliierte und fördernde Mitglieder sind stimmberechtigt, soweit sie finanzielle Belastungen treffen, die über den in der ‚DGPT-Beitragsregelung‘ für ihre Beitragsklasse festgelegten Betrag hinausgehen“ (DGPT, 2024b, § 17, Abs. 11). In der Praxis bedeutet dies, dass in den allermeisten Fragen – Wahl des Vorstandes, Satzungsänderungen, inhaltliche Positionierungen – ausschließlich ordentliche Mitglieder abstimmen. Außerordentliche Mitglieder, also in Ausbildung befindliche Kolleg*innen, können zwar an der MV teilnehmen, Wortmeldungen machen, Anträge einbringen (sofern die Geschäftsordnung dies zulässt), haben aber kein allgemeines Stimmrecht. Ihre formale Partizipation beschränkt sich auf Situationen, in denen sie durch Sonderbeiträge oder Umlagen über den regulären Beitrag hinaus belastet würden. Parallel dazu regelt die Geschäftsordnung der Mitgliederversammlung (GO MV) die Abläufe im Detail (DGPT, 2024d). Sie legt Fristen für die Einreichung von Anträgen fest, definiert Dringlichkeitsanträge eng, untersagt Beschlüsse unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ und strukturierte den Ablauf durch Redezeitbegrenzungen, Geschäftsordnungsanträge und Wahlmodalitäten. Eine MV ist nicht öffentlich; Teilnahmerecht haben nur Mitglieder und geladene Gäste. Diese Formalisierung ist in einem Verband, der stark von inneren Konflikten und äußeren Anforderungen geprägt ist, verständlich: Sie soll Willkür vermeiden, Verfahren sichern und die Handlungsfähigkeit des Verbandes gewährleisten. Zugleich schafft sie eine hoch ritualisierte Umgebung, in der es schwer ist, spontane, nicht lange vorbereitete Themen überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen.

In diesem Rahmen entzündete sich in den vergangenen Jahren eine Auseinandersetzung von hoher symbolischer Sprengkraft: die Frage, ob außerordentliche Mitglieder – also Aus- und Weiterbildungsteilnehmer*innen – ein erweitertes Stimmrecht in der MV erhalten sollten. Die Zukunftswerkstatt fasst diese Debatte knapp, aber deutlich zusammen: Eine Arbeitsgruppe „Partizipation außerordentlicher Mitglieder“ habe Modelle diskutiert, die über die bisherige Regelung hinausgingen; die daraus abgeleiteten Vorschläge seien in den Gremien auf Widerstand gestoßen; zwei konkrete Satzungsänderungsanträge auf der MV 2024 hätten die notwendige Zweidrittelmehrheit verfehlt (Martin & Schäfer, 2024, Folie 15). Der Konflikt wird als „Konfliktlinie mit hoher desintegrativer Kraft“ beschrieben. Diese Formulierung verweist auf die Schwere der Auseinandersetzung, bleibt aber auf der Ebene abstrakter Spannungsbeschreibung. In der gelebten Situation – exemplarisch der MV in Weimar 2023, an der ich teilnahm – zeigte sich die affektive Dimension deutlich roher. Der Antrag, Kandidat*innen und jungen Approbierten bereits vor der ordentlichen Aufnahme ein Stimmrecht in der MV einzuräumen, wurde von den Antragstellerinnen mit Argumenten unterlegt, die aus demokratischer und berufspolitischer Sicht plausibel klangen: Wer von Ausbildungsstandards, Beitragsregelungen, Weiterbildungswegen und berufspolitischen Entscheidungen direkt betroffen sei, solle auch mitentscheiden dürfen; Stimmrecht sei nicht nur Belohnung für „verdiente“ Mitgliedschaft, sondern konstitutiver Teil von Zugehörigkeit in einem Berufsverband. Dem standen Reaktionen gegenüber, die – bei aller Höflichkeit – deutlich von Angst und Misstrauen geprägt waren. In Äußerungen und Zwischenbemerkungen tauchte die Fantasie auf, „die Jungen könnten uns dann den Verein auflösen“; es wurde darauf hingewiesen, dass ordentliche Mitgliedschaft eine Anerkennung erarbeitetet Leistungen sei, die man nicht „entwerten“ dürfe; die Forderung wurde teils als „Rebellion“ gelesen, verbunden mit der Botschaft, man solle „erst einmal richtig dabei sein“, die „Geschichte des Verbandes kennen“ und sich „in den bestehenden Strukturen bewähren“, bevor man Stimmrechte beanspruche. In dieser Szenik – hier bewusst als subjektive Erinnerung wiedergegeben – kommt zum Ausdruck, was in der Zukunftswerkstatt als „Identitätspolitik“ und „Komplexreduktion“ bezeichnet wird: die Tendenz, eine strukturelle Frage (wer soll wann wie mitentscheiden?) als Ausdruck moralischen oder charakterlichen Defizits („noch nicht reif“, „illoyal“, „zerstörerisch“) der Jüngeren zu interpretieren (Martin & Schäfer, 2024). Aus psychoanalytischer Sicht lassen sich verschiedene Ebenen unterscheiden. Auf der manifesten Ebene geht es um ein schlichtes Stimmrecht: Soll die Satzung geändert werden, so dass außerordentliche Mitglieder in allen Fragen mit abstimmen dürfen, oder nicht? Auf der latenten Ebene materialisiert sich an dieser Frage das Thema der Macht- und Generationsübergabe. Die ordentlichen Mitglieder – die, wie gezeigt, überwiegend 60 Jahre und älter sind (DGPT LV Bayern, 2025) – repräsentieren die Generation, die die DGPT aufgebaut, die Ausbildungssysteme gestaltet und die berufspolitischen Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte ausgetragen hat. Für diese Generation ist die ordentliche Mitgliedschaft nicht nur ein formaler Status, sondern Teil ihres beruflichen und narzisstischen Selbstverständnisses: Sie sind „die Psychoanalytikerinnen“, „die DGPT“, „die Trägerinnen des Goldes“ (vgl. Michels, 2024; Teising, 2025). Die außerordentlichen Mitglieder und der Mittelbau verkörpern eine Zukunft, die noch nicht festgelegt ist: Sie könnten das bisherige Modell fortführen, modifizieren oder radikal verändern.

In dieser Konstellation hat die Forderung nach Stimmrecht eine doppelte Bedeutung. Sie ist, erstens, ein Sachanliegen: jüngere Kolleg*innen, die in Ambulanzen, Kliniken, Praxen und Ausbildungsstrukturen Verantwortung tragen, möchten über die Regeln mitentscheiden, unter denen sie arbeiten. Zweitens ist sie eine symbolische Geste: Sie stellt die Frage, ob die Institution bereit ist, Souveränität zu teilen. Die Angst, „der Verein könnte aufgelöst werden“, verweist weniger auf eine realistische Gefahr – Satzungsänderungen und Auflösungen sind bekanntlich an hohe Hürden gebunden –, als auf eine unbewusste Fantasie: die Vorstellung, dass die abgebende Generation „entwertet“ oder „enteignet“ werden könnte, wenn die nachwachsenden Generationen gleiche Rechte erhalten, bevor sie die bisherigen Wege vollständig durchlaufen haben. In Kaës’ Theorie des pacte dénégatif beschreibt dieser Begriff die unbewusste Vereinbarung von Gruppen, bestimmte Wahrheiten nicht zu benennen, weil sie als zu gefährlich erlebt werden (Kaës, 2009). In der Stimmrechtsdebatte zeigt sich eine doppelte Denegation: Einerseits wird die reale Macht der ordentlichen Mitglieder – nur sie entscheiden in der MV – in der offiziellen Kommunikation heruntergespielt, weil man sich als kollegiale Gemeinschaft präsentiert, in der „alle eingebunden sind“ (DGPT, o. J.-d). Andererseits werden die existenziellen Ängste der Älteren – Angst vor Bedeutungsverlust, Kontrollverlust, „Auflösung“ – nicht offen benannt, sondern hinter formalistischen Argumenten („Satzungslogik“, „Vereinsrecht“) oder moralischen Appellen („erst mal richtig mitmachen“) versteckt.

Die Geschäftsordnung der MV verstärkt diese Abwehr. Sie sorgt dafür, dass spontan aufkommende Konflikte – etwa in Reaktion auf politische Entwicklungen oder innerverbandliche Ereignisse – nur schwer zum Gegenstand von Beschlüssen gemacht werden können. Anträge müssen mit erheblichem Vorlauf eingereicht werden, Dringlichkeitsanträge unterliegen strengen Kriterien, und Beschlüsse unter „Verschiedenes“ sind ausgeschlossen (DGPT, 2024d). Für erfahrene Mitglieder, die mit diesen Verfahren vertraut sind, mag dies Sicherheit geben; für jüngere Kolleg*innen, die sich ohnehin nicht als „eigentliche“ Mitglieder erleben (außerordentliche statt ordentliche), hebt es die Schwelle zur Beteiligung weiter. Bions Unterscheidung zwischen Arbeits- und Grundannahmegruppe liefert hier eine hilfreiche Linse: Formal ist die MV als Arbeitsgruppe konzipiert – sie soll Aufgaben lösen, Beschlüsse fassen; funktional gerät sie in Grundannahmeprozesse, in denen um Identität, Loyalität und Abwehr von Angst gerungen wird (Bion, 1961). Die Zukunftswerkstatt selbst deutet die Stimmrechtsdebatte als Symptom dieser Verschiebung. In den Folien von Martin und Schäfer wird betont, dass die Diskussion um das Stimmrecht der ao-Mitglieder in allen Gremien hohe emotionale Ladungen ausgelöst habe, die mit der Geschichte der DGPT, mit unterschiedlichen Vorstellungen von Berufsethos und mit Statusfragen verwoben seien (Martin & Schäfer, 2024). Der Versuch, das Stimmrecht zu erweitern, könne nicht isoliert betrachtet werden, sondern berühre die Grundfragen der DGPT: Ist sie primär ein Verband der „fertigen“ Psychoanalytiker*innen, oder ist sie eine Organisation, die Psychoanalyse als sich entwickelnde Praxis begreift, in der auch diejenigen, die noch im Werden sind, mitbestimmen?

Aus der Perspektive des vorliegenden Essays lässt sich diese Frage mit jener nach der Generativität verbinden, die in Kap. 6 eingeführt wurde. Eriksons Konzept der Generativität beschreibt die Lebensphase der mittleren Erwachsenenzeit als Stadium, in dem das Subjekt „für andere sorgt“ – Kinder, Jüngere, Projekte – und sich über dieses Fürsorgehandeln definiert (Erikson, 1980). Auf eine Institution übertragen, könnte man sagen: Eine „generative Institution“ ist eine, die ihre eigenen Nachfolger*innen nicht nur ausbildet, sondern ihnen Handlungsspielräume eröffnet. In der Stimmrechtsfrage kommt zum Vorschein, dass die DGPT sich in einem Zwischenstadium befindet: Sie hat Strukturen der Ausbildung geschaffen, sie bindet AWT über ao-Mitgliedschaft an sich, sie richtet Bundeskandidatenvertretungen ein – sie zögert aber, diese Formen der „jugendlichen“ Zugehörigkeit in echte Machtteilung zu verwandeln.

Die Arbeitskonferenz 2025 greift diese Konstellation in den Intergruppen zur Partizipation und zum Mittelbau auf. Der Bericht beschreibt, wie in einer Intergruppe zur „Partizipation der ao-Mitglieder“ sowohl die Hoffnung auf mehr Einfluss als auch die Ängste vor Überforderung und „Verlust des Profils“ artikuliert werden (DGPT, 2025a). In der Intergruppe „Mittelbau“ wird das Bild einer Gruppe gezeichnet, die sich weder mit der Rolle der „Kandidat*innen“ noch mit dem Selbstbild der „Altvorderen“ identifizieren kann: Sie fühlt sich in der MV eher als Zuschauerin älterer Konflikte denn als Subjekt mit eigener Agenda. Auch hier werden Vorschläge gemacht, wie man diesen Mittelbau durch projektbezogene Aufgaben, Patenschaften und strukturierte Einbindung in Gremien stärken könnte. Aus analytischer Sicht ist bemerkenswert, dass die Arbeitskonferenz an dieser Stelle eines tut, was in der MV kaum möglich ist: Sie erlaubt, über die unbewussten Vorstellungen zu sprechen, die an den Kategorien „ordentlich“, „außerordentlich“ und „Stimmrecht“ hängen. In einer Großgruppe formuliert ein älterer Kollege laut Bericht, dass er die Angst habe, „überrannt“ zu werden; eine jüngere Kollegin äußert, sie habe das Gefühl, dass sie zwar „mitarbeiten“, aber nicht „mitbestimmen“ solle (DGPT, 2025a). Solche Sätze tauchen im Protokoll der MV nicht auf, sind aber für das Verständnis der „erschöpften Institution“ mindestens ebenso wichtig wie die formalen Abstimmungsergebnisse. Sie markieren den Ort, an dem das institutionelle Unbewusste kurz sichtbar wird.

Für mein eigenes Denken über die DGPT ist diese Konstellation eine zentrale Prüfstation der im Essay entwickelten Thesen. Einerseits sehe ich in den Satzungs- und GO-Regelungen eine klare Tendenz zur Stabilisierung der bestehenden Machtverhältnisse: Die ordentliche Mitgliedschaft als einziges volles Stimmrecht, die strenge Geschäftsordnung der MV und die repräsentative Konstruktion der Bundeskandidatenvertretung konvergieren in einer Struktur, in der die jüngeren Mitglieder zwar symbolisch eingeladen, aber strukturell zurückgehalten werden. Andererseits sehe ich, dass der Verband diese Spannung nicht völlig ausblendet: In Zukunftswerkstatt und Arbeitskonferenz werden die Konflikte benannt, es werden Arbeitsgruppen eingesetzt, Vorschläge erarbeitet. Ob die DGPT aus dieser Selbstreflexion Konsequenzen zieht, lässt sich zum Zeitpunkt des Schreibens nicht sagen. Es bleibt möglich, dass weitere Satzungsänderungsanläufe folgen, dass Stimmrechte für ao-Mitglieder schrittweise erweitert werden, dass die GO MV zugunsten einer größeren Beteiligungskultur angepasst wird. Ebenso möglich ist, dass die institutionelle Abwehr stärker bleibt als die Einsicht, und dass die „legendäre Müdigkeit“ der Älteren und die Déliaison der Jüngeren sich in einem strukturellen Patt stabilisieren. Für die Frage der „good enough“-Institution ist genau dies der Prüfstein: Eine Institution ist nicht deshalb „hinreichend gut“, weil sie sich ihrer Erschöpfung bewusst ist, sondern weil sie bereit ist, aus dieser Bewusstheit heraus nachhaltige strukturelle Veränderungen zu wagen – auch und gerade dort, wo sie symbolische Selbstverständlichkeiten wie Stimmrecht, Status und Privilegien berühren.

DGPT als „good enough Labor“ – Synthese und blinde Flecken

Wenn ich die bislang betrachteten Materialien zur DGPT – Zukunftswerkstatt, Arbeitskonferenz, berufspolitisches Seminar, Satzung, Geschäftsordnung, Alters- und Mitgliederdaten – mit den in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Thesen zur „erschöpften Institution“ verschränke, entsteht ein ambivalentes Bild. Ich sehe einerseits einen Verband, der in bemerkenswerter Offenheit versucht, seine eigenen Spannungsfelder, Ermüdungen und Spaltungen zu verstehen und dafür bewusst psychoanalytische Instrumente mobilisiert. Andererseits sehe ich Strukturen und Regelwerke, die die beschriebenen Probleme stabilisieren, und Konfliktlinien, die auch in den Reflexionsformaten nur teilweise bearbeitet werden – insbesondere dort, wo es um reale Machtverschiebungen und strukturelle Konsequenzen geht. Die Arbeitskonferenz 2025 ist in dieser Hinsicht ein Schlüsselereignis. Ihr Titel „Aufbrüche in Krisenzeiten – zwischen drohender Entfremdung und konstruktiver Nutzung der Ressourcenvielfalt“ benennt bereits das Spannungsfeld, in dem sich der Verband verortet (DGPT, 2025a). Konzeptionell orientiert sie sich an der Group-Relations-Tradition des Tavistock-Instituts: eine temporäre Organisation wird geschaffen, in der Rollen, Grenzen und Autorität so gestaltet werden, dass unbewusste Dynamiken der „realen“ Organisation erfahrbar werden (Obholzer & Roberts, 1994; Gould, Stapley & Stein, 2001). Social-Dreaming-Matrizen, heterogene und homogene Klein- und Großgruppen und thematische Intergruppen bilden das Setting, in dem die DGPT sich selbst im „Hier und Jetzt“ erleben soll. Der Staff hat die Funktion, die Verantwortung für den Rahmen zu übernehmen und zugleich eine beobachtende, deutende Position einzunehmen – eine institutionelle Variante dessen, was auf der Couch die Analytikerin tut. Im Bericht zur Konferenz werden die Motive, die in diesem Setting auftauchen, mit einer Klarheit beschrieben, die ich im Verband bisher selten erlebt habe. Es ist die Rede von Erschöpfung der Aktiven, insbesondere jener „immergleichen“ Personen, die seit Jahren in Vorständen, Delegiertengremien und Kommissionen tätig sind; vom Wegbrechen des Mittelbaus; von ambivalenten Haltungen der AWT gegenüber dem Verband (zwischen Dankbarkeit und Skepsis); von lagerbildenden Konflikten, etwa entlang der Achse DGPT–DPT; und von hoher Kränkbarkeit bei allen Beteiligten (DGPT, 2025a). In mehreren RAWGs, etwa jener der Delegierten im Deutschen Psychotherapeutinnentag oder der BundeskandidatenVertreter*innen, wird deutlich, wie sehr sich Überforderung und Ohnmachtserleben mischen: Die einen berichten, sie wüssten nicht mehr, wie sie die vielfältigen Aufgaben mit ihrer klinischen Arbeit vereinbaren sollen; die anderen, dass sie kaum einen Weg sehen, ihre Perspektive in den großen Gremien wirksam zu machen.

Aus der Perspektive dieses Essays ist die Arbeitskonferenz ein Beispiel für die Herstellung von Thirdness im Sinne Benjamins (2004): Das Subjekt (DGPT-Mitglied), das Objekt (DGPT) und ein drittes, symbolisches Feld (die temporäre Konferenzorganisation) bilden eine triadische Struktur, in der über die Beziehung zwischen Individuum und Verband nachgedacht werden kann, ohne dass Kritik unmittelbar als Angriff erlebt werden muss. Die Teilnehmerinnen sind nicht nur „Funktionsträger*innen“ oder „Kandidat*innen“, sondern Subjekte in einem Raum, der ausdrücklich der Reflexion des ganzen Systems dient. Wenn in einer Großgruppe jemand sagt: „Ich fühle mich als AWT im Verband nicht gemeint“ oder „Ich habe Angst, dass wir uns intern zerreißen“, wird dies nicht sofort technisch beantwortet, sondern als affektive Aussage aufgenommen. Zugleich zeigen sich die Begrenzungen eines solchen Formats. Die Arbeitskonferenz ist temporär, auf einen begrenzten Zeitraum angelegt, mobilisiert einen relativ kleinen Ausschnitt der Mitgliedschaft und ist methodisch komplex. Der Bericht hält fest, dass es schwer war, die Ebenen „Person – Rolle – System“ für alle transparent zu halten, und dass manche Teilnehmer*innen sich zeitweise überfordert fühlten von der Dichte der Erlebnisse (DGPT, 2025a). Für meine Lesart ist entscheidend, dass die Konferenz zwar Räume für das Sprechen über Haltungen, Gefühle und Phantasien öffnet, aber nur in Ansätzen an die harten Strukturen heranreicht, die in der Satzung und in der Praxis der MV verankert sind. So wird etwa die Stimmrechtsfrage der außerordentlichen Mitglieder, wie in 9.5 beschrieben, als Konflikt mit „desintegrativer Kraft“ bezeichnet, ohne dass im Rahmen der Konferenz ein klarer Weg zu einer strukturellen Entscheidung erkennbar wäre.

Das berufspolitische Seminar „Institute im Übergang“ verstärkt den Eindruck, dass die DGPT ihre „Patientinnen“ – die Institute – durchaus als erschöpfte Einheiten wahrnimmt (DGPT, 2025b). In diesem Seminar berichten Vertreter*innen von Instituten über die Auswirkungen der neuen Musterweiterbildungsordnung, über Unsicherheiten hinsichtlich der Finanzierung, über Schwierigkeiten, genügend Lehranalytiker*innen, Supervisor*innen und Dozentinnen zu finden, und über die „legendäre Müdigkeit“, die alten Ausbildungspfade mit immer weniger Engagierten bis 2032 weiterzuführen. Ärztliche Weiterbildungsgänge sind zum Teil kaum noch zu füllen; die Attraktivität der analytischen Weiterbildung für Ärztinnen nimmt ab; die Institute sehen sich zwischen Reformdruck, ökonomischen Zwängen und einem schrumpfenden „Kern“ an Engagierten eingeklemmt. In den Protokollen werden wiederkehrende Wünsche an die DGPT formuliert: nach juristischer Klarheit, nach Best-Practice-Beispielen, nach Vernetzungsangeboten, nach Unterstützung bei Organisationsentwicklungsprozessen. Die Institute adressieren die DGPT damit implizit als Container im Bionschen Sinne: als Organisation, die die alpha-Funktion für das Feld übernehmen soll (Bion, 1962), also unverdautes Material – hier: Reformdruck, Überlastung, Verunsicherung – aufnimmt, transformiert und in verdaulicher Form an die Institute zurückgibt. Doch die DGPT ist selbst in einem erschöpften Zustand. Der Container soll gehalten werden von einem Verband, dessen eigene Träger*innen müde sind und dessen Mitgliedschaft demographisch nach oben verschoben ist.

In der Kombination von Arbeitskonferenz und berufspolitischem Seminar wird eine doppelte Bewegung sichtbar. Einerseits versucht die DGPT, sich ihrer eigenen Erschöpfung und ihrer strukturellen Spannungen bewusst zu werden und Formate zu etablieren, in denen diese bewusste Bearbeitung möglich ist: Zukunftswerkstatt, Tavistock-Konferenz, Institutssymposien. Andererseits wird deutlich, dass die grundlegenden Spannungen – etwa die ungleiche Alters- und Statusverteilung, die Stimmrechtsfrage, die Überforderung Ehrenamtlicher – nicht allein durch solche Formate bearbeitet werden können, sondern strukturelle Veränderungen benötigen. Von der Warte der „good enough“-Institution her betrachtet, könnte man sagen: Die DGPT bewegt sich im Moment zwischen einer zu rigiden und einer zu flüchtigen Form. In ihrer rigiden Form – kodifiziert in Satzung, Beitragsordnung und GO MV – schützt sie bestehende Machtstrukturen und Identitätsbilder: die ordentliche Mitgliedschaft als einzige volle Mitgliedschaft, die streng geregelte MV, die klare Trennung zwischen Kandidat*innenstatus und „vollwertiger“ Mitgliedschaft. Diese Struktur gibt Halt, fungiert als Über-Ich der Organisation und verhindert vorschnelle Auflösung. In ihrer flüchtigen Form – repräsentiert durch temporäre Formate wie Arbeitskonferenz und Zukunftswerkstatt – erlaubt sie Beweglichkeit, Selbstkritik und experimentelle Räume, ohne aber die tief verankerten Muster der formalen Organisation zu berühren.

Was aus Sicht dieses Essays fehlt, ist die Zwischenform: die konsequente Übersetzung der in den temporären Laboren gewonnenen Einsichten in längerfristige strukturelle Anpassungen. Dazu würde gehören, dass Vorschläge zur Erweiterung von Stimmrechten für außerordentliche Mitglieder nicht nur als „desintegrative Konfliktlinien“ beschrieben, sondern in konkrete Satzungsänderungsprozesse überführt werden; dass die zentrale Rolle des Mittelbaus nicht nur in Intergruppen thematisiert, sondern in die Mitgliedschafts- und Beitragslogik integriert wird (z. B. durch eine eigene, längerfristige Mitgliedschaftskategorie für Mittelbau mit klar definierten Rechten und Pflichten); dass Ehrenamtsfunktionen in Vorstand, Gremien und Curricula mit klaren Zeitbegrenzungen und Entlastungsmechanismen versehen werden, um Selbstausbeutung zu vermeiden. Man kann die DGPT in ihrem jetzigen Zustand vielleicht am ehesten als „good enough Labor“ beschreiben – als Verband, der in der Lage ist, sich selbst in Laborbedingungen zu untersuchen, aber noch auf dem Weg ist, aus diesen Laborprozessen nachhaltige Organisationsentwicklung zu generieren. Ich halte es für wichtig, dies nicht abwertend zu verstehen. In vielen anderen Berufsverbänden gibt es diese Art von Selbstreflexion kaum; Konflikte werden nur verfahrensmäßig behandelt, nicht als Ausdruck tiefer liegender Spannungen. Die DGPT stellt sich mit Zukunftswerkstatt und Arbeitskonferenz einer Selbstanalyse, die durchaus schmerzhaft ist. Sie benennt, dass ihre Mitgliedschaft überaltert ist, dass die Institute überfordert sind, dass der Mittelbau fehlt, dass AWT sich nicht wirklich gemeint fühlen (Martin & Schäfer, 2024; DGPT, 2025a, 2025b). Gleichzeitig ist der Verband – so jedenfalls meine Lesart – in einer Art Zwischenzustand gefangen: Er sieht die Notwendigkeit von Veränderung, erlebt gleichzeitig starke Ängste vor Kontroll- und Bedeutungsverlust. Die Michels–Teising–Eichfelder-Debatte ist ein Beispiel dafür: Sie zeigt, dass das Spannungsverhältnis zwischen idealisierten Selbstbildern und Versorgungsrealität nicht nur individuell, sondern institutionell thematisiert werden kann; sie macht aber auch deutlich, wie schnell Kritik als Angriff auf das „Gold“ gelesen wird und wie sehr Ehrenamt und Ideal identitär verschränkt sind (Michels, 2024; Teising, 2025; Eichfelder, 2025).

Auch der Umgang mit der Stimmrechtsfrage lässt diese Ambivalenz erkennen. Die Tatsache, dass die Auseinandersetzung um erweiterte Stimmrechte für ao-Mitglieder in allen Gremien geführt wurde und bis in die MV gelangte, zeigt eine ernsthafte Bereitschaft, Partizipationsfragen anzupacken. Dass die notwendigen Mehrheiten nicht zustande kamen und die affektive Rohheit des Konflikts in offiziellen Berichten nur gefiltert erscheint, zeigt die Stärke der Abwehr. In fast allen psychoanalytischen Institutionen, die ich kenne, ist dies ein vertrautes Muster: Dort, wo es um reale Delegation von Macht geht – Lehranalytiker*innen-Ermächtigungen, Supervisor*innenstatus, Vorstandsämter, Stimmrechte –, wird der Diskurs ungleich zäher, als wenn es „nur“ um Programmformulierungen oder Arbeitsgruppen geht. Im übertragenen Sinn steht die DGPT hier vor der Aufgabe, die eigene „Lehranalyse“ nicht bei der Einsicht stehen zu lassen, dass es frühe Traumata, rigide Über-Ich-Elemente und blinde Flecken gibt, sondern im Sinne einer Durcharbeitung (Freud, 1914) strukturelle Veränderungen in Kauf zu nehmen. Die neue Satzung, die Geschäftsordnung der MV, die Beitragsregelung ab 2026 und die Rolle der Bundeskandidatenvertretung sind nicht nur technische Dokumente, sondern Ausdruck dessen, was von der Organisation als zumutbar und als notwendig empfunden wird. Ob die in den Laborformaten gewonnenen Einsichten – z. B. zur Überlastung der Älteren, zur Randstellung der Jüngeren, zu den Risiken einer zu engen Goldmetapher – in zukünftigen Revisionen dieser Dokumente Niederschlag finden, wird mit entscheiden, ob die DGPT langfristig ein Ort bleibt, an den auch jüngere Psychoanalytiker*innen ihr Begehren binden wollen. Für das Anliegen dieses Essays, die „erschöpfte Institution“ nicht nur zu diagnostizieren, sondern Bedingungen einer „hinreichend guten“ Institution zu skizzieren, ist die DGPT damit weniger ein fertiges Vorbild als eine Fallvignette. Sie zeigt, dass psychoanalytische Organisationen Werkzeuge zur Selbstanalyse besitzen und nutzen können; sie macht gleichzeitig deutlich, wie schwer es ist, von Einsicht zu Veränderung zu kommen. Die DGPT steht, so wie ich sie lese, an einem Kipppunkt: Sie kann sich auf die Seite der Bewahrung schlagen und ihre Strukturen so sichern, dass sie vor allem für die ältere ordentliche Mitgliedschaft verlässlich bleiben; oder sie kann den Schritt wagen, den sie theoretisch bereits denkt: Mitgliedschaft, Stimmrechte, Ämter und Ehrenamt in einer Weise neu zu ordnen, die die Belastung verteilt und Jüngere nicht nur symbolisch, sondern strukturell beteiligt. Eine „good enough“-DGPT wäre aus meiner Sicht dann entstanden, wenn man in einigen Jahren nicht mehr von „legendärer Müdigkeit“ spräche, sondern davon, dass Verantwortung in vielen Schultern und Lebensphasen in jeweils passenden Formen getragen wird – und wenn AWT und Mittelbau nicht mehr vor allem in Intergruppen über ihre ambivalente Zugehörigkeit sprechen, sondern in der MV mitentscheiden, was aus „ihrem“ Verband werden soll.

DGPT und die Frage nach der „hinreichend guten“ Institution

An diesem Punkt stellt sich fast zwangsläufig die Frage, wie die DGPT – in ihrer gegenwärtigen Gestalt – im Lichte der eingangs entwickelten Figur der „erschöpften Institution“ zu verorten ist. In den vorherigen Unterkapiteln habe ich versucht zu zeigen, dass die Makroebene des Verbandes die zuvor am Mikrokosmos der Institute analysierten Dynamiken nicht nur spiegelt, sondern in bestimmter Weise bündelt: Überalterung und „legendäre Müdigkeit“ der ordentlichen Mitgliedschaft, schwache Bindung des Mittelbaus und der Ausbildungsteilnehmer*innen, hochgradig belastete Funktionsfiguren, interne Lagerbildungen entlang schulischer und berufspolitischer Linien, ein symbolisch angekündigter, aber strukturell nur zögerlich eingelöster Wille zu Partizipation (Martin & Schäfer, 2024; DGPT LV Bayern, 2025; DGPT, 2025a, 2025b). Zugleich existiert eine bemerkenswerte Selbstreflexion: Zukunftswerkstatt, Arbeitskonferenz, berufspolitisches Seminar und innerverbandliche Debatten wie jene zwischen Michels, Teising und Eichfelder zeigen, dass sich der Verband nicht mit einem rein administrativen Selbstverständnis begnügt, sondern sich selbst als psychoanalytisches Objekt betrachtet (Michels, 2024; Teising, 2025; Eichfelder, 2025).

Im Ausgang des Essays ist es daher hilfreich, die DGPT nicht nur als „Fall“ zu betrachten, sondern als Prüfstein für die Frage, wie realistisch die skizzierte Idee einer „good enough“-Institution ist. Dabei scheint mir zunächst wichtig, die Mehrdeutigkeit des Begriffs zu betonen. Wenn ich von einer „hinreichend guten“ Institution spreche, meine ich nicht eine Organisation, die frei von Konflikten, Ermüdung oder Ungerechtigkeit wäre – eine solche Idee wäre selbst Ausdruck eines idealistischen Abwehrmanövers. Gemeint ist vielmehr: eine Struktur, die mit ihren Konflikten so umgeht, dass sie nicht permanent in destruktive Muster (Spaltungen, Ausschlüsse, Selbstüberlastungen, Zynismus) zurückfällt; die Anerkennung, Grenzen und Verantwortung so organisiert, dass generative Energie nicht routinemäßig in Selbstausbeutung umschlägt; und die ihre eigenen blinden Flecken zumindest teilweise erkennen und bearbeiten kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich die DGPT der letzten Jahre als Organisation begreifen, die – im Vergleich zu vielen anderen Berufsverbänden – bereits auf einer mittleren Stufe dieser „hinreichenden Güte“ operiert. Die Zukunftswerkstatt 2035 ist kein routinemäßiger Fachkongress, sondern eine bewusst als „Zukunftswerkstatt“ betitelte Selbstdiagnose, in der die historischen Spannungsfelder und die aktuelle Überalterung nicht beschönigt werden (Martin & Schäfer, 2024). Der Vortrag von Michels stellt eine schmerzhafte Innenkritik dar, die die Diskrepanz zwischen idealisierten Selbstbildern und Versorgungsrealität offenlegt (Michels, 2024). Die Replik von Teising und der Kommentar von Eichfelder machen deutlich, dass diese Kritik innerhalb der Institution verhandelt wird und nicht einfach abgewehrt wird (Teising, 2025; Eichfelder, 2025). Die Arbeitskonferenz wiederum geht weit über übliche Klausurtagungen hinaus, indem sie mit einem Tavistock-inspirierten Setting versucht, den Verband in seiner unbewussten Dynamik zu verstehen (DGPT, 2025a). Das berufspolitische Seminar „Institute im Übergang“ gibt den Instituten Raum, ihre Erschöpfung und ihre Erwartungen an den Verband auszusprechen (DGPT, 2025b).

Diese Aktivitäten entsprechen in vieler Hinsicht dem, was in der organisationspsychoanalytischen Literatur als „institutionelle Supervision“ empfohlen wird: Räume, in denen Organisationen ihre eigenen Spannungslinien, Projektionsbewegungen und Abwehrformen untersuchen, ohne sofort in operative Lösungen zu flüchten (Obholzer & Roberts, 1994; Hinshelwood & Skogstad, 2000; Gould et al., 2001). Aus meinem Blickwinkel ist dies bereits ein wichtiger Schritt in Richtung einer „good enough“-Verbandskultur: Die DGPT erkennt an, dass sie selbst Subjekt ihrer Geschichte ist, dass sie nicht nur „Rahmen“ für psychoanalytische Arbeit bietet, sondern selbst psychoanalytisch verstehbar ist. Der Verband legt sich, bildlich gesprochen, zeitweise auf die eigene Couch. Doch gerade aus der Perspektive der Analyse ist damit erst der erste Teil der Arbeit getan. In der individuellen Psychoanalyse entspricht die Einsicht, dass man unter bestimmten Symptomen oder Mustern leidet, der Anfang der Durcharbeitung, nicht deren Ende. Die Frage, ob der Verband im Sinne Freuds „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ leistet (Freud, 1914), lässt sich an der Art ablesen, wie er mit den in den Laborformaten gewonnenen Einsichten weiter verfährt. Die bisherigen Dokumente lassen eine gewisse Spannung erkennen: Sie zeigen, dass Zusammenhänge benannt werden, aber noch wenig, dass sie in verbindliche strukturelle Veränderungen übersetzt werden. Die Altersstruktur der ordentlichen Mitglieder und die schwache Bindung von AWT und Mittelbau sind zum Beispiel als Problem erkannt (DGPT LV Bayern, 2025; DGPT, 2025a). Intergruppen erarbeiten Vorschläge, wie Patenschaften, projektbezogene Aufgaben und Reflexionsforen den Mittelbau stärker einbinden könnten. Doch die Satzung bleibt – Stand Herbst 2024 – in der Logik einer vertikalen Mitgliederhierarchie verhaftet: außerordentliche Mitgliedschaft ist temporär und mit eingeschränktem Stimmrecht versehen, ordentliche Mitgliedschaft ist an Abschluss einer Weiterbildung und einen deutlich höheren Beitrag gebunden (DGPT, 2024b, 2024c). Die GO MV regelt die Beteiligungskultur der Mitgliederversammlung so, dass spontane Initiativen strukturell erschwert werden (DGPT, 2024d). In der Stimmrechtsfrage für außerordentliche Mitglieder kommt es zu intensiven Debatten und zwei Satzungsänderungsanträgen, die jedoch scheitern (Martin & Schäfer, 2024). Ähnlich ambivalent ist die Lage in Bezug auf das Verhältnis von „reinem Gold“ und Versorgungsrealität. Michels’ Kritik trifft einen Nerv: Die Institutionen bilden teilweise zu Idealen aus, die in der Versorgungswirklichkeit – und angesichts der vorhandenen Ressourcen – nur begrenzt realisierbar sind (Michels, 2024). Teising verteidigt Standards und Normen mit dem Argument, dass sie das fachliche Profil sichern und der Verwässerung entgegenwirken (Teising, 2025). Eichfelder weist darauf hin, dass die Überlastung der Funktionsträger*innen nicht nur eine individuelle, sondern eine strukturelle Folge dieses Spannungsverhältnisses ist (Eichfelder, 2025). Dennoch bleibt in den vorliegenden Texten unklar, ob und wie sich Ausbildungsordnungen, Lehranalytiker*innen-Ermächtigungen oder Curricula konkret verändern sollen. Der Diskurs bleibt an vielen Stellen auf der Ebene von Positionen (Bewahrung vs. Reform), während praktisch wirksame Experimente – etwa in der Form befristeter, geteilten Lehranalytiker*innenrollen, flexibel gestalteter hoch- und mittelfrequenter Ausbildungswege oder verbindlicher Honorierungsmodelle für Lehrfunktionen – eher Einzelfälle sind.

Die Gefahr, die ich hier sehe, ist, dass die DGPT in einem Zustand verweilt, den man mit Bion als „thinking about thinking“ beschreiben könnte: Sie denkt über ihr Denken nach, aber setzt dieses Denken nur begrenzt in neue Handlungen um (Bion, 1962). Die temporären Formate – Zukunftswerkstatt und Arbeitskonferenz – sind hoch reflektiert, aber ihre Ergebnisse sind in den vorliegenden Quellen überwiegend als „Anregungen“, „Vorschläge“, „Diskussionsbeiträge“ formuliert, nicht als verbindlich verabredete Reformschritte. Das ist, psychoanalytisch betrachtet, nachvollziehbar: Institutionen, die ihre eigenen blinden Flecken identifizieren, brauchen Zeit, um aus diesen Einsichten Konsequenzen zu ziehen. Gleichzeitig droht gerade in dieser Phase die Gefahr einer neuen Form institutioneller Abwehr: die der „Reflexionsinflation“, in der immer wieder reflektiert wird, ohne dass die Struktur sich ändert. Hier kehrt die Frage der Generativität zurück. Eine „good enough“-DGPT müsste nicht nur kritische Stimmen integrieren, sondern generative Prozesse auf allen Ebenen ermöglichen: auf der Ebene der Ausbildung (AWT), der mittleren Generation (Mittelbau), der etablierten ordentlichen Mitglieder und der auslaufenden Generation der „Gründer*innen“. Das würde bedeuten, Übergänge aktiv zu gestalten: Ehrenamtliche Funktionen befristet zu definieren, Nachfolgeprozesse frühzeitig und transparent anzulegen, neue Mitglieder nicht nur zu umwerben, sondern ihnen auch reale Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, AWT und Mittelbau nicht nur zu repräsentieren, sondern an den Orten der Macht – MV, Satzungskommissionen, Beitragskommissionen – strukturell zu beteiligen.

Die bisherigen Dokumente zeigen, dass es in der DGPT erste Schritte in diese Richtung gibt. Der Arbeitskreis „Zukunft DGPT“ ist als kontinuierliches Gremium eingerichtet worden, das die Ergebnisse der Arbeitskonferenz weiterführen und in konkrete Projekte übersetzen soll (DGPT, 2024a). Es gibt Überlegungen, die Moderation von MVs professioneller zu gestalten, um Lagerbildungen zu entschärfen und mehr Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Die Bundeskandidatenvertretung ist gestärkt worden, etwa durch mehr Sichtbarkeit auf Jahrestagungen. In einzelnen Landesverbänden werden neue Formen des Austauschs erprobt, etwa offene Foren zu berufspolitischen Themen oder gemeinsame Veranstaltungen von AWT, Mittelbau und „Altvorderen“. Gleichzeitig bleiben strukturelle blinde Flecken. Die Altersverteilung der ordentlichen Mitglieder hat sich bislang nicht nennenswert verschoben; die Anzahl an AWT, die in die ordentliche Mitgliedschaft wechseln, ist weiterhin niedrig. Die Beitragslogik stellt eine reale ökonomische Hürde für viele Jüngere dar. Die Satzung kodiert eine klare Machtasymmetrie, die im Alltag von vielen als ungerecht empfunden wird. Und die Konflikte um Standards und Ausbildungsmodelle sind – wie die Michels/Teising-Debatte zeigt – weiterhin stark polarisiert. In Kaës’ Begriff ließe sich sagen, dass der gruppenpsychische Apparat der DGPT in einem Übergangszustand ist: Zwischen der alten Konfiguration, in der bestimmte Allianzen (zwischen bestimmten Generationen, Berufsgruppen, Schulen) relativ stabil waren, und einer neuen Konfiguration, die noch nicht gefunden ist (Kaës, 2009).

An dieser Stelle ist es mir wichtig, einen methodischen Punkt zu betonen. Der vorliegende Essay, und insbesondere dieses Kapitel, beanspruchen nicht, eine „objektive“ Analyse der DGPT zu liefern. Ich spreche als Mitglied, das bestimmte Dokumente liest, bestimmte Versammlungen erlebt hat, selbst in Instituts- und Verbandskontexten engagiert ist. Meine Beschreibung ist selektiv; andere Mitglieder werden andere Erfahrungen gemacht haben, andere Akzente setzen, andere blinde Flecken benennen. Was ich hier anzubieten versuche, ist eine psychoanalytisch informierte Lesart: die DGPT als ein Subjekt, dessen Symptome – Erschöpfung, Spaltungen, Generationskonflikte – nicht nur als Ärgernisse, sondern als sinnvolle Reaktionen auf historische, strukturelle und psychische Spannungen verstanden werden können. Die Frage, ob und wie die DGPT in Richtung einer „good enough“-Institution vorankommt, kann nicht abschließend im Modus eines Essays beantwortet werden. Sie wird sich in den nächsten Jahren daran entscheiden, ob bestimmte Muster sich verfestigen oder verschieben: Ob es gelingt, jüngere Kolleg*innen nicht nur in Arbeitskreise und symbolische Vertretungen, sondern in die MV und in strukturelle Entscheidungsprozesse einzubinden; ob Vorstände und andere Ämter in ihrer Belastung reduziert und zeitlich begrenzt werden; ob Ausbildungsstandards und Versorgungsrealität in ein tragfähigeres Verhältnis gebracht werden; ob die DGPT Wege findet, die „legendäre Müdigkeit“ nicht nur zu beklagen, sondern zu reduzieren. Was der Verband im Unterschied zu vielen anderen Organisationen zur Verfügung hat, ist ein Methodenkoffer: die Psychoanalyse selbst, in ihren verschiedenen Varianten (Triebtheorie, Objektbeziehung, Intersubjektivität, Feldtheorie, Systems Psychodynamics). Wenn es der DGPT gelingt, diese Methoden nicht nur auf Patientinnen und Kandidat*innen, sondern auf sich selbst anzuwenden – und nicht nur in temporären Laboren, sondern in ihren Strukturentscheidungen –, könnte sie tatsächlich zu einem Modellfall für eine „hinreichend gute“ psychoanalytische Institution werden. Wenn nicht, riskiert sie, genau das zu werden, was sie in ihren kritischsten Momenten bereits ahnt: eine Organisation, die viel darüber denkt, wie sie denken möchte, aber zu müde ist, ihre Formen zu ändern.

Schluss: Die erschöpfte Institution und die Frage nach der Zukunft

Rückblick: Was das Unbehagen erzählt

Wenn ich auf die bisherigen Kapitel zurückschaue, erkenne ich eine doppelte Bewegung. Die eine war eine analytische: Ich habe das Feld psychoanalytischer Ausbildung in seiner Breite skizziert – Institute, Ambulanzen, Lehrpraxen, private Praxen, Fachgesellschaften und Verbände – und die Problemlagen der letzten Jahrzehnte rekonstruiert: Nachwuchsschwund, prekäre Übergänge, ökonomische Überlastung, Drop-out, Identitätskonflikte, schwer zu besetzende Ämter und alternde Mitgliedschaften (Kirsner, 2000, 2009; Kernberg, 1986, 2012; Wiegand-Grefe, 2004; Goretti, 2006; Martindale, 2022). Parallel dazu wurden mit Hilfe psychoanalytischer Institutionentheorien und Gruppenkonzepte – Kaës’ gruppenpsychischer Apparat und Déliaison, Menzies Lyths soziale Abwehrsysteme, Bions Unterscheidung von Arbeits- und Grundannahmegruppen, Benjamins Thirdness, Eriksons Generativität – Hypothesen dazu formuliert, was diese Phänomene über die psychische Logik der Institutionen aussagen.

Die andere Bewegung war eine reflektive: Gestützt auf diese Literatur, auf eigenes Erleben in Instituten und Verbänden und auf die strukturierende Hilfe einer KI habe ich Szenen, Begriffe und Thesen entwickelt, von denen ich nicht behaupte, dass sie „die Wahrheit“ über die psychoanalytische Ausbildungskultur darstellen, sondern die als Gesprächsangebote gedacht sind. Die Erzählung, die sich durchzieht, ist die einer erschöpften Institution. Sie beginnt bei Mikroszenen wie der überlangen Vorstandssitzung, der versandenden Arbeitsgruppe, der Mitgliederversammlung mit weitgehend stummen Ausbildungsteilnehmer*innen; sie setzt sich fort in der Beschreibung ökonomisch überdehnter Ausbildungswege, der „legendären Müdigkeit“ derjenigen, die seit Jahrzehnten Ämter tragen, der Déliaison des Mittelbaus und der ambivalenten Stellung von Kandidat*innen und ao-Mitgliedern; und sie findet ihr theoretisches Korrelat in Konzepten wie Déliaison, social defences, Grundannahmegruppe, institutionelles Gedächtnis und Generativität.

Mit der Einbeziehung der DGPT im neunten Kapitel ist diese Erzählung aus dem Raum einzelner Institute heraus in den Verband hineingewandert. Die Zukunftswerkstatt 2035, die Arbeitskonferenz „Aufbrüche in Krisenzeiten“ und das berufspolitische Seminar „Institute im Übergang“ zeigen, dass das Unbehagen nicht nur im „Haus Psychoanalyse“ vor Ort, sondern auch im „Haus DGPT“ präsent ist (DGPT, 2024a, 2025a, 2025b). Die Alterszahlen des LV Bayern (Altersdurchschnitt 68, über 75 % der ordentlichen Mitglieder über 60) und die geringe Bindung der Ausbildungsteilnehmer*innen an den Verband, die Satzungslogik von ordentlicher und außerordentlicher Mitgliedschaft, der Stimmrechtskonflikt und die Debatte um das „reine Gold“ haben deutlich gemacht, dass die Erschöpfung der Institution keine rein lokale Angelegenheit ist (DGPT LV Bayern, 2025; Martin & Schäfer, 2024; Michels, 2024; Teising, 2025).

Dieses Unbehagen, so lautet eine zentrale Einsicht, ist nicht nur destruktiv. Es markiert auch eine Wahrheit über den Zustand des Feldes. Psychoanalytisch betrachtet ist die „erschöpfte Institution“ ein Symptom: ein Ausdruck der Spannung zwischen äußeren Zumutungen (Gesetzgebung, Ökonomisierung, gesundheitspolitische Veränderungen, gesellschaftlicher Wandel) und inneren Hemmnissen (hierarchische Strukturen, konfliktvermeidende Kulturen, unbewusste Allianzen), die beide nicht ausreichend symbolisiert und bearbeitet sind. Die Müdigkeit der Funktionsträger*innen, der Rückzug des Mittelbaus, die abgebrochene Beteiligung von Ausbildungsteilnehmer*innen und die Intensität der Konflikte um Standards und Stimmrechte sind Hinweise darauf, dass Institutionen an einen Punkt gelangt sind, an dem ihre bisherigen Formen der Organisation von Ausbildung, Autorität und Zugehörigkeit nicht mehr tragen.

In diesem Schlusskapitel möchte ich die Fäden so bündeln, dass drei Dinge deutlich werden: erstens, welche Kernthesen sich aus der Analyse der Institute und des Verbandes ableiten lassen; zweitens, welche praktischen Linien – auf Instituts-, Verbands- und individueller Ebene – sich abzeichnen, wie psychoanalytische Institutionen ihre Räume anders gestalten könnten; und drittens, was es für die Profession bedeutet, wenn sie ihr eigenes institutionelles Unbewusstes ernst nimmt – auch und gerade dann, wenn dieser Blick durch digitale Werkzeuge wie eine KI mit-strukturiert wird.

Thesen zur erschöpften und zur „good enough“ Institution

Im Verlauf des Essays haben sich – teils explizit, teils implizit – eine Reihe von Thesen herauskristallisiert. Ich fasse sie hier zusammen, nicht als Checkliste oder Maßnahmenkatalog, sondern als Verdichtung jener Einsichten, die aus der Zusammenschau von Literatur, Szenenmaterial und DGPT-Dokumenten hervortraten.

(1) Erschöpfung ist ein Feldphänomen, kein individueller Defekt.

Die Erschöpfung, die in Ausbildungskontexten und in der DGPT zu beobachten ist, lässt sich nicht auf „Burnout“ einzelner Kandidat*innen oder Vorstandsmitglieder reduzieren. Auf der Ebene des gruppenpsychischen Apparats zeigt sich – in Kaës’ Terminologie – eine Kombination aus depressiver Stimmung, Déliaison und rigiden Allianzen: Bindungen an die Institution lösen sich, Konflikte werden externalisiert, Arbeit wird über Rituale, Geschäftsordnungen und Sitzungsinflation ersetzt (Kaës, 2009; Menzies Lyth, 1988). Die erschöpfte Institution ist somit ein geteilter Affektzustand des Feldes – eine kollektive Antwort auf Überforderung und ungelöste Spannungen.

(2) Partizipation ist ein sensibler Indikator für den Zustand der Institution.

Ob und wie Menschen sich beteiligen, ist eines der feinsten „Messinstrumente“ für die Gesundheit institutioneller Räume. Wo Partizipation dauerhaft ausbleibt – etwa weil Kandidat*innen nicht in Versammlungen gehen, MittelbauKolleg*innen nicht in Gremien erscheinen oder AWT kaum in ordentliche Mitgliedschaft wechseln –, ist dies weniger Ausdruck mangelnder Bereitschaft, sondern Ausdruck eines kollektiven Wissens: dass Engagement in der aktuellen Konstellation zu teuer ist – ökonomisch, zeitlich, psychisch (Arbeit & Wiegand-Grefe, 2012; Arnstein, 1969; Hassinger, 2022). Die Dreifachperspektive aus Kapitel 6 – formale, symbolische und subjektive Partizipation – bleibt dabei entscheidend: Eine Institution wird nur dann als partizipativ erlebt, wenn Stimmrechte, Adressierungsformen und subjektive Erfahrungen halbwegs kongruent sind.

(3) Generativität ist eine Ressource – und ein Risiko.

Viele derjenigen, die Ämter übernehmen, lehren, supervidieren oder Vorstände tragen, tun dies aus einem starken generativen Impuls: Sie wollen etwas weitergeben, mitgestalten, „das Feld am Leben halten“. In Eriksons Schema ist dies der generative Kern der mittleren Erwachsenenphase (Erikson, 1980). Gleichzeitig zeigen empirische Untersuchungen zu Ehrenamt und Freiwilligenarbeit, dass gerade hoch generative Personen anfällig für „passion exploitation“ sind, wenn Organisationen ihre Bereitschaft als selbstverständlich behandeln und strukturell nicht begrenzen (Doerwald et al., 2021; Kokubun, 2024). Psychoanalytische Institute und Verbände, die auf derart motivierte Personen angewiesen sind, geraten in eine gefährliche Zone, wenn sie ihre Strukturen nicht so gestalten, dass Generativität nicht routinemäßig in Selbstausbeutung umschlägt.

(4) Ohne strukturelle Ehrlichkeit bleibt jede Kulturarbeit hohl.

Reflexion über unbewusste Allianzen und Abwehr ist nötig, aber nicht hinreichend. Die Frage, wie viele Stunden und welche Einkommenseinbußen ein Amt bedeutet, wie viele Abende mit Gremienarbeit verbunden sind und wie lange Mandate dauern, ist keine „unpsychische“ Frage, sondern berührt direkt die libidinöse Ökonomie der Institution. Die einfache Rechnung, wie viele nicht abgerechnete Sitzungen eine Vorstands- oder Lehrfunktion pro Jahr „kostet“, macht verständlich, warum ein „Nein“ nicht primär Ausdruck mangelnder Kollegialität ist, sondern eine Reaktion auf reale Belastungen (vgl. Kap. 3.3). Eine „good enough“-Institution wird diese strukturelle Ehrlichkeit nicht scheuen und kann gerade dadurch Vertrauen herstellen.

(5) Geschichte, die nicht symbolisiert ist, organisiert weiterhin Räume.

Die Analysen zur NS-Verstrickung psychoanalytischer Institutionen, zu Nachkriegsgründungen, zu den Kämpfen der 1960er- und 1970er-Jahre und zu späteren Schulkämpfen haben gezeigt, wie stark unbewältigte Geschichte im institutionellen Gedächtnis fortwirkt (Bohleber, 2007, 2008, 2010; Gödde & Tölle, 2017). Institute und Verbände, die ihre Vergangenheit nicht anschauen, laufen Gefahr, deren Konfliktmuster – Schweigen, Loyalitätszumutungen, „Nestbeschmutzungs“-Vorwürfe – in aktuellen Szenen zu wiederholen. Eine partizipative Kultur setzt eine Form von institutioneller Trauerarbeit voraus: die Bereitschaft, über Schuld, Verlust, Ausschlüsse und Irrtümer zu sprechen, ohne sich in Retraumatisierung oder moralische Selbstverdammung zu verfangen.

(6) Partizipation braucht Thirdness – nicht nur flache Hierarchien.

Die Forderung nach „mehr Demokratie“ greift zu kurz, wenn sie sich auf Stimmrechte und Mandatsverteilungen beschränkt. In Benjamins Begriff der Thirdness ist damit ein gemeinsamer symbolischer Raum gemeint, in dem unterschiedliche Subjekte gemeinsam auf etwas Drittes – etwa die Institution und ihre Aufgaben – schauen, statt sich in Doer/Done-to-Komplementaritäten zu verfangen (Benjamin, 2004). Formate wie Zukunftswerkstätten, institutsbezogene Supervisionen, offene Foren und intergenerationelle Gesprächsrunden können solche Räume erzeugen, wenn sie nicht als Alibi, sondern als echte Arbeitsräume verstanden werden. Die DGPT-Arbeitskonferenz ist ein Beispiel für einen solchen Versuch; viele Institute haben ähnliche Formate erprobt. Entscheidend ist, ob sie die Tendenz haben, wieder in alte Muster zurückzusinken, oder ob sie stabilisiert und mit Entscheidungskompetenzen verknüpft werden.

(7) Das institutionelle Unbewusste ist eine zentrale Aufgabe der Psychoanalyse – nicht ihr blinder Fleck.

Eine Profession, die das Unbewusste als zentralen Bestandteil menschlichen Erlebens betont, kann sich kaum erlauben, die unbewussten Prozesse in ihren eigenen Institutionen zu ignorieren. Kaës, Menzies Lyth, Hinshelwood, Kirsner, Suljagić und andere haben seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass psychoanalytische Organisationen selbst analytischer Arbeit bedürfen (Kaës, 2009; Menzies Lyth, 1988; Hinshelwood & Skogstad, 2000; Kirsner, 2000; Suljagić, 2024). In diesem Essay habe ich versucht, diese Perspektive auf Ausbildungsinstitute und auf die DGPT anzuwenden. Dass ich dafür teilweise auf eine KI zurückgegriffen habe, ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck einer Situation, in der das Feld komplexer geworden ist und neue Formen der Strukturierung und des Reflexionsanstoßes braucht – vorausgesetzt, die maschinelle Logik wird nicht mit einer menschlichen verwechselt.

Psychoanalyse im Spiegel ihrer eigenen Institutionen

Eine der unbequemen Einsichten, die sich aus dieser Arbeit ergeben, ist, dass psychoanalytische Institutionen in mancher Hinsicht ihren eigenen Theorien hinterherhinken. In der Klinik ist es längst selbstverständlich, dass Übertragung, Gegenübertragung, Abwehr und Wiederholungszwang nicht primär als „Störungen“, sondern als zentrale Materialien des Prozesses gelten. In Instituts- und Verbandsräumen wurden dieselben Phänomene lange Zeit eher als „unerfreuliche Nebengeräusche“ behandelt, die es mit Geschäftsordnungen, Satzungen oder disziplinarischen Maßnahmen zu kontrollieren gilt.

Die organisationspsychoanalytischen Fallstudien – von Menzies Lyths Krankenhausanalyse über Hinshelwoods Beobachtungen in Gesundheitsorganisationen bis hin zu neueren Arbeiten zu psychoanalytischen Institutionen (Menzies, 1960; Menzies Lyth, 1988; Hinshelwood & Skogstad, 2000; Suljagić, 2024) – legen nahe, dass genau in diesen „Nebengeräuschen“ wichtige Wahrheiten über die Institution liegen. Die Übertragung auf „die Älteren“, die Kränkung, „nicht gesehen“ zu werden, die Angst, „wenig zu gelten“, wenn man nicht in bestimmten Gremien sitzt, die Aggression gegen „Reformwiderständige“ – all dies sind nicht bloß Charakterprobleme, sondern Ausdruck institutioneller Rollen- und Machtkonstellationen.

Indem ich im neunten Kapitel die DGPT als Labor betrachtet habe, wollte ich genau diesen Spiegel einziehen. Die Zukunftswerkstatt 2035, die Arbeitskonferenz und die innerverbandlichen Debatten um Standards, Stimmrechte und Ehrenamt zeigen, wie strittig es ist, das institutionelle Unbewusste zu thematisieren – und wie fruchtbar es sein kann, wenn es gelingt. Ich habe diese Prozesse nicht idealisiert: Die DGPT ist aus meiner Sicht weit davon entfernt, eine „mustergültige“ good-enough-Institution zu sein. Aber sie ist ein Beispiel dafür, dass sich ein Verband seiner eigenen Erschöpfung, seiner blinden Flecken und seiner Machtfragen stellen kann und dass die psychoanalytischen Instrumente – Thirdness, Feldtheorie, Systems Psychodynamics – dabei von Nutzen sind, wenn sie nicht selbst dogmatisch verengt werden.

Die Rolle der KI in dieser Reflexion war ambivalent. Einerseits bestand die Gefahr, dass eine Maschine, die auf Mustererkennung und Wahrscheinlichkeiten trainiert ist, die spezifische Textur psychoanalytischer Institutionen glättet: Konflikte werden in „neutralen“ Formulierungen zusammengefasst, Ambivalenzen in sauber strukturierten Bulletpoints aufgelöst. Andererseits hat die KI mir geholfen, die Fülle an Literatur und Dokumenten zu strukturieren, Querverweise zu identifizieren, Argumentationslinien sichtbar zu machen, die ich allein vielleicht übersehen hätte. Wichtig war, die Maschine nicht als Orakel zu behandeln, sondern als Instrument zur Anregung und Spiegelung eigenen Denkens – als technische Unterstützung einer bereits vorhandenen Alpha-Funktion, nicht als Ersatz (Bion, 1962).

Praktische Linien: Handlungsspielräume auf Instituts- und Verbandsebene

Die Frage, die nach solchen Analysen oft aufkommt, lautet: „Was folgt daraus konkret?“ Ein Teil der Antwort ist ernüchternd: Es gibt keinen einfachen Maßnahmenkatalog, der eine erschöpfte Institution in eine „good enough“-Institution verwandeln würde. Gleichzeitig sind aus den verschiedenen Kapiteln einige Linien hervorgetreten, die sich – in unterschiedlicher Ausprägung – in vielen Kontexten verfolgen lassen.

Auf Instituts- und Verbandsebene ist die Entdramatisierung und Begrenzung von Mandaten eine solche Linie. Vorstands-, Gremien- und Lehrfunktionen könnten systematisch zeitlich befristet, mit klaren Aufgabenprofilen versehen und hinsichtlich ihrer Belastung transparent gemacht werden. Die DGPT-Debatten um „legendäre Müdigkeit“ und „Selbstausbeutungs-Ehrenamt“ (DGPT LV Bayern, 2025; Eichfelder, 2025) zeigen, dass die Grenzen der bisherigen Praxis erreicht sind. Ähnliches gilt in den Instituten: Es ist ein Unterschied, ob Ambulanzen, Fortbildungskommissionen und Ethikgremien von lebenslangen „Institutionen in der Institution“ getragen werden oder von Personen, die diese Funktionen für einen definierten Zeitraum ausüben und danach Platz machen.

Eine zweite Linie betrifft Übergangsräume. Institute und Verbände könnten bewusst Formate schaffen, in denen Kandidat*innen und Mittelbau in überschaubaren Rollen Erfahrungen von Mitgestaltung machen: Co-Lehre, projektbezogene Arbeitsgruppen, Nachwuchsforen mit Rückbindung an Entscheidungsgremien. Die Intergruppen „Mittelbau stärken“ der DGPT und viele AWT-Kreise haben entsprechende Vorschläge gemacht (DGPT, 2025a, 2024a). Entscheidend ist, dass diese Formate nicht als bloße „Vorhöfe“ ohne reale Wirkung wahrgenommen werden, sondern dass ihre Ergebnisse in Curricula, Satzungen, Beitragsentscheidungen und Öffentlichkeitsarbeit einfließen.

Eine dritte Linie liegt in der institutionellen Supervision. Regelmäßig wiederkehrende Formate, in denen Organisationen ihre eigenen Muster betrachten – sei es in Form von jährlichen Reflexionstagen, externer Supervision für Vorstände, offenen Foren für Mitglieder – können helfen, die Tendenz zur individualisierenden Schuldzuschreibung („XY ist schwierig“, „die Jungen sind nicht loyal“) zu durchbrechen. Die DGPT-Arbeitskonferenz liefert ein Modell im großen Maßstab; kleinere Institute könnten mit niederschwelligen Varianten beginnen – etwa einer halbtägigen Klausur mit externer Moderation, in der explizit nach Dynamiken gefragt wird, die das eigene Arbeiten erschweren.

Schließlich gehört zur praktischen Arbeit an der Institution eine Kultur der strukturellen Ehrlichkeit: die Bereitschaft, über Geld, Zeit, Macht und Grenzen zu sprechen. Die Diskussionen der DGPT über Beitragsregelungen, Stimmrechte, Mitgliedschaftskategorien und Ehrenamt haben gezeigt, wie tabuisiert diese Themen oft sind – und wie notwendig ihre Bearbeitung ist. Dass ähnliche Fragen in Instituten – etwa zur Honorierung von Lehrfunktionen, zur Bezahlung von Vorstandstätigkeit oder zur transparenten Besetzung von Lehranalytiker*innen-Positionen – häufig nur am Rand diskutiert werden, ist aus der hier entwickelten Perspektive selbst ein Symptom.

Forschungsperspektiven und offene Fragen

Trotz der Fülle an Literatur und Dokumenten bleiben viele Fragen offen. Einige Forschungslinien, die sich aus diesem Essay aufdrängen, wären:

– Systematische qualitative Studien zu Engagementverläufen: Welche Erfahrungen machen Kolleg*innen, die sich nach der Ausbildung aktiv in ihre Institute einbringen – und welche diejenigen, die sich bewusst zurückziehen? Welche Rolle spielen Faktoren wie Geschlecht, Klassenzugehörigkeit, Migrationserfahrung oder Theorierichtung?

– Untersuchungen zu Übergängen: Wie erleben Ausbildungsteilnehmer*innen den Wechsel von der Kandidat*innenrolle zur Mitgliedschaft, von der Rolle der Lernenden zur Rolle der Lehrenden, von der Position der „Behandelnden“ zur Position der „Funktionsträger*in“? Welche narrativen Muster und welche Widerstände treten hier auf?

– Vergleichende Analysen verschiedener Reformversuche: Was geschieht in Instituten, die experimentelle Leitungsmodelle eingeführt haben (Co-Vorstände, rotierende Mandate, flachere Hierarchien)? Wie entwickeln sich Partizipation und Erschöpfung in Kontexten, in denen AWT und Mittelbau echte Stimmrechte erhalten?

– Studien zu Digitalisierung und KI in psychoanalytischen Kontexten: Welche Effekte haben digitale Tools – sei es in Form von Online-Sitzungen, digitaler Gremienarbeit oder KI-gestützter Textarbeit – auf das Erleben von Nähe, Autorität und Reflexion in Institutionen? Öffnen sie neue Räume oder verstärken sie Tendenzen zur Entkörperlichung und Distanz?

Diese Forschung wäre keine „Meta-Spielerei“, sondern könnte direkt in die Praxis zurückwirken. Sie würde dazu beitragen, die noch junge psychoanalytische Institutionentheorie im Licht veränderter Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln und das Verhältnis zwischen individueller Arbeit und institutioneller Einbettung differenzierter zu fassen.

Persönliche Nachbemerkung

Zum Schluss möchte ich eine persönlichere Stimme zulassen. Die Arbeit an diesem Essay hat mich – mehr, als mir lieb war – mit meinem eigenen Verhältnis zu den Institutionen konfrontiert, in denen ich lebe und arbeite: mit der Mischung aus Dankbarkeit und Ärger, aus Identifikation und Fremdheitsgefühl, aus Loyalität und Absetzungswünschen. Das Schreiben war insofern selbst eine Art „kleine Institutionenanalyse“, in der ich sowohl auf vertraute theoretische Figuren zurückgreifen als auch neue Worte für latent bekannte Erfahrungen finden musste.

Die Zusammenarbeit mit der KI war dabei nicht nebensächlich, sondern strukturierend. Sie hat es mir ermöglicht, große Mengen an Literatur und Dokumenten – von Kaës’ französischen Texten über DGPT-Berichte bis hin zu Beiträgen aus der internationalen Debatte – schneller zu sichten, zu verknüpfen und in eine vorläufige Ordnung zu bringen. Gleichzeitig hat sie mich immer wieder gezwungen, Entscheidungen bewusst zu treffen: Welche Passagen übernehme ich, welche verwerfe ich? Wo erscheint mir eine KI-Formulierung zu glatt, zu wenig konfliktgesättigt? Wo muss ich eigene Erfahrung und Affekt einsetzen, um nicht in eine neutrale, aber seelenlose Sprache abzurutschen?

Insofern war die KI für dieses Projekt ein Werkzeug, das meine Arbeit erleichtert und vertieft hat – aber kein Ersatz für die psychoanalytische Haltung, die nötig ist, um von Institutionen zu sprechen. Diese Haltung besteht – so würde ich es nach dieser Arbeit formulieren – aus drei Elementen: der Bereitschaft, das Unbehagen ernst zu nehmen, ohne es vorschnell wegzuerklären; der Fähigkeit, Strukturen und Affekte zugleich im Blick zu halten; und der Demut, zu akzeptieren, dass der eigene Text immer nur eine von vielen möglichen Beschreibungen eines geteilten Raums ist.

Wenn ich heute auf die eingangs geschilderten Szenen zurückblicke – die müde Vorstandssitzung, das Seminar in der Pausen-Küche, die Mitgliederversammlung mit den fehlenden „Zukünftigen“ – erscheinen sie mir weniger als Anklagen gegen bestimmte Personen denn als verdichtete Bilder eines Feldes, das an einer Schwelle steht. Ob psychoanalytische Institute und Verbände diese Schwelle als Gelegenheit nutzen, ihre Räume anders zu gestalten, wird sich nicht in Texten entscheiden, sondern in konkreten Entscheidungen, Aushandlungen und Experimenten vor Ort. Dass wir diese Prozesse besser verstehen, ist vielleicht der bescheidene Beitrag, den ein Essay wie dieser leisten kann.

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Fiktive Debatte

/topic/ Die erschöpfte Institution – Fiktives Plenum zur Ausbildungskultur
/scene/ Später Abend im größten Seminarraum des Instituts. Die Stühle stehen im Kreis, Wasser und Kaffee stehen bereit. Zwölf Personen aus unterschiedlichen Generationen und Funktionen sind zu einem offenen Gespräch über die Lage des Instituts zusammengekommen.
/note/ Die Moderatorin eröffnet das Plenum. Es gibt keine Tagesordnung, nur die Bitte, aus der eigenen Rolle heraus zu sprechen – darüber, was man trägt, was man erwartet und wo man an Grenzen stößt.
Eva Baum (Moderatorin): Danke, dass Sie heute Abend hier sind – nach Praxistagen, Klinikschichten, Supervisionen, Seminaren und vielleicht auch nach einer Vorstandssitzung. Wir kennen uns aus vielen Konstellationen: aus Analysen, aus Kasuistiken, aus Arbeitsgruppen. Was wir seltener tun, ist, in dieser Zusammensetzung über das Institut selbst zu sprechen: darüber, wie es sich jeweils anfühlt, Teil dieses Hauses zu sein.
/same/ Ich möchte, dass wir heute genau das versuchen. Nicht im Modus des „Wer hat Recht?“, sondern im Modus des „Wie erlebe ich das?“. Dafür hilft es, kurz sichtbar zu machen, aus welchen Ecken Sie sprechen: Martin Keller, Lehranalytiker und seit vielen Jahren im Vorstand, steht für die Generation, die das Institut aufgebaut und gehalten hat. Mira Lang ist Kandidatin in der Erwachsenenweiterbildung, mit Klinik, Ambulanz und Lehranalyse im Nacken. Aylin Demir ist Kandidatin in der KJP-Ausbildung, arbeitet mit Kindern und Familien in prekären Situationen. Sabine Kurz leitet die Erwachsenenambulanz, Daniel Frei die KJP-Ambulanz. Claudia Meier ist Lehranalytikerin und Supervisorin, Lena Vogt gibt Theorie- und kasuistisch-technische Seminare. Peter Albrecht sitzt im Vorstand und versucht, all das zu koordinieren. Ute Schmid kennt dieses Haus von innen, hat sich aber bewusst zurückgezogen, und Nora Yılmaz bringt als Vertreterin der Nachwuchsgeneration auch den Blick aus anderen Instituten mit.
/same/ Ich würde Sie bitten, zunächst aus Ihrer Rolle zu sprechen: Was tun Sie hier? Was wird von Ihnen erwartet? Was erwarten Sie von diesem Institut? Und wo spüren Sie, dass etwas nicht mehr stimmt? Herr Keller, würden Sie beginnen – mit dem Blick eines Lehranalytikers und Vorstandsmitglieds, das dieses Haus seit Jahrzehnten kennt?
Martin Keller (Lehranalytiker, Vorstand): Als ich damals – das ist inzwischen über vierzig Jahre her – das erste Mal diese Treppe hier hochgegangen bin, hatte ich das Gefühl, in einen geschlossenen Kreis aufgenommen zu werden. Die Lehranalytiker kannte man aus Texten, von Vorträgen, aus Erzählungen. Wer hier Kandidat wurde, gehörte dazu. Es war für meine Generation eine Selbstverständlichkeit: Wenn man ernsthaft in diesem Beruf stehen wollte, kümmerte man sich nicht nur um seine Praxis, sondern auch um das Institut. Dass man später in der Aufnahmekommission sitzt, Lehranalysen durchführt, Seminare gibt, vielleicht in den Vorstand geht – das war Teil des Berufsethos. Und ja, es hatte mit Ehre zu tun. Es war kein „Job“, sondern ein Dienst an einer Sache, von der wir überzeugt waren.
/same/ Wir haben damals nicht gerechnet, wie viele Sitzungen uns ein Abend im Vorstand „kostet“. Die Vorstellung, die Arbeit im Institut in Honoraräquivalente umzusetzen, wäre vielen als unschicklich erschienen. Man macht so etwas nicht fürs Geld, sondern weil man an Psychoanalyse glaubt – und weil man weiß, dass es ohne die Bereitschaft, diese Strukturen zu tragen, keine Ausbildung, keine Lehranalysen, keine Ambulanzen gäbe. Das ist die Sprache, in der ich groß geworden bin. Und ich merke, wie irritierend das für Jüngere klingen kann, die in einer ganz anderen ökonomischen und institutionellen Realität leben.
Mira Lang (Kandidatin Erwachsene): Für mich war das Bild, das Sie beschreiben, Herr Keller, immer etwas, das aus Erzählungen kommt. Als ich hier ins Aufnahmegespräch ging, war mein Gefühl weniger „Orden“ als „Prüfung“: ob ich mit meiner Biografie, meiner klinischen Erfahrung, meiner finanziellen Situation in diese Welt passe. Seit ich aufgenommen bin, besteht mein Alltag aus dem bekannten Paket: Klinik, Ambulanzfälle, Lehranalyse, Supervision, Seminare. Dass das anstrengend wird, war mir klar. Was mich zunehmend beschäftigt, ist die Frage, ob das, was ich hier bekomme, zu dieser Anstrengung passt – und ob dieses Haus so aufgestellt ist, dass es eine Zukunft hat, in der sich diese Investition lohnt.
/same/ Ich sitze abends in Seminaren und merke sehr deutlich, ob jemand vorbereitet ist, ob das Thema zu unserer klinischen Realität passt, ob Raum ist für Fragen und Fälle. Manchmal ist das großartig: Dann gehe ich nach Hause und habe das Gefühl, mein Denken hat sich erweitert. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, jemand ist „noch schnell eingesprungen“, damit der Termin nicht ausfällt. Ähnlich bei Lehranalyse und Supervision: Auf dem Papier ist geregelt, wie viele Stunden wir brauchen. In der Realität bedeutet es, viele Mails zu schreiben, auf Wartelisten zu stehen, auf freie Plätze zu hoffen. Wenn ich gleichzeitig höre, dass der Vorstand über neue Weiterbildungsgänge, Kooperationen, Digitalisierung entscheidet, wünsche ich mir, dass dort Menschen sitzen, die diese Lage aus eigener Erfahrung kennen – und dass sie Entscheidungen treffen, die nicht nur den Status des Instituts, sondern auch unsere Lebenswirklichkeit berücksichtigen.
Aylin Demir (Kandidatin KJP): Bei mir mischen sich noch ein paar andere Töne hinein. In meiner Herkunftsfamilie waren Institutionen selten Orte, an denen man freiwillig lange sitzen bleibt. Jugendamt, Ausländerbehörde, Schulamt – das waren Adressen, bei denen man hoffte, schnell wieder rauszukommen. Dass ich heute Teil eines psychoanalytischen Instituts bin, hätten meine Eltern sich nie träumen lassen. Sie verstehen, dass ich mit Kindern arbeite, die Schwierigkeiten haben. Aber wenn ich erzähle, wie viele Stunden ich in Besprechungen, Seminaren, Gremien verbringe, fragen sie mich mit Recht: „Und wann lebst du?“
/same/ In der KJP-Ausbildung habe ich viel von dem gefunden, was ich gesucht habe: Orte, an denen wir mit Geduld auf die Geschichten von Kindern und Familien hören, an denen wir nicht nur Diagnosen vergeben. Gleichzeitig erlebe ich, dass KJP oft als Zusatz, als Spezialbereich behandelt wird. In vielen Theorieseminaren tauchen unsere Themen nur am Rand auf. Bei Lehranalytikerinnen und Supervisorinnen merke ich, wie eng die Luft wird, wenn es um Kinder und Jugendliche geht – viele sind voll, manche fühlen sich für KJP nicht zuständig. Und im Vorstand frage ich mich manchmal: Kommen die Realitäten, mit denen wir täglich zu tun haben – Jugendamt, Schule, Armut, Migration – dort überhaupt als Kernfragen vor, oder erscheinen sie nur als „Sonderlage“ einer Unterabteilung? Ich will dieses Haus mittragen. Aber ich muss wissen, ob es auch das Haus der Kinder und Familien ist, mit denen ich arbeite, und nicht nur das der erwachsenen Einzelanalysen.
Sabine Kurz (Leitung Erwachsenenambulanz): Von meinem Platz aus sehe ich vor allem die Kreuzungspunkte. In der Erwachsenenambulanz laufen die unterschiedlichen Ebenen, die Sie beschrieben haben, zusammen: die Ausbildungsordnung mit ihren Vorgaben, die Anforderungen der Kassen, die Not der Patientinnen, der Druck der Kandidatinnen, ihre Fälle zusammenzubekommen, und die begrenzten Ressourcen an Lehranalytikerinnen, Supervisorinnen und Zeit. Wenn jemand anruft oder überweist, steht auf dem Formular „Behandlungsanfrage“. Für mich bedeutet das: Wer könnte diese Behandlung übernehmen? Passt der Fall zur Ausbildungssituation der Kandidatin? Ist die Supervisorin frei? Wie viele Langzeitfälle haben wir im Moment überhaupt in der Luft?
/same/ Es ist selten eine Entscheidung zwischen „ja“ und „nein“, eher eine Entscheidung zwischen „auch noch“ und „nicht mehr“. Wenn ich „auch noch“ wähle, weiß ich, dass ich Kandidatinnen und Supervisorinnen ein weiteres Puzzlestück in ihre Woche lege. Wenn ich „nicht mehr“ wähle, weiß ich, dass ich jemandem mit einer oft langen Leidensgeschichte keine Aussicht machen kann. Wir haben uns lange damit geholfen, so zu tun, als könnten wir diesen Konflikt durch mehr Engagement lösen: noch ein Fall, noch eine Stunde, noch eine Bereitschaft. Ich sehe aber immer häufiger, dass wir damit an die Grenzen dessen kommen, was Einzelne tragen können. Und ich spüre auch, wie sehr wir darauf angewiesen sind, dass der Vorstand Entscheidungen trifft, die diese Realität nicht nur als individuelles Problem der Ambulanzleitung, sondern als institutionelle Frage verstehen: Wie viel können wir leisten, ohne unsere Leute zu verheizen – und was bedeutet das für unser Selbstbild als Ausbildungs- und Versorgungsort?

Daniel Frei (Leitung KJP-Ambulanz): In der KJP-Ambulanz ist vieles ähnlich, aber es kommt noch eine zusätzliche Schicht dazu. Unsere Fälle sind selten „nur“ Kinderfälle. Hinter fast jedem Kind stehen Eltern, manchmal Großeltern, Geschwister, dazu Jugendämter, Schulen, manchmal Familiengerichte. Wenn ich einen Fall zuweise, geht es nicht nur darum, ob eine Kandidatin noch einen Platz im Kalender hat, sondern auch darum, ob sie die innere Kapazität hat, diesen ganzen Verbund zu halten. Die Ausbildungsordnung sieht dann eine bestimmte Anzahl von Stunden und Verfahren vor – in der Realität bedeutet es häufig: Krisen, Gespräche mit Helfersystemen, Berichte, Telefonate. All das ist wichtig für die Ausbildung, aber es frisst Ressourcen, die nirgends offiziell auftauchen.
/same/ Ich empfinde die Verantwortung in der KJP-Ambulanz oft als Dreifachbindung: gegenüber den Kindern, gegenüber den Kandidatinnen und gegenüber dem Institut. Wenn ich zu leicht „ja“ sage, übergehe ich vielleicht die Grenzen der Ausbildungsteilnehmerinnen. Wenn ich zu schnell „nein“ sage, lasse ich Kinder und Familien im Stich, die oft keinen Plan B haben. Und im Hintergrund steht die Frage: Wie interpretiert das Institut meine Entscheidungen? Als mangelnde Leistungsbereitschaft, wenn ich Fälle begrenze? Oder als Versuch, die Ausbildung und die Menschen, die sie tragen, zu schützen? Es wäre für mich entlastend zu wissen, dass diese Fragen nicht nur im Ambulanzbüro, sondern auch im Vorstand und in der Ausbildungskonferenz als gemeinsame Fragen gesehen werden – nicht als Privatsache der jeweiligen Leitung.
Claudia Meier (Lehranalytikerin, Supervisorin): Wenn ich die Perspektiven der Kandidatinnen und der Ambulanzen höre, spüre ich, wie sehr wir in den Lehranalysen und Supervisionen an einem neuralgischen Punkt sitzen. Für viele, die hier im Kreis sitzen, sind Lehranalyse und Supervision der Kern ihrer Ausbildungserfahrung: der Ort, an dem sie sich selbst und ihre Arbeit vertiefen. Für uns, die wir diese Rolle übernommen haben, sind sie es auch – und zugleich noch etwas anderes: ein dauerhafter Appell. Jedes Mal, wenn eine Anfrage kommt – „könnten Sie mich als Lehranalysandin nehmen?“, „hätten Sie noch Kapazität für eine Supervision?“ –, steht dahinter nicht nur eine Person, sondern eine Ausbildung, ein Zeitplan, oft auch eine existenzielle Frage. Es ist sehr schwer, „nein“ zu sagen, wenn man weiß, dass dieses Nein vielleicht bedeutet, dass jemand ein Jahr warten oder eine andere Lösung finden muss.
/same/ Ich habe meine eigene Lehranalyse als etwas erlebt, wofür ich meinem Analytiker bis heute dankbar bin. Das prägt natürlich meinen Wunsch, das weiterzugeben. Aber ich merke, dass diese Wunschbewegung inzwischen in eine Struktur eingebettet ist, die von uns eine Verfügbarkeit erwartet, die wir real nicht haben. Es gibt Kolleginnen, die gleichzeitig mehrere Lehranalysen, eine hohe Zahl an Supervisionen, eine volle Praxis und möglicherweise noch Familienverantwortung tragen. Formal haben sie die nötigen Qualifikationen – TA-Status, Supervisorinnenanerkennung – aber die Institution bietet wenig Hilfestellung dabei, wie viel „genug“ ist. Wenn dann Kandidatinnen uns gegenüber verständlicherweise ungeduldig werden, weil sie das Gefühl haben, niemand habe Platz für sie, fühlt sich das für mich an, als würden zwei berechtigte Forderungen aufeinanderprallen: die nach einer guten, verlässlichen Ausbildung und die nach einem Maß an Einsatz, das ein Mensch langfristig tragen kann.
Lena Vogt (Dozentin, Seminare): Ich bewege mich in einem anderen Bereich des Gefüges – im Lehrbetrieb, vor allem in Theorie- und kasuistisch-technischen Seminaren. Ich mache das gerne, wirklich. Es gibt Abende, an denen ich nach einem Seminar nach Hause gehe und das Gefühl habe, dass wir gemeinsam etwas verstanden haben, was vorher nicht klar war, und dass sich für die Ausbildungsteilnehmerinnen etwas sortiert hat. Ich habe selbst sehr von solchen Momenten in meiner Ausbildung profitiert und empfinde es als etwas sehr Sinnvolles, da heute an der anderen Seite des Tisches zu sitzen.
/same/ Gleichzeitig spüre ich die Spannung, von der Frau Lang gesprochen hat, in einer anderen Form. Gute Seminare fallen nicht vom Himmel. Sie brauchen Vorbereitung, Lektüre, Auswahl, das Nachdenken darüber, wie man Theorie mit der Arbeit im Zimmer verbindet. Diese Arbeit passiert bei mir fast ausschließlich „zwischen den Zeilen“ – abends, am Wochenende, nach Praxistagen. Die Institution freut sich, wenn jemand ein Seminar übernimmt, aber es gibt wenig strukturelle Absicherung dafür, dass diese Arbeit leistbar bleibt. Es ist nicht selten, dass Seminare kurzfristig umorganisiert werden, weil jemand ausfällt oder niemand gefunden wurde – und dann wird eben „jemand“ gefragt, der ohnehin schon vieles macht. Aus Sicht der Kandidatinnen wirkt das dann zu Recht wie lieblos vorbereitete Lehre. Aus meiner Sicht ist es ein Zeichen dafür, dass wir Lehre lange als etwas behandelt haben, das sich „so nebenher“ organisieren lässt – getragen von Berufung, nicht von Strukturen.
Peter Albrecht (Vorstand): Wenn ich die bisherigen Beiträge zusammennehme, sehe ich eine Art Netz, in dem verschiedene Knotenpunkte besonders stark unter Spannung stehen. Von meiner Position im Vorstand aus erlebe ich, wie diese Spannungen sich in konkrete Anforderungen übersetzen: Wir sollen eine Ausbildung organisieren, die den gesetzlichen Vorgaben entspricht, die mit Krankenkassen und Kammern kompatibel ist, die den Idealen der Psychoanalyse gerecht wird und die zugleich unter Bedingungen stattfindet, die viele von uns als prekär empfinden. Die Ambulanzleitungen kommen mit der Frage: „Können wir unsere bisherigen Fallzahlen noch verantworten?“ Die Lehranalytikerinnen fragen: „Wie viel können wir noch übernehmen?“ Die Dozentinnen sagen: „Wir brauchen klare Rahmenbedingungen für die Lehre.“ Die Kandidatinnen wünschen sich verlässliche Seminare, erreichbare Lehranalysen, Entscheidungen, die ihre Zukunft im Blick haben.
/same/ Wir im Vorstand versuchen, aus all dem eine Linie zu machen. Aber oft fühlt es sich an, als würden wir eher reagieren als gestalten. Wir stehen unter externem Druck – Verbandsanforderungen, Reformen der Ausbildung, neue Richtlinien – und unter internem Druck – Erwartungen an Qualität, Gerechtigkeit, Partizipation. Und wir sind dabei wenige: eine Handvoll Menschen, die diese Aufgaben neben ihrer Praxis und anderen Verpflichtungen erledigen. Ich sage das nicht, um mich zu beklagen, sondern um die Asymmetrie zu benennen: Viele sehen, was sie vom Institut brauchen – und das ist legitim. Weniger sichtbar ist, wie dünn die Schicht derjenigen geworden ist, die versuchen, diese Bedürfnisse in Strukturen zu übersetzen. Wenn sich für Vorstandspositionen niemand findet, ist das nicht nur ein Mandatsproblem, sondern ein Symptom für eine tiefere Frage: Was bedeutet es heute überhaupt noch, „Verantwortung für das Institut“ zu übernehmen – und zu welchen Bedingungen?
Nora Yılmaz (Nachwuchsvertretung): Aus der Perspektive der Kandidatinnen, mit denen ich viel zu tun habe, ist dieses Bild gleichzeitig sehr nachvollziehbar und sehr irritierend. Viele, die in den letzten Jahren in die Ausbildung gekommen sind, haben ein klares Bewusstsein dafür, was sie investieren: Zeit, Geld, Ungewissheit. Sie wollen nicht nur „irgendwie durchkommen“, sondern eine Ausbildung, die sie befähigt, in einer sich verändernden therapeutischen Landschaft zu bestehen. Sie wünschen sich Seminare, in denen man etwas lernt, und Lehranalysen, in denen man wirklich arbeiten kann. Sie erwarten von der Ambulanz, dass sie ihnen ermöglicht, sinnvolle Fälle zu bearbeiten, und vom Vorstand, dass er Entwicklungen wie die Reform der Weiterbildung nicht nur verwaltet, sondern auch im Sinne einer lebbaren Zukunft interpretiert.
/same/ Gleichzeitig sehen sie, was Sie beschrieben haben, Herr Albrecht: Ambulanzleitungen am Limit, Lehranalytikerinnen mit vollen Listen, Dozentinnen, die ihre Abende opfern, Vorstände, in denen die gleichen Namen seit Jahren rotieren. Viele in meiner Generation stehen deshalb vor einem Dilemma: Sie sehen die Notwendigkeit, dass sich mehr Menschen in diese Strukturen hineinbegeben – und sie sehen, wie hoch der Preis dafür bisher war. Das Ergebnis ist oft eine Haltung, die nach außen als „Distanz“ erscheint, innerlich aber eher eine Mischung aus Loyalität und Misstrauen ist. Loyalität gegenüber der Psychoanalyse, die sie ernsthaft lernen wollen, Misstrauen gegenüber den institutionellen Formen, in denen sie bislang stattfindet. Ich glaube, genau da setzt das Unbehagen an, von dem wir reden: an dem Punkt, an dem das, was wir tun, nicht mehr selbstverständlich von der Struktur getragen wird, sondern zunehmend von der Frage abhängt, wie viel jeder von uns bereit ist, aus eigener Kraft zu kompensieren.

/scene/ Die erste Runde hat die verschiedenen Rollen im Institut sichtbar gemacht: die Kandidatinnen, die Ambulanzen, Lehranalytikerinnen, Dozentinnen, den Vorstand, den Rückzug und den Nachwuchsblick. Die Stimmung im Raum ist dichter geworden. Die Moderatorin wartet einen Moment, bevor sie in die nächste Phase überleitet.
Eva Baum (Moderatorin): Ich möchte an dieser Stelle kurz innehalten. Wir haben jetzt eine Art Topographie unseres Instituts gehört – aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Wenn ich das zusammentrage, ohne es zu glätten, höre ich: Ausbildungsteilnehmerinnen, die viel investieren und sich gleichzeitig fragen, ob sie auf ein tragfähiges System zusteuern. Ambulanzleitungen, die zwischen Versorgungsauftrag, Ausbildung und Ressourcen stehen. Lehranalytikerinnen und Supervisorinnen, die zwischen Weitergabe und Übernahme von Verantwortung ihre eigenen Grenzen suchen. Dozentinnen, die guten Unterricht machen wollen und spüren, wie wenig abgesichert diese Arbeit ist. Ein Vorstand, der zwischen äußeren Anforderungen und inneren Erwartungen versucht, handlungsfähig zu bleiben. Und Kolleginnen, die sich aus Selbstschutz ins Praxiszimmer zurückgezogen haben – ohne dass ihnen das egal wäre.
/same/ Bevor wir darüber sprechen, was daraus folgen könnte, ist mir wichtig, dass wir uns erlauben, auch die Spannungen auszuhalten. Es wäre verfrüht, wenn wir nach dieser Runde sagen würden: „Dann machen wir eben weniger“, oder: „Dann müssen alle mehr tun.“ Ich würde jetzt gern die Perspektive von außen mit hinzunehmen – zum einen von jemandem, der unsere Lage aus Verbandssicht kennt, zum anderen von jemandem, der beruflich auf Institutionen schaut, so wie wir auf unsere Patient*innen. Herr Sommer, Frau Conrad – vielleicht beginnen Sie und sagen uns, wie dieses Haus von Ihren Stühlen aus aussieht, und dann schauen wir, wie wir mit diesen zusätzlichen Blicken weiterarbeiten können.
Felix Sommer (Verbandsvertreter): Wenn ich Ihnen zuhöre, merke ich, wie unterschiedlich meine üblichen Kontaktpunkte mit Ihrem Institut sind. Normalerweise sehe ich Sie als Zahlenkolonnen und Stichworte in Berichten: „x Kandidatinnen“, „y Lehranalytikerinnen“, „z Behandlungen“, „Vorstand unvollständig“. Wenn dann in unseren Runden gesagt wird: „Die Institute haben Schwierigkeiten, Vorstände zu besetzen, finden zu wenig Lehranalytikerinnen, die Nachwuchs ausbilden“, ist die spontane Reaktion oft ziemlich grob: „Da stimmt etwas mit dem Engagement nicht.“ Man vergisst schnell, dass hinter jeder dieser Zeilen Biografien stehen – so wie die, die wir heute Abend hören.
/same/ Gleichzeitig muss ich Ihnen sagen: Der Druck, unter dem Sie stehen, verschwindet auf Verbandsebene nicht, er verdichtet sich. Wenn wir gegenüber Ministerien, Kammern oder Kassen vertreten, dass psychoanalytische Institute eigenständige Ausbildungs- und Versorgungszentren bleiben sollen, werden wir sehr konkret gefragt: „Wie viele bilden Sie aus? Wie viele Therapien erbringen Sie? Wie stabil sind Ihre Strukturen?“ Da reicht es nicht zu sagen: „Unsere Leute sind müde.“ Das ist die Stelle, an der das, was Sie zu Recht als Erschöpfung benennen, in der Außenwahrnehmung zu „Instabilität“ wird. Aus meiner Perspektive ist das Dilemma: Wenn Sie Ihre Grenzen nicht benennen, brennen Sie aus. Wenn Sie sie benennen, riskieren Sie, dass andere Ihnen die Handlungsräume absprechen, die Sie zur Sicherung der Psychoanalyse brauchen.
Lea Conrad (Orgaberatung extern): Was mich an diesem Raum beeindruckt, ist, dass hier verschiedene Ebenen gleichzeitig sichtbar sind: die Ebene der Zahlen, von der Herr Sommer spricht; die Ebene der persönlichen Belastung, von der Sie alle gesprochen haben; und die Ebene dessen, was man in meiner Tradition das institutionelle Unbewusste nennen würde. In vielen Organisationen, mit denen ich arbeite, gibt es dieselben Muster: eine kleine Gruppe, die sehr viel trägt, eine wachsende Zahl von Rückzugsfiguren, eine mittlere Generation, die zwischen Loyalität und Selbstschutz schwankt. Die organisationstheoretische Kurzformel lautet dann schnell: „Personalmangel“, „Fehlanreize“, „Work-Life-Balance“. Psychoanalytisch betrachtet steckt dahinter mehr: Fantasien von Helden, die alles aushalten, und von Verrätern, die sich entziehen; unausgesprochene Allianzen, nicht über Geld, Erschöpfung, Angst zu sprechen; und eine gemeinsame Angst vor der Frage, was bleibt, wenn wir nicht mehr über unsere Verhältnisse leben.
/same/ Wenn ich Ihre Beiträge höre, könnte man fast ein Drehbuch von social defences schreiben. Die Erwartung an Lehranalytikerinnen und Supervisorinnen, „einfach da zu sein“, auch wenn die Listen voll sind. Die stille Norm im Lehrbetrieb, dass Seminare „irgendwie“ stattfinden müssen, selbst wenn niemand mehr Zeit hat, sie vorzubereiten. Die Vorstellung im Vorstand, dass es ein Zeichen von Schwäche wäre zu sagen: „Wir können bestimmte Aufgaben in dieser Form nicht mehr leisten.“ Und auf der anderen Seite die Tendenz der jüngeren Kolleginnen, diese Strukturen als gegeben zu betrachten und sich lieber in die Praxis zurückzuziehen, als sich hineinziehen zu lassen. Alle diese Abwehrformen haben ihren guten Grund. Sie schützen vor Schuld, vor Scham, vor Ohnmacht. Aber sie verhindern auch, dass Sie als Gruppe die eigentliche Frage stellen: Wie könnte eine Form von Verantwortungsübernahme aussehen, die weder Heroismus noch inneren Rückzug verlangt?
Jonas Roth (Analytiker mittlere Gen.): Herr Sommer, Frau Conrad, ich merke, dass mich Ihre Beiträge gleichzeitig entlasten und provozieren. Entlasten, weil Sie bestätigen, dass das, was wir hier erleben, kein individuelles Versagen ist, sondern ein Muster. Provozieren, weil ich in dem Bild, das Sie zeichnen, eine Gefahr sehe: Wir könnten uns jetzt bequem in die Rolle des „typischen Instituts mit typischen Problemen“ zurücklehnen und sagen: „So ist das eben.“ Für viele in meiner Generation fühlt sich das nicht befriedigend an. Wir haben das Gefühl, unsere Ausbildung in eine Struktur hinein zu investieren, von der wir nicht sicher sind, ob sie in zehn Jahren noch existiert. Und dann hören wir – verzeihen Sie, wenn ich das zuspitze –, dass wir entweder weiter über unsere Grenzen gehen sollen, um Kennzahlen zu halten, oder riskieren, dass andere unsere Räume übernehmen.
/same/ Gleichzeitig sehe ich die andere Seite: Wenn wir nur auf die Strukturen zeigen und sagen „die sind krank“, machen wir es uns an einem Punkt auch zu einfach. Es ist verführerisch, sich in die Praxis zurückzuziehen und mit Kolleginnen im Kaffee zu sagen: „Das Institut ist halt schwierig“, während wir die Anfragen, an denen hier offenbar niemand vorbeikommt – Lehranalyse, Supervision, Lehre, Vorstand – an die weiterreichen, die ohnehin seit Jahren „Ja“ sagen. Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich im Kopf eine Liste führe: „Für wen würde ich mir vorstellen, zusammen ein Projekt zu übernehmen? Und unter welchen Bedingungen?“ Vielleicht ist das der Übergang, den wir brauchen: weg von der Frage „Wer hat Schuld an der Erschöpfung?“ hin zu der Frage „Unter welchen Bedingungen wäre ich bereit, ein Stück Verantwortung zu übernehmen, ohne mich dabei wieder in das alte Muster hineinziehen zu lassen?“
Claudia Meier (Lehranalytikerin, Supervisorin): Ich finde es wichtig, dass Sie das so offen aussprechen, Herr Roth. Und ich möchte von meiner Seite anschließen, weil ich glaube, dass Lehranalytikerinnen und Supervisorinnen oft in einer merkwürdigen Doppelrolle stecken: Wir sind einerseits diejenigen, an die sich Kandidatinnen in ihrer größten Abhängigkeit wenden. Andererseits sind wir aus Sicht des Instituts die, die „noch tragen können“. Es gibt eine unausgesprochene Erwartung, dass wir die Engpässe abfedern – bei der Suche nach Lehranalyse, bei Supervision, manchmal sogar in den Ambulanzen oder in der Lehre. Ich merke, wie stark mein eigener Berufsstolz damit verknüpft ist, „da zu sein“. Und ich merke gleichzeitig, wie sehr ich an Punkten, an denen ich ein Nein bräuchte, in ein schlechtes Gewissen rutsche.
/same/ Wenn wir jetzt anfangen, offen über Grenzen zu sprechen – wie viele Lehranalysandinnen ich aufnehmen kann, wie viele Supervisionen ich sinnvoll führen kann, wie viele zusätzliche Aufgaben neben der Praxis möglich sind –, hat das zwangsläufig Konsequenzen für diejenigen, die durch das System gehen wollen. Und ich verstehe, dass das Angst macht. Aber die Alternative sehen wir ja: Wartelisten, verschobene Ausbildungen, frustrierte Anfragen, TA- und Supervisorinnen, die sich zwei Jahre „auf stumm“ stellen müssen, um nicht zu kollabieren. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir auch unsere Rolle in diesem Abwehrsystem anschauen. Nicht im Sinne von „wir sind die Ausbeuterinnen“, sondern im Sinne von: Wir haben ein Modell mitgetragen, in dem unser „Ja“ selbstverständlich erwartet wird. Wenn wir heute „Nein“ sagen, tun wir das nicht nur individuell, sondern als Kommentar zu einer Struktur, die so nicht mehr funktioniert – und die sich verändern muss, wenn Kandidatinnen, Patientinnen und wir selbst nicht weiter gegeneinander ausgespielt werden sollen.
Peter Albrecht (Vorstand): Was Sie beide sagen, trifft für mich einen wunden Punkt. Ich habe in den letzten Jahren so oft in Vorstandssitzungen gesessen mit einer inneren Doppelbewegung: Auf der einen Seite die Stimme, die sagt: „Wir dürfen nach außen nicht schwach wirken, wir müssen zeigen, dass wir unsere Aufgaben erfüllen.“ Auf der anderen Seite das Wissen aus den Gesprächen im Flur, in der Ambulanz, in Supervisionen, dass wir intern längst über der Belastungsgrenze sind. Wir haben versucht, das auszugleichen, indem wir auf der Ebene der „Funktionsträgerinnen“ immer noch ein bisschen mehr gestemmt haben: noch ein Seminar, noch eine Lehranalyse, noch eine Vertretung im Verband. Ich sehe jetzt, wenn ich Ihnen zuhöre, dass wir damit das Abwehrsystem stabilisiert haben, das Frau Conrad beschrieben hat: Wir haben die Überforderung in bestimmte Rollen kanalisiert, statt sie als gemeinsames Problem zu deklarieren.
/same/ Wenn Herr Sommer sagt, der Verband brauche von uns Zahlen und Funktionsfähigkeit, fühle ich mich ertappt und verteidigt zugleich. Ja, wir haben nach außen oft die „leistungsfähige Ausbildungsstätte“ gezeigt – weil wir Angst hatten, sonst in Frage gestellt zu werden. Und ja, wir haben zu selten transparent gemacht, was das intern bedeutet. Ich glaube, wenn wir aus dieser Spirale heraus wollen, müssen wir zwei Tabus gleichzeitig brechen: Das Tabu, offen zu sagen, was wir uns realistisch leisten können – an Ausbildungsplätzen, an Ambulanzfällen, an Lehranalysen, an Gremienarbeit. Und das Tabu, von denjenigen, die in diese Strukturen nachrücken sollen, zu erwarten, dass sie wieder dieselben nicht hinterfragten Opfer bringen. Das wird nicht gehen, ohne dass wir an Statusbildern rütteln – auch an unseren eigenen. Aber wenn ich heute Abend eines mitnehme, dann, dass das Schweigen darüber uns auf Dauer teurer zu stehen kommt als jedes kurzfristige Gesichtswahren.

Ute Schmid (Mitglied Rückzug): Ich möchte an dieser Stelle etwas sagen, was mir selbst lange schwer gefallen ist: Mein Rückzug aus der aktiven Institutsarbeit war nicht nur eine Frage von „zu wenig Zeit“ oder „neuer Lebensphase“. Natürlich spielten äußere Faktoren eine Rolle – Praxis, Familie, Alter. Aber der eigentliche Grund war, dass ich das Gefühl hatte, dieses Haus erwartet von mir eine Art von Identifikation, die ich nicht mehr aufbringen konnte, ohne mir selbst untreu zu werden. Ich saß in Sitzungen, in denen sehr klug über Ausbildung, Qualität, Ethik gesprochen wurde – und gleichzeitig erlebte ich, wie konkrete Hinweise auf Überlastung, Ungerechtigkeit oder blinde Flecken höflich „zur Kenntnis genommen“ und dann zur Tagesordnung übergegangen sind. Irgendwann habe ich begriffen, dass ich in diesen Räumen nicht mehr auf eine Weise sprechen kann, die mir entspricht, ohne mich danach leer zu fühlen.

/same/ Ich höre heute Abend sehr viel von Pflicht, Berufung, Verantwortung. Ich habe dem alles einmal zugestimmt. Ich war stolz, in Kommissionen zu sitzen, habe gerne Seminare gegeben, habe mit Enthusiasmus in der Ambulanz mitgearbeitet. Dass ich mich irgendwann bewusst auf meinen Praxisraum zurückgezogen habe, war für mich eine existenzielle Entscheidung. Wenn ich höre, wie Herr Sommer von außen sagt, Institute wollten „Autonomie ohne Last“, fühle ich mich verkannt. Viele von uns, die gegangen sind, haben die Last lange getragen – oft länger, als gut war. Dass wir nicht mehr bereit sind, in Strukturen mitzuwirken, die unsere Grenzen nicht als Information, sondern als Störung behandeln, ist kein Verrat an der Psychoanalyse. Es ist, in meinem Fall, eine späte Form von Loyalität mir selbst gegenüber – und, wenn man so will, ein Kommentar zu einer Institution, die ihre Art, Loyalität zu denken, überdenken muss.

Nora Yılmaz (Nachwuchsvertretung): Ich erlebe in den Gesprächen mit Kandidatinnen, dass wir zwischen diesen beiden Polen hin- und hergeworfen werden. Auf der einen Seite gibt es die Erzählungen von der berühmten „alten Garde“, die unglaublich viel geleistet hat – oft unter Bedingungen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Das erzeugt Respekt, manchmal auch Schuldgefühle: „Werde ich dem gerecht?“ Auf der anderen Seite gibt es die Geschichten derer, die wie Frau Schmid irgendwann sagen mussten: „Ich gehöre zwar inhaltlich dazu, aber diese institutionelle Form kann ich nicht mehr mittragen.“ Das erzeugt eine andere Angst: „Wenn ich mich engagiere, lande ich am Ende genauso verbraucht.“ Viele von uns stehen dazwischen und versuchen, nicht in eine einfache Gut/Böse-Erzählung zu rutschen – weder die Helden zu idealisieren noch die Rückzugsfiguren abzuwerten.

/same/ Was uns fehlt, ist ein Bild davon, wie es anders aussehen könnte. In der Nachwuchsvertretung hören wir immer wieder Sätze wie: „Ich würde schon mitarbeiten, aber nicht im Vorstand, nicht in diesen Dauerämtern, nicht in einer Struktur, die mich vereinnahmt.“ Es gibt eine große Bereitschaft für projektförmige, klar begrenzte Aufgaben: ein Jahr in einer Arbeitsgruppe, ein Pilotseminar mitkonzipieren, an der Überarbeitung eines Curriculums mitwirken. Was abschreckt, sind die Rollen, die in diesem Haus tief verankert sind: die „ewige Ambulanzleitung“, das „Vorstandsmitglied, das man seit zwanzig Jahren kennt“, der „Lehranalytiker, der immer da ist“. Sie sind Ausdruck einer Kultur, in der Verantwortung an Personen gebunden wird – und nicht an Funktionen, die man teilen, begrenzen, neu denken könnte. Wenn wir eine andere Form von Partizipation wollen, müssten wir diese Kultur antasten – und das fühlt sich für viele so an, als würde man an den Fundamenten rütteln.

Felix Sommer (Verbandsvertreter): Es ist interessant, das von innen so differenziert zu hören, denn auf Verbandsebene kommen diese Konflikte oft viel flacher an. Da heißt es dann: „Institut X findet keine Lehranalytikerinnen“, „Institut Y meldet Schwierigkeiten bei der Vorstandsnachfolge“, „Institut Z hat Probleme bei der Sicherstellung der Seminare.“ Das wird schnell zu einem moralischen Diskurs: „Sind sie zu bequem? Haben sie die Falschen ausgebildet? Haben sie die Nachwuchspflege verschlafen?“ Ich schäme mich ein wenig, wenn ich das hier so ausspreche, aber das sind tatsächlich Gedanken, die im Raum stehen. Selten fragen wir uns, ob nicht das Modell, nach dem wir diese Institute denken, an seine Grenzen gekommen ist: kleine, hochkomplexe Einheiten, die auf einer Mischung aus Ehrenamt, Berufung und Selbstausbeutung beruhen.

/same/ Zugleich stehe ich nicht außerhalb dieses Systems. Wenn ich in Gremien argumentiere, dass psychoanalytische Institute weiter eigenständige Ausbildungsstätten bleiben sollen und nicht in große Klinikkonzerne oder Universitätsstrukturen integriert werden, brauche ich überzeugende Antworten auf die Frage: „Wie halten Sie das durch?“ Die Politik interessiert sich weniger für unsere inneren Konflikte als für verlässliche Strukturen. Es ist schwer, in einem Ministerium zu sagen: „Unsere Leute sind erschöpft, aber sie sind sehr engagiert.“ Insofern höre ich bei Ihnen den Wunsch, ehrlich über Grenzen zu sprechen – und bei mir den Reflex, diese Grenzen zu kaschieren, um Spielräume nicht zu verlieren. Zwischen diesen beiden Bewegungen einen Weg zu finden, ist, glaube ich, eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam lösen können. Sie werden aus der Praxis heraus sagen müssen, was realistisch ist. Wir müssen lernen, das nach außen so zu vertreten, dass es nicht sofort als Schwäche ausgelegt wird.

Lea Conrad (Orgaberatung extern): Aus meiner professionellen Brille betrachtet, sehe ich hier etwas, das man selten so verdichtet auf dem Tisch liegen hat. In vielen Organisationen, mit denen ich arbeite, braucht es Monate, bis überhaupt jemand sagt: „Ich halte das nicht mehr aus.“ Hier haben Sie in anderthalb Stunden eine ganze Palette von Ambivalenzen sichtbar gemacht: Stolz und Erschöpfung, Verbundenheit und Rückzug, Berufung und Bitterkeit. Wenn ich das in meine Sprache übersetze, würde ich sagen: Der gruppenpsychische Apparat Ihres Instituts steht an einem Punkt, an dem seine bisherigen Abwehrformen nicht mehr tragen. Die Idee, man könne alles über Identifikation und Bereitschaft zur Mehrleistung lösen, funktioniert nicht mehr. Gleichzeitig ist noch keine neue gemeinsame Erzählung da, die sagt, was stattdessen gelten soll.

/same/ In dieser Situation sind zwei Bewegungen besonders verführerisch: die eine, die sagt „so sind Institute eben, da kann man nichts machen“, und die andere, die sagt „dann lehnen wir alles ab, was nach Verantwortung aussieht“. Beide sind verständliche Reaktionen auf Überforderung. Beide stabilisieren aber letztlich den Zustand, den Sie als „erschöpfte Institution“ beschrieben haben. Das, was Sie heute tun – und das ist nicht selbstverständlich –, ist ein dritter Weg: Sie erlauben sich, die Widersprüche auszusprechen, ohne sofort eine Lösung zu fingieren. Aus meiner Erfahrung entstehen aus solchen Momenten oft kleine, aber wichtige Verschiebungen: nicht der große Wurf, aber Veränderungen in der Art, wie Aufgaben zugeschnitten werden, wie Mandate begrenzt werden, wie über Geld und Zeit gesprochen wird. Wenn Sie aus diesem Abend wenigstens einen konkreten Ort definieren, an dem dieses Gespräch weitergeführt wird – sei es eine gemischte Arbeitsgruppe, sei es ein jährlicher Reflexionstag, sei es ein Experiment im Vorstand –, dann haben Sie den Abwehrmodus bereits ein Stück weit verlassen.

/scene/ Die Luft im Raum ist dicht, aber niemand wirkt so, als wolle er oder sie fliehen. Die Beiträge von Verband und externer Beratung haben die Konfliktlinien noch einmal geschärft. Nun beginnt sich der Blick langsam vom „Wer hat was getan?“ hin zu „Was wäre anders denkbar?“ zu verschieben.

Eva Baum (Moderatorin): Ich habe den Eindruck, wir sind an einem Punkt, an dem die wichtigsten Spannungen zumindest einmal ausgesprochen wurden: die Erwartung an Berufung und die Erfahrung von Selbstausbeutung; der Anspruch auf gute Ausbildung und die Realität knapper Ressourcen; der Stolz auf das, was dieses Haus geleistet hat, und die Angst, dass es so nicht weitergeht. Bevor wir uns in die Fantasie flüchten, wir könnten heute Abend alles lösen, würde ich gern einen kleineren Schritt vorschlagen. Vielleicht können wir uns fragen: Gibt es ein, zwei Stellen in diesem Gefüge, an denen wir uns gemeinsam vorstellen können, etwas zu verändern – nicht abstrakt, sondern konkret, in überschaubarer Form? Ich denke an Dinge wie: Wie sehen Vorstandsmandate aus? Wie werden Lehrverpflichtungen zugeschnitten? Wie organisieren wir die Brücke zwischen Kandidatinnen und Leitungsgremien?

/same/ Herr Roth hat vorhin etwas Wichtiges gesagt: dass Engagement für seine Generation nur unter bestimmten Bedingungen vorstellbar ist – und dass es zu einfach wäre, das als Bequemlichkeit abzutun. Frau Meier hat darum gebeten, die Rolle der Lehranalytikerinnen und Supervisorinnen aus der Zone der Selbstverständlichkeit zu holen. Frau Vogt und Frau Schmid haben deutlich gemacht, wie Rückzug als Kommentar zu unserer Kultur zu verstehen ist. Frau Kurz und Herr Frei haben gezeigt, dass Ambulanzen an der Kante zwischen Ideal und Möglichkeit stehen. Herr Keller und Herr Albrecht haben von der Angst gesprochen, mit Ehrlichkeit nach außen Handlungsspielräume zu verlieren. Vielleicht könnten wir jetzt einmal probeweise so tun, als wäre dieses Plenum selbst ein Gremium mit Auftrag – und uns fragen: Welchen Auftrag würden wir uns für einen ersten Schritt geben, der weder heroisch noch kosmetisch ist?

Jonas Roth (Analytiker mittlere Gen.): Wenn ich versuche, mir einen solchen ersten Schritt vorzustellen, lande ich immer wieder beim Vorstand. Nicht, weil dort alle Probleme gelöst würden, sondern weil dort vieles zusammenläuft: Entscheidungen über Curricula, über Ambulanzkonzepte, über Lehrverpflichtungen, über Kooperationen mit Kliniken und Universitäten. Solange der Vorstand ein Gremium bleibt, in dem vor allem diejenigen sitzen, die den alten Ethos verinnerlicht haben – „man macht das, bis man umfällt“ –, werden wir die Kultur, von der heute so viel die Rede war, schwer verändern. Gleichzeitig verstehe ich sehr gut, warum viele meiner Kolleginnen beim Wort „Vorstand“ innerlich dichtmachen. In ihren Köpfen stehen da keine differenzierten Aufgabenprofile, sondern Bilder von Menschen, die seit Jahren immer zu spät nach Hause kommen.

/same/ Für mich wäre ein denkbarer Zwischenschritt, dass wir die Idee von Vorstandsarbeit entdramatisieren und entmystifizieren. Konkret: dass wir Mandate zeitlich klar begrenzen, Aufgabenprofile transparent machen und – das ist vielleicht der ungewöhnlichste Gedanke – Co-Rollen etablieren, in denen ältere und mittlere Kolleginnen gemeinsam Verantwortung tragen. Ich könnte mir eher vorstellen, für zwei Jahre mit jemandem wie Herrn Keller eine klar definierte Aufgabe im Vorstand zu übernehmen, als „in den Vorstand“ zu gehen. Nicht, weil ich mich vor Verantwortung drücken will, sondern weil ich sehe, dass ich nur dann etwas Sinnvolles beitragen kann, wenn ich weiß, dass es einen Einstieg und einen Ausstieg gibt und dass ich nicht in eine Rolle hineinkippe, aus der ich erst mit einem Erschöpfungssyndrom wieder herausfinde.

Martin Keller (Lehranalytiker, Vorstand): Ich spüre, dass dieser Vorschlag in mir zwei sehr unterschiedliche Reaktionen auslöst. Die eine ist Erleichterung. Die Vorstellung, Verantwortung im Vorstand in Co-Form zu tragen, zu wissen, dass ich jemanden aus einer anderen Generation an meiner Seite habe, der mich ergänzt und auch korrigiert, hat etwas sehr Ansprechendes. Die andere Reaktion ist Abwehr. Ein Teil von mir hält nach wie vor an der Idee fest, dass Kontinuität in Leitungsfunktionen ein Wert an sich ist, gerade in einem Feld, das von außen immer wieder in Frage gestellt wird. Ich frage mich: Wie wirkt es nach außen, wenn wir sagen: „Unsere Vorstände sind befristet, geteilt, im Wandel“? Und wie wirkt es nach innen, wenn das Bild vom „tragenden Pfeiler“ sich in eine Art „rotierendes System“ verwandelt?

/same/ Gleichzeitig höre ich in Ihrem Vorschlag, Herr Roth, etwas, das mich neugierig macht: die Möglichkeit, Verantwortung nicht nur als Last, sondern wieder als Form von Beziehung zu sehen. Als ich damals in den Vorstand kam, war das ein Ort intensiver Begegnung – wir haben gestritten, gelacht, geweint, entschieden. In den letzten Jahren ist dieser Raum immer mehr zum Verwaltungsort geworden. Vielleicht könnte ein Co-Modell, das von vornherein sagt: „Wir sind hier zu zweit oder zu dritt für eine klar umrissene Aufgabe“, diesem Raum wieder etwas von seiner Beziehungsqualität zurückgeben. Ich sage nicht, dass ich keine Angst davor hätte, damit eingeübte Bilder loszulassen. Aber ich nehme ernst, was Sie, Frau Lang, Frau Demir und andere gesagt haben: dass der bisherige Modus für viele schlicht nicht mehr anschlussfähig ist.

Nora Yılmaz (Nachwuchsvertretung): Für viele in meiner Generation wäre genau so ein Modell der Unterschied zwischen „Ich mache das auf keinen Fall“ und „Ich denke darüber nach“. Wenn jemand sagt: „Du gehst für zwei Jahre als Co-Mitglied in den Vorstand mit einer definierten Aufgabe – zum Beispiel: Überarbeitung der Ämterprofile oder Implementierung eines jährlichen Reflexionstags – und mit der klaren Ansage, dass du danach rausgehst, wenn du möchtest“, klingt das nicht mehr nach einem Sog, aus dem man nie wieder herauskommt. Es klingt nach einem Experiment, in dem man lernen kann, wie sich Verantwortung anfühlt, ohne dass sie einen verschlingt. Ich glaube, viele Kandidatinnen und jüngere Mitglieder haben nicht grundsätzlich etwas gegen Verantwortung. Sie haben etwas gegen die Form, in der sie ihnen bisher begegnet ist: als etwas, das man entweder vollständig übernimmt oder ganz verweigert.

/same/ Ich würde mir wünschen, dass wir uns trauen, ein solches Modell nicht nur in diesem Raum zu denken, sondern tatsächlich zu erproben. Das hieße, beim nächsten Wahlgang nicht nur nach „Vorstand XY“ zu fragen, sondern nach Tandems: einem erfahrenen Mitglied und einem mittleren oder jüngeren, mit gemeinsamem Mandat und gemeinsamem Ausstiegstermin. Es hieße auch, offen zu kommunizieren, was dieses Mandat zeitlich und inhaltlich bedeutet – nicht als Drohung, sondern als Grundlage für eine erwachsene Entscheidung. Und es hieße, den Mut zu haben, dass ein Vorstand, der so zusammengesetzt ist, vielleicht anders wirkt, nach innen wie nach außen – weniger als monolithischer Block, mehr als lebendiges Gremium, in dem verschiedene Generationen miteinander denken.

Sabine Kurz (Leitung Erwachsenenambulanz): Aus Sicht der Ambulanz würde ein solcher Schritt auch signalisieren, dass unsere Probleme nicht länger als „Sonderfall“ abgehandelt werden. Wenn im Vorstand ein Tandem aus älterem und jüngerem Mitglied explizit den Auftrag hätte, die Belastungslage in den Funktionsbereichen – Ambulanz, Lehre, TA/Supervision – zu prüfen und Vorschläge für realistische Obergrenzen zu machen, wäre das etwas anderes, als wenn die Ambulanzleitung immer wieder mit Einzelanträgen ankommt und das Gefühl hat, um jede Einsicht kämpfen zu müssen. Für mich wäre die Vorstellung entlastend, dass eine Co-Vorstandskonstellation die Verantwortung mitträgt, zu sagen: „Wir reduzieren hier bewusst – und stehen gemeinsam zu den Konsequenzen.“ Bisher hatte ich oft das Gefühl, die Ambulanz sei das Ventil, durch das der Druck abgelassen wird, den niemand sonst in Frage zu stellen wagt.

/same/ Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass wir mit so einem Schritt wahrscheinlich vorübergehend schlechter in den Tabellen von Herrn Sommer dastünden. Aber ich frage mich, was nachhaltiger schadet: kurzfristig schlechtere Zahlen oder langfristig weiter Kandidatinnen, Lehranalytikerinnen und Funktionsinhaber*innen zu verlieren, weil sie sich erschöpfen oder zurückziehen. Wenn ein neu zusammengesetzter Vorstand – mit Co-Modellen, begrenzten Mandaten und klarem Auftrag – sich gemeinsam hinstellt und sagt: „So viel können wir leisten, mehr nicht“, wäre das für mich ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. Und ich könnte mir eher vorstellen, die Leitung der Ambulanz weiterzuführen, wenn ich weiß, dass diese Haltung nicht nur meine private ist, sondern institutionell mitgetragen wird.

Lena Vogt (Dozentin, Seminare): Was mich an dem, was jetzt vorgeschlagen wurde, anspricht, ist weniger der spezifische Vorstandsaspekt als das dahinterliegende Prinzip: Verantwortung wird geteilt, zeitlich begrenzt und mit einem klaren Auftrag versehen. Genau das fehlt mir in der Lehre oft. Ich habe vorhin gesagt, dass ich gern unterrichte – und das stimmt. Aber ich habe immer häufiger das Gefühl, dass Seminare, besonders kasuistisch-technische, wie selbstverständlich zu meinem Berufsbild dazugehören, ohne dass das Institut wirklich mitdenkt, was es bedeutet, sie langfristig und in guter Qualität zu halten. Es ist ein Unterschied, ob ich ein einzelnes Seminar übernehme, weil mich das Thema reizt, oder ob ich jahrelang im Rotationsprinzip immer wieder dieselbe Veranstaltung abdecken soll, weil niemand anderes da ist.

/same/ Wenn wir anfangen, Mitverantwortung im Vorstand anders zu denken, wäre das aus meiner Sicht eine Gelegenheit, auch die Lehrverpflichtungen neu anzuschauen. Was würde es heißen, wenn jemand für zwei Jahre ein Seminar leitet – gemeinsam mit einem jüngeren Kollegen oder einer Kollegin –, mit einer klaren Zusage, danach entweder zu pausieren oder in ein anderes Format zu wechseln? Was würde es heißen, wenn wir Lehre nicht mehr als diffuses Ehrenamt im Hintergrund behandeln, sondern als Teil eines verabredeten, überschaubaren Engagements? Es würde nicht die Tatsache ändern, dass wir alle viel zu tun haben. Aber es würde den Übergang von „ich springe mal ein“ zu „ich übernehme eine Aufgabe auf Zeit“ markieren. Und ich glaube, genau diese Markierung könnte verhindern, dass aus einem Ja zum Lehren irgendwann eine Quelle von stiller Verbitterung wird.

Claudia Meier (Lehranalytikerin, Supervisorin): Für die Lehranalyse und Supervision würde ich mir etwas ganz Ähnliches wünschen. Im Moment ist es so, dass der TA-Status und die Supervisorinnenanerkennung eine Mischung aus Auszeichnung und Dauerverfügbarkeit bedeuten. Wer einmal in dieser Rolle ist, bleibt oft über Jahre darin. Es gibt Formalitäten, um den Status zu pausieren oder abzugeben, aber sie werden selten offen thematisiert. Wenn jemand sagt: „Ich kann für eine Weile keine neuen Lehranalysandinnen annehmen“, geschieht das eher still, fast im Modus der privaten Scham. Wenn wir die Logik der befristeten, geteilten Verantwortung ernst nehmen, könnte das auch heißen: TA- und Supervisorinnenrollen werden bewusst als Phasen gedacht – mit Möglichkeiten des Einstiegs, der Co-Verantwortung, des Austritts, ohne dass das als Scheitern gilt.

/same/ Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass jüngere Kolleginnen in Co-Supervisionen hineingehen, zunächst in begrenztem Rahmen, begleitet von erfahrenen Supervisorinnen. Oder dass es für Lehranalytikerinnen offiziell vorgesehen ist, nach einer bestimmten Zahl von Jahren eine Pause von neuen Lehranalysandinnen einzulegen, ohne dass das als „Entzug der Ehre“ gelesen wird. Das würde helfen, den moralischen Druck zu reduzieren, immer verfügbar sein zu müssen. Und es würde zugleich signalisieren: Wir wollen als Institut, dass diese Rollen von Menschen ausgefüllt werden, die nicht am Rand ihrer Kräfte arbeiten. Für Kandidatinnen wäre das vielleicht ungewohnt, weil es auch heißt: Es gibt nicht unendlich TA-Plätze, und wir sind transparent, wenn sie knapp sind. Aber langfristig – und das ist meine Hoffnung – könnte es dazu beitragen, dass die Beziehungen, die in Lehranalyse und Supervision entstehen, nicht in einem Klima von stiller Überforderung geführt werden.

Jonas Roth (Analytiker mittlere Gen.): Ich merke, dass diese konkreteren Ideen bei mir einiges bewegen. Als Herr Keller vorhin von der „Ehre“ eines Amts sprach, war mein erster Impuls innerlich: „Das ist nicht meine Sprache.“ Wenn wir jetzt von Co-Mandaten, Zeitbegrenzungen und klaren Aufträgen sprechen, habe ich das Gefühl, eine Sprache zu hören, in der sich meine Generation wiederfinden kann. Ich sage das auch als jemand, der sehr wohl weiß, dass so ein Modell nicht dazu führen wird, dass eine FLINTA-Person aus der mittleren Generation plötzlich nichts mehr zu tun hat. Es wird weiterhin Abende geben, an denen man erschöpft nach Hause geht. Aber der Unterschied wäre: Man hat sich bewusst für einen überschaubaren Zeitraum und eine definierte Aufgabe entschieden – nicht für ein diffuses „immer schon irgendwie dabeisein müssen“.

/same/ Konkret: Wenn es in zwei Jahren darum ginge, ein Vorstandsmandat neu zu besetzen, und die Frage wäre nicht „Wer macht jetzt Vorstand?“, sondern „Wer ist bereit, für zwei Jahre mit einem erfahrenen Kollegen oder einer Kollegin zusammen die Aufgaben X und Y zu übernehmen, mit ungefähr Z Stunden pro Monat?“, dann würde ich diese Frage anders hören. Ich würde mir das in Ruhe anschauen, mit meiner Praxis, meiner Familie, meinen Patientinnen im Kopf – und dann eine erwachsene Entscheidung treffen. Im jetzigen Modell klingt die Einladung zum Vorstand für viele in meinem Umfeld wie ein Einstieg in eine Blackbox, in der man entweder untergeht oder selbst zum Helden wird. Ich glaube, beide Rollenbilder – der Held und der Verweigerer – tun uns nicht gut. Vielleicht wäre es tatsächlich Zeit, sich als „ganz normale“ Analytikerinnen im Vorstand zu erlauben, statt als Überfiguren.

Martin Keller (Lehranalytiker, Vorstand): Es ist ein merkwürdiges Gefühl, meine eigene Rolle so gespiegelt zu bekommen. Ich merke, dass mich der Gedanke, nicht mehr „dauerhaft“ im Vorstand zu sein, auf einer Ebene kränkt – als würde mir etwas weggenommen. Ein anderer Teil von mir ist fast erleichtert bei der Vorstellung, Verantwortung für einen bestimmten Zeitraum zu tragen, statt lebenslang. Vielleicht ist das eine jener unbewussten Allianzen, von denen Herr Conrad gesprochen hat: Wir Älteren halten an der Idee fest, unersetzlich zu sein, weil es uns vor der Angst schützt, austauschbar oder entbehrlich zu werden. Und die Jüngeren halten sich lieber ganz raus, um nicht in eine Rolle hineinzurutschen, die sie als gefährlich erleben. Wenn wir aus dieser Allianz aussteigen wollen, müssen wir beide ein Stück verlieren: Wir die Aura der Unentbehrlichkeit, Sie die Illusion, ganz ohne Institution auszukommen.

/same/ Persönlich kann ich mir vorstellen, in einem Co-Modell für eine Übergangszeit mitzuwirken – nicht mehr als jemand, der den Laden „kennt und lenkt“, sondern als jemand, der seine Erfahrung einbringt und gleichzeitig bereit ist, mit Ihnen, Herr Roth, Frau Yılmaz oder anderen, wirklich neu zu denken. Das fällt mir nicht leicht, und ich bin sicher, dass es Momente geben wird, in denen ich innerlich die Augen verdrehe, wenn ich sehe, wie anders manche Dinge angegangen werden. Aber vielleicht ist das der Preis dafür, dass dieses Haus nicht in der Erschöpfung seiner alten Bilder steckenbleibt. Ich halte weiterhin viel von Berufung. Aber ich beginne zu begreifen, dass Berufung ohne Struktur am Ende in Erschöpfung und Bitterkeit mündet – und das kann niemand von uns wollen.

Eva Baum (Moderatorin): Wenn ich versuche, aus dem, was Sie in den letzten Minuten gesagt haben, eine Art Zwischensumme zu ziehen, höre ich etwas, das mich vorsichtig optimistisch macht – nicht im Sinne eines Happy Ends, aber im Sinne einer kleinen, realistischen Bewegung. Wir haben angefangen mit einem Bild von Institution, das stark an Personen gebunden war: Lehranalytikerinnen als Instanzen, Vorstände als Felsen in der Brandung, Ambulanzleitungen als dauerhafte Ventile. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem es zumindest denkbar geworden ist, Rollen anders zu fassen: geteilt, befristet, mit definierten Aufträgen. Wir haben über die Möglichkeit gesprochen, dass Lehranalytikerinnen und Supervisorinnen legitim pausieren, dass Dozentinnen ihre Lehre eher als Projekte denn als Daueraufträge verstehen, dass Vorstandsarbeit nicht mehr gleichbedeutend ist mit „auf Lebenszeit gewählt“.

/same/ Nichts davon ist beschlossen. Nichts davon wird einfach. Es ist gut möglich, dass wir bei der Umsetzung auf Widerstände stoßen – intern wie extern. Aber ich nehme ernst, was Sie gesagt haben, Jonas: dass die Form, in der Verantwortung angeboten wird, darüber entscheidet, ob jemand überhaupt in Erwägung zieht, sie zu übernehmen. Und ich nehme ernst, was Sie gesagt haben, Herr Keller: dass wir nicht nur unsere Jüngeren, sondern auch unsere eigenen Bilder werden verabschieden müssen. Vielleicht ist das, was wir hier begonnen haben, eine Art „Modellstunde“ für das, was wir uns in der Theorie von einer „good enough Institution“ erhoffen: nicht perfekt, konfliktfrei und heroisch, sondern ausreichend ehrlich, begrenzt und gemeinschaftlich gedacht, um wieder Luft in die Räume zu lassen. Wie wir das konkret weiterführen – ob in einer Arbeitsgruppe, in der nächsten Wahlversammlung, in einer Überarbeitung der Ämterprofile –, ist die nächste Frage. Aber dass wir sie uns überhaupt so stellen, wie wir es heute getan haben, ist, glaube ich, mehr als nur ein gutes Gefühl zum Abschluss eines langen Abends.

Anhang zur Entstehung des Texts

/appendix#anhang/ Zur Entstehung dieses Textes: Eine Reflexion im Lichte des Leitfadens zur KI-Ko-Produktion | Entstehungsprozess & KI-Ko-Produktion

/lead/ In diesem Anhang wird der Entstehungsprozess des vorliegenden Textes rekonstruiert: Ein Autor, der seine institutionellen Erfahrungen und theoretischen Positionen einbrachte, und eine KI, die Texte strukturierte, formulierte und Varianten erzeugte, trafen in einem mehrstufigen, iterativen Verfahren aufeinander. Im Fokus steht, wie sich diese Zusammenarbeit faktisch vollzogen hat und welche Spannungen und Entscheidungen sie geprägt haben.

/section#phase-1/ Phase I – Vorbereitung | Raum, Intention & Material

Schritt 1 – Intention formulieren

Der Autor kam bereits mit einer bereits klar ausgebildeten Intention in den Austausch mit KI, wollte ich das Unbehagen in psychoanalytischen Ausbildungsinstituten – insbesondere Erschöpfung, Partizipation, Macht- und Loyalitätsfragen – theoretisch fundiert und institutionell konkret beschreiben. Die KI erhielt diese Intention in Form präziser Aufgabenstellungen (z.B. „Inhaltsverzeichnis“, „Kapitel X wissenschaftlich ausformulieren“), ohne das Thema selbst zu bestimmen.

Schritt 2 – Materialsammlung

Der Autor hatte vor der KI-Interaktion umfangreiches Material gesammelt (eigene Erfahrungen, Literatur, PDFs mit Deep-Research-Ergebnissen) und stellte der KI gezielt Ausschnitte und Stichworte daraus zur Verfügung. Die KI arbeitete daher nicht aus einem „leeren“ Prompt heraus, sondern montierte und verdichtete bereits vorhandenes Wissen und kontextualisierte es in neue Formulierungen.

Schritt 3 – Strategische Rollendefinition

Der Autor nutzte die KI vor allem als strukturierende und sprachlich ausformulierende Instanz, nicht als eigenständige Theoriebildnerin. Die KI lieferte Gliederungen, Formulierungen und Szenenentwürfe, während die inhaltlichen Setzungen, Auswahlentscheidungen und Korrekturen beim Autor verblieben.

/section#phase-2/ Phase II – Interaktion | Dialektisches Prompten & Montage +

Schritt 4 – Dialektisches Prompten

Die Interaktion war von Anfang an nicht linear-affirmativ, sondern dialogisch angelegt: Der Autor verlangte wiederholt Gegenakzente, Zuspitzungen, Perspektivwechsel. Die KI reagierte darauf mit konkurrierenden Entwürfen und alternativen Tonlagen, die der Autor wiederum selektiv annahm, zurückwies oder neu ausrichten ließ.

Schritt 5 – Montage

Der Text entstand nicht in einem Durchlauf, sondern als Montage verschiedener Einheiten: theoretische Kapitel, Plenums-Szene, wissenschaftliche Kurzfassung, Version in einfacher Sprache und schließlich dieser Anhang. Der Autor kombinierte, kürzte und verschob diese KI-Outputs immer wieder, ordnete Rollen neu, ließ Teile verwerfen und erreichte so eine vielschichtige, bewusst nicht vollständig homogene Textgestalt.

/section#phase-3/ Phase III – Autorisierung | Inkubation & „Menschlichung“ +

Schritt 6 – Inkubation

Zwischen den größeren Arbeitsblöcken lagen wiederholt Pausen, in denen der Autor den bisherigen Stand außerhalb des Chats las, mit seinem Projektkontext abglich und mit neuen, veränderten Anforderungen zurückkehrte. Er nahm außerdem an einer Arbeitstagung genau zu diesem Thema in seinem Institut Teil. Diese Unterbrechungen führten dazu, dass vorangegangene Vorschläge nicht nur formal fortgeschrieben, sondern stellenweise grundsätzlich neu aufgezogen wurden (etwa beim Essayaufbau oder beim Plenum).

Schritt 7 – „Menschlichung“

Die endgültige „Menschlichung“ – das Einpassen der KI-Fragmente in die eigene Schreibstimme und die volle Übernahme der inhaltlichen Verantwortung – erfolgte durch die autonome Endredaktion des Autors.

/section#phase-4/ Phase IV – Publikation | Transparenz & Zweckbestimmung +

Schritt 8 – Transparenz

Mit der Bitte um einen eigenen, strukturierten Anhang zur Ko-Produktion machte der Autor die Rolle der KI im Entstehungsprozess explizit sichtbar und erhob sie selbst zum Gegenstand der Reflexion. Die KI formulierte diese Rekonstruktion offen, sodass Leser*innen nachvollziehen können, welche Teile des Projekts auf algorithmische Unterstützung zurückgehen und wo der Autor steuernd, korrigierend und auswählend eingegriffen hat.

Schritt 9 – Zweckbestimmung

Der Autor nutzte die KI nicht primär, um Quantität zu maximieren, sondern um in einem komplexen Projekt (Essay, Plenum, Kurzfassung, einfache Sprache, Anhang) Struktur, Sprachvarianten und dramaturgische Vorschläge zu gewinnen, die er in seine eigene, klinisch und institutionell verankerte Arbeit integrieren kann. Die so gewonnene Zeit und kognitive Entlastung wird – folgt man der Anlage des Gesamtprojekts – nicht in zusätzliche „Outputs“ reinvestiert, sondern in vertiefte theoretische Arbeit, institutionelle Reflexion und die Weiterentwicklung eines kritischen Diskurses zu Psychoanalyse und KI.

/end/

Hausordnung (bitte kurz lesen)

Worum es geht: Couch & Agora ist ein professionell gerahmter Diskursraum zu Gegenwartsthemen aus psychoanalytischer Perspektive. Neben inhaltlichen Argumenten haben hier affektive Resonanzen Platz – einschließlich Eindrücken von Übertragung und Gegenübertragung.

  • Haltung: respektvoll, neugierig. Resonanz & Widerspruch willkommen; Beschämung nicht.
  • Spontanität: kurze, rohe Gegenübertragungs‑Eindrücke (Gefühle, Bilder, Körper‑Notizen) sind erlaubt – im öffentlichen Rahmen bitte bewusst formulieren.
  • Keine Diagnosen über Dritte, keine identifizierbaren Fallbezüge. Eigene Erfahrungen anonymisieren.
  • Kein Hass, keine Abwertung von Personen oder Gruppen; keine diskriminierenden Inhalte.
  • Pseudonym möglich. Wir speichern so wenig personenbezogene Daten wie nötig (siehe Datenschutz).
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